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Der griechische Premier Alexis Tsipras will Reformen umsetzen, an die er selbst nicht glaubt.
© AFP

Griechenland-Drama: Tsipras und Schäuble: die Hauptdarsteller

Der deutsche Finanzminister und der Athener Premier sind die Protagonisten im griechischen Schuldendrama. Warum haben Wolfgang Schäuble und Alexis Tsipras die Wut so vieler Europäer auf sich gezogen?

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Alexis Tsipras: Falsches Programm, richtige Regierung

Es gibt zur Zeit deutlich angenehmere Jobs als den Posten des griechischen Premierministers. Alexis Tsipras muss seinem Volk ein Programm verkaufen, das er verhindern wollte, sich mit Institutionen einigen, die er am liebsten rausgeschmissen hätte. Deshalb klingt die Bitte, die er am Dienstagabend im griechischen Fernsehen an die Abgeordneten seines Parlaments richtet – zumindest in deutschen Ohren – ziemlich schizophren: „Ich habe einen Vertrag unterschrieben, an den ich nicht glaube. Aber ich werde Verantwortung übernehmen und ihn umsetzen.“ Grob übersetzt: Es sei richtig, für den Vertrag zu stimmen, um als Regierung weiter dagegen sein zu können, oder zumindest anders als der Rest der Euro-Zone. Die Volksvertreter sollen also – anders noch als das Volk selbst vor wenigen Tagen – für ein Programm stimmen, das ihr eigener Ministerpräsident für falsch hält. Denn die andere Wahl, der „Grexit“, der befürchtete Absturz der neuen Währung, werde noch mehr Elend verursachen. Fast erwartet man an diesem Abend vom griechischen Premier schon einen berühmt gewordenen deutschen Ausdruck zu hören: alternativlos.

In Deutschland sorgt so viel griechische Ehrlichkeit aber für weiteres Unverständnis. Zwar weiß man inzwischen auch hier, dass der Premier in Athen nicht auf den Erfolg von Austeritätsregeln vertraut und die Maßnahmen nur auf massiven Druck aus Brüssel hin akzeptierte, aber muss er das gleich so unverschämt laut aussprechen? Wie, heißt es dann gleich weiter, soll man einem Mann 86 Milliarden Euro anvertrauen, wenn der nicht hinter den vereinbarten Gegenleistungen steht?

Doch dabei wird schnell übersehen: Tsipras muss nicht die Deutschen überzeugen, das ist die Aufgabe von Wolfgang Schäuble und Angela Merkel. In Griechenland hätte zu viel Lob für die Einigung nur das Gegenteil dessen bewirkt, was Tsipras erreichen will. Denn seine Worte über die Einigung (Kompromiss nennt es in Griechenland niemand) sind wohl noch die freundlichsten, die bisher in der griechischen Öffentlichkeit dazu gefallen sind. Immerhin erwartet Tsipras, dass die Rezessionswirkung, also der negative Einfluss auf die Wirtschaft, trotz weiterer Kürzungen im Rahmen bleibt und das Programm auch Chancen auf Wirtschaftsförderungen birgt. Bisher wurde der Deal deutlich häufiger als „Horror-Memorandum“, „Niederlage“, „Knebelvertrag“ und „Unterwerfungserklärung“ bezeichnet, wohlgemerkt: auch von der selbst ernannten „proeuropäischen“ Opposition aus Liberalen, Konservativen und Sozialdemokraten, die sich bereits vor dem Deal verpflichtet hatten, ein zukünftiges Abkommen zu unterstützen.

Was also tun, um die Menschen in einem Land für ein Abkommen zu begeistern, das der Großteil ablehnt, das aber gleichzeitig mehr als 70 Prozent als „notwendig“ anerkennen? Tsipras hat sich dafür entschieden, den Kompromiss mit Brüssel als das kleinere von zwei Übeln anzusehen. Er hat ausführlich erklärt, wie er den „Grexit“-Plan mit Finanzminister Yanis Varoufakis durchgespielt hat, wie er in den USA und Russland für Unterstützung einer neuen griechischen Währung geworben hat. Ohne die, so erklärt es Tsipras, wäre der Absturz einer neuen „Drachme“ quasi unvermeidlich. Mehr Armut und weniger Chancen für das Land wären die Folge.

Seine Syriza mag dem Premier nicht mehr folgen

Der Weg, den Tsipras gewählt hat, um weiter mit Brüssel verhandeln zu können, ist riskant, da er seine eigene Partei zu zerreißen droht. Während sich die Syriza-Abgeordneten (bis auf einige wenige) stolz hinter ihren Chef stellten, als der für „Oxi“ warb, zeigen diese Tage, wie zerrissen Syriza ist, wenn der Kurs auf „Nai“ dreht. Am Mittwoch haben vor der Abstimmung im Parlament 107 der 201 Mitglieder des zentralen Komitees an die Regierung appelliert, das Programm abzulehnen. Das ist die Hälfte des wichtigsten Entscheidungsgremiums der Partei.

