Aufregung im EU-Parlament: TTIP-Abstimmung verschoben
Das EU-Parlament scheint sich über das geplante TTIP-Freihandelsabkommen zwischen USA und der EU zu zerstreiten. Ein monatelang vorbereiteter Kompromiss ist am Mittwoch vorerst geplatzt. Streitpunkt sind die Schiedsgerichte.
Die Verhandlungen über das EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP laufen ohne klare Positionierung des Europaparlaments weiter. Eine für den Mittwoch angesetzte Abstimmung wurde am Vorabend vom Parlamentspräsidenten Martin Schulz abgesagt, da sich die beiden größten Fraktionen von Christ- und Sozialdemokraten in letzter Minute über die heiklen Investorenschutzklauseln (ISDS) zerstritten hatten. Im Plenum ist ein offener Streit entbrannt, den einige Abgeordnete öffentlich als „peinlich“ bezeichneten.
Bei der Auseinandersetzung geht es vor allem um die sogenannten Schiedsgerichte, vor denen Konzerne Staaten verklagen können, wenn sie sich in einem anderen Land diskriminiert fühlen. Diese stehen in vielen bilateraler Abkommen, werden aber von Kritikern mit Verweis auf die Rechtsstaatlichkeit von EU und USA als unnötig abgelehnt.Das Votum war mit Spannung erwartet worden, weil es der EU-Kommission als Verhandlungsführerin gegenüber den Amerikanern klarmachen soll, unter welchen Voraussetzungen das Europaparlament am Ende TTIP zustimmen könnte.
Im Zentrum der Auseinandersetzung steht die Frage, ob und – wenn ja – welche Investorenschutzklauseln in dem transatlantischen Vertrag enthalten sein sollen. Klauseln, die Konzernen ein Klagerecht gegen staatliche Entscheidungen einräumen, gibt es auch in bilateralen Verträgen Deutschlands schon zu hunderten. Mit dem Lissabon-Vertrag ist die Zuständigkeit aber auf EU-Ebene übergangenen – zudem übertrifft die Bedeutung von TTIP jene bisheriger Freihandelsabkommen. Entsprechend umstritten ist die Frage eines Investor-State-Dispute-Settlement (ISDS).
Die Entscheidung, das Votum darüber zu verschieben, kam überraschend, weil sich die beiden großen Fraktionen Ende Mai im Handelsausschuss bereits auf einen Kompromiss verständigt hatten. Die beiden federführenden Angeordneten Bernd Lange (SPD) und Daniel Caspary (CDU) hatten vereinbart, dass einerseits „auf die entwickelten Rechtssysteme in den EU-Staaten und den USA vertraut“ werden solle. Andererseits aber sollten Schiedsgerichte als zusätzliche Instanz reformiert werden – in dem Ausschussvotum ist von „demokratischen Prinzipien und Rechenschaftspflicht“, „öffentlichen Anhörungen“ und „einer Berufungsmöglichkeit“ die Rede. „Begrüßt“ wurden auch die Reformideen von EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), die langfristig eine Art UN-Investitionsgerichtshof anstreben. Das Abstimmungsergebnis wurde jedoch schon unmittelbar nach dem Votum völlig verschieden interpretiert.
Sozialdemokraten und Konservative uneins über Schiedsgerichte
Auch in der sozialdemokratischen Fraktion. Zwar verkündete ihr Verhandlungsführer Lange anschließend, die „überholten Schiedsstellen“ seien „tot“, doch ließen sich manche Abgeordnete offenbar von der beißenden Kritik etwa der Linkspartei beeindrucken. „Für den großen Sprung in Richtung einer eindeutigen Ablehnung“, so deren Abgeordneter Helmut Scholz in Richtung der Sozialdemokraten, „fehlte im Ausschuss jedoch der Wille und der Mut.“ Bernd Lange sah sich also vor der Plenarabstimmung genötigt, per Änderungsantrag „eine Klarstellung“ vorzunehmen. Die aber wollten wiederum die Christdemokraten von der Europäischen Volkspartei (EVP) nicht mehr mittragen. „Die sozialdemokratische Fraktion hat Schwierigkeiten, den vereinbarten Kompromiss zu vertreten, und braucht noch Zeit für die interne Klärung“, sagte Caspary dieser Zeitung. „Solange sich die EVP eine Hintertür zu ISDS offenhält, kann es keine gemeinsame Resolution geben“, konterte Lange.
Das Risiko, dass in dieser aufgeheizten Lage ein linker Antrag ISDS komplett „abzulehnen“ eine Mehrheit bekommen könnte, wollten die Großparteien offenbar nicht eingehen – daher die Verschiebung. Der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer, dessen Partei gegen jede Art von Konzernklagerecht ist, sprach gegenüber dieser Zeitung von einer „Blamage für Schulz, die angebliche große Koalition und alle, die eine Paralleljustiz haben wollen“. Seine Parteifreundin Ska Keller sagte, der „Formelkompromiss“ sei von Anfang an problematisch gewesen: „Die SPD muss sich in Sachen ISDS jetzt mal entscheiden.“
Parlamentschef Schulz selbst verteidigte die Vertagung, weil sich das Europaparlament zu diesem „Abkommen von globaler Bedeutung“ am besten mit einer überzeugenden Mehrheit „klar und unzweideutig“ äußern müsse. Sonst „schwäche“ es seinen Einfluss auf die Verhandlungen.
Allerdings waren seine Sozialdemokraten vor der Abstimmung auch vom europäischen Arbeitgeber-Dachverband BusinessEuropa in einem dieser Zeitung vorliegenden Brief gedrängt worden, den Ausschusskompromiss „nicht zu zerstören“ und „ISDS nicht auszuschließen“. Kritiker von links jedenfalls monieren, die Verschiebung diene nur dazu, ISDS zu retten