Während viele Kommentare in griechischen und internationalen Medien Tsipras nach seinem Fernsehauftritt zum Realisten geläutert sehen, der sich nicht mehr von seinem linken Flügel steuern lässt, fürchten sie in der Partei den Verrat. Am eigenen Programm, am Land, an den Wählern. Sie tragen das Paradox, das Tsipras aufmacht, das „falsche“ Programm zugunsten der „richtigen“ Regierung nicht mit. Und die Unterstützung für Tsipras könnte weiter schwinden, wenn die Brückenfinanzierung aus Brüssel nicht bald kommt, die Banken geschlossen bleiben, die Opfer also keine unmittelbaren Erleichterungen bringen – dafür aber Woche für Woche neue Gesetze das Parlament passieren, die gegen die Syriza-Parteilinie stehen.

Tsipras und seine Minister haben stets behauptet, nicht an der Macht zu hängen. Trotzdem argumentieren sie nun so, wie es auch viele Regierungen vor ihnen getan haben: Besser wir setzen dieses Programm um als andere, die alles noch viel schlimmer machen. Selbst Energieminister Panagiotis Lafazanis, der angekündigt hat, bei der Abstimmung mit „Nein“ zu stimmen, will seinen Posten behalten, wenn man ihn lässt. Er wäre dann für die Privatisierung des griechischen Stromnetzes zuständig. 

Andere ertragen diese Spaltung nicht. Die bisherige stellvertretende Finanzministerin Nadia Valavani beispielsweise legte vor der Abstimmung ihr Amt nieder. Die Unternehmerin hat ein Buch über den „Ausverkauf Griechenlands“ geschrieben und wäre nach Annahme des Programms selbst für die Privatisierungen zuständig gewesen, die nach dem Euro-Gipfelbeschluss nun deutlich massiver ausfallen sollen, als von Syriza angedacht. Dieser Abgang ist gefährlich für Tsipras, denn Valavani, die keinem der Flügel der Partei angehört, ist in Griechenland sehr populär. Als junge Frau war sie von der Junta gefoltert worden, Persönlichkeiten wie sie haben zur großen Popularität der Tsipras-Regierung in den ersten Monaten beigetragen.

Für das Ausland mag sich Tsipras gerade zum echten Staatsmann wandeln. Zu Hause wird es für ihn extrem eng. Elisa Simantke

Wolfgang Schäuble

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble gilt vielen als "Zuchmeister Europas".
Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble gilt vielen als "Zuchmeister Europas".
© dpa

Wolfgang Schäuble: Zwischen "Grexit" und "Schäublexit"

„Der Sensenmann“ heißt die Grafik in der französischen Zeitung „Le Monde“ und darauf zu sehen ist eine schwarze Figur, die im Rollstuhl sitzt und mit der scharfen Spitze einer Sense die griechische Flagge zerreißt. Gnadenlos scheint der Mann über Griechenland hinwegzufahren und nun, da die erste Fahne zerschnitten ist, rollt er unerbittlich weiter über die blaue Flagge Europas hinweg. Die Botschaft ist klar: Erst tötet der Mann Athen, jetzt tötet er Europa. Und auch, wer mit dem Sensenmann gemeint ist, muss nicht weiter erläutert werden. Jeder, der in den letzten Tagen die Ereignisse um die Griechenlandrettung verfolgt hat, weiß es längst: Der Mann heißt Wolfgang Schäuble, und es schlägt ihm seit dem vergangenen Wochenende offener Hass entgegen.

Als „Totengräber“, als „Eroberer“, ja sogar als „Finanz-Pinochet“ wird der deutsche Finanzminister in Hashtags, in Fernsehinterviews und in Zeitungen beschimpft. Und selbst der Europapolitiker der Grünen, Reinhard Bütikofer, hält sich nicht mehr zurück: „Der herzlose, herrische und hässliche Deutsche hat wieder ein Gesicht und das ist das von Schäuble“, schimpft Bütikofer. Der deutsche Finanzminister habe die Griechen „auf Biegen und Brechen aus der Euro-Zone vertreiben“ wollen.

So geht das – vor allem bei Twitter unter #thisisacoup (das ist ein Staatsstreich), seit Wolfgang Schäuble am Wochenende seinen Plan eines zeitlich auf fünf Jahre begrenzten Austritts Griechenlands aus dem Euro in die Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs eingebracht hat. Ein Schachzug, der die Verhandlungen in Brüssel ganz eindeutig bestimmt und gelenkt hat: Befürworter und Gegner eines Hilfspaketes standen sich auf einen Schlag klar gegenüber, Athens Regierungschef Alexis Tsipras musste sich erpresst fühlen. Seither gilt Wolfgang Schäuble als das böse Gesicht der grausamen und unerbittlichen deutschen Austeritätspolitik. Schäuble ohne Herz, Schäuble ohne Gewissen. Schäuble, der Zerstörer europäischer Integration. #Schäublexit heißt die Parole: Raus mit dem Mann aus der Regierung.

So viel Hass trifft ausgerechnet einen Politiker, von dem es noch vor kurzem hieß, er sei die Verkörperung des europäischen Integrationsgedankens, Mister Europa, der stolze Träger des Karlspreises. Allein die Erinnerung an solche Zeiten und die Sicht auf Wolfgang Schäuble im Vergleich zum Ausmaß der Wut, die ein und demselben Mann jetzt entgegen schlägt, lässt vermuten, dass die verbalen Angriffe nicht nur den Politiker allein meinen, sondern Ausdruck weit größerer Unzufriedenheit sind. Der eine Teil der Öffentlichkeit ist geradezu erschrocken über den Umfang und die Härte der Reformen, die Europa den Griechen für die Rettung vor dem Staatskonkurs abverlangt. Er hat einen Schuldigen in Schäuble gefunden. Und der andere Teil grollt den Euro-Ländern, dass sie den Griechen nun doch noch einmal mit Milliardenbeträgen unter die Arme greifen, obwohl absehbar ist, dass das noch immer nicht das letzte Mal gewesen sein wird. Auch dieser Teil der Öffentlichkeit nimmt Schäuble als den „Inkonsequenten“ ins Visier, der den „Grexit“ will und trotzdem weiter an Milliardenprogrammen arbeitet.

Der Gipfel schien reine Formsache zu sein - zunächst

Noch einmal zurück in die vergangene Woche: Bis zu den ersten Hochrechnungen des Referendums in Griechenland am vorvergangenen Sonntag war die verbreitete Meinung der Europäer, dass Athens Bürger im Euro bleiben wollen und deshalb für Reformen stimmen werden. Es kam dann anders. Nach dem ersten Schock des griechischen „Oxi“ herrschte denn auch eine gewisse Beruhigung darüber, dass trotz des „Nein“ der Menschen Alexis Tsipras erneut mit den Gläubigern über ein Hilfspaket und darin enthaltene Reformen verhandeln wollte. Die Hoffnung: Alles wird sich zum Schluss zum Guten wenden. Und wirklich wirkte es beruhigend, als der französische Präsident Fraçois Hollande die Reformvorschläge von Alexis Tsipras zur Wochenmitte als „ernsthaft und glaubwürdig“ lobte und den Skeptikern zurief: „Die Griechen haben soeben ihre Entschlossenheit gezeigt, in der Euro- Zone zu bleiben.“ Irgendwie schien der Gipfel am folgenden Wochenende eine reine Formsache zu sein, Athen doch im Euro zu bleiben und Europa zusammenzustehen.

Wolfgang Schäuble wird heute vorgeworfen, er habe sich von Gefühlen der Rache beherrschen lassen, womöglich, weil er sich von frech und überheblich auftretenden Jungpolitikern aus Athen wochenlang habe über den Mund fahren lassen müssen. Ob das stimmt, weiß der Minister allein. Viel spricht indes dafür, dass der deutsche Finanzminister – wohl ahnend, dass die Staatsschefs einen „Grexit“ am Sonntag um jeden Preis verhindern werden – zuvor seine Auffassung noch einmal in großer Klarheit dokumentieren wollte. Schäuble hielt vor dem Sonntag den „Grexit“ für den richtigen Weg und hat auch nach der Einigung vom Sonntag, an der die Kanzlerin Angela Merkel beteiligt war, noch zu Protokoll gegeben, in seinen Augen wäre der „Grexit“ im Interesse der Griechen die „sehr viel bessere Lösung“ gewesen. Selten gestatten sich Kabinettsmitglieder, die Entscheidungen ihrer Regierungschefs derart offen zu kritisieren. Schäubles Rechtfertigung für dieses Verhalten ist seine politische Erfahrung.

Dass der Minister trotz dieser Auffassung weiter an der Gewährung von Hilfsgeldern arbeitet, ist der Loyalität gegenüber Angela Merkel geschuldet. Und seine Pläne von der Einrichtung eines Treuhandfonds, der quasi einer Teilenteignung der Griechen entspricht, sichert die Rückzahlung eines Teils der Hilfsgelder genauso wie sein Vorschlag, die Griechen selbst für die notwendige Brückenfinanzierung mit Schuldscheinen aufkommen zu lassen, die noch umfangreichere Hilfen verhindern sollen. Ironie dieser Krisenwoche: Genau wie Schäuble hat auch Alexis Tsipras seinem Parlament ein Reformpaket zur Zustimmung empfohlen, von dem er sagt, dass er selbst nicht daran glaubt. Antje Sirleschtov

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