Griechenland: Alexis Tsipras: "Europa gehört nicht Herrn Schäuble"
Griechenlands Premier Alexis Tsipras verteidigt den Kompromiss mit den Gläubigern - und kritisiert Wolfgang Schäuble hart. Unser Griechenland-Newsblog.
In Brüssel haben sich die Euro-Partner auf ein Hilfspaket für Griechenland geeinigt, aber es beginnt die Mühe der Ebene. Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras muss vermutlich sein Kabinett umbilden. An diesem Mittwoch entscheidet Griechenlands Parlament über den Kompromiss mit den Gläubigern. Die Entwicklungen im Newsblog.
Alexis Tsipras hat sich im Fernsehen geäußert. Dabei verteidigte der griechische Ministerpräsident zwar die Vereinbarung mit den Gläubigern, doch kritisierte er die Art ihres Zustandekommens. Die Nacht des Euro-Gipfels in Brüssel sei schlecht für Europa gewesen, sagte Tsipras in einem Interview des griechischen Staatsfernsehens ERT1. Die Vereinbarung sei auf Druck starker Staaten auf Griechenland entstanden. Diese Art und Weise der Druckausübung „ehrt nicht die Tradition Europas“, sagte Tsipras.
Dennoch sei für Griechenland auch Positives herausgekommen. Noch in diesem Jahr werde es eine Diskussion über die Umstrukturierung des Schuldenberges sowie ein Investitionsprogramm in Höhe von 35 Milliarden Euro geben. Diese Maßnahmen, wenn sie zustande kommen, könnten „einen Grexit endgültig abwenden und die Voraussetzungen für Wachstum“ in Griechenland schaffen, sagte Tsipras.
Mit eindringlichen Mahnungen an das eigene linke Lager warb Tsipras für ein Ja des Parlaments zu den von den Gläubigern verlangten Reformen, auch wenn er diese inhaltlich ablehne. Es gebe einige, die sich über einen Sturz seiner Regierung freuen würden, sagte er. „Jeder muss jetzt seine Verantwortung übernehmen“, sagte Tsipras.
Vorgezogene Wahlen schloss Tsipras nicht aus. „Nach dem Ende dieses Verfahrens (der Billigung durch das Parlament) werde ich sehen, wie es weitergeht“, sagte er. Er fügte hinzu: „Ich werde niemandem mit dem Messer am Hals drohen.“ Das Parlament berät an diesem Mittwoch über ein erstes großes Spar- und Reformpaket. Die Billigung ist eine Bedingung für Verhandlungen der Gläubiger mit Griechenland über ein drittes Hilfspaket. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung dürfte gegen Mitternacht feststehen.
In Zeiten der Krise gebe es keinen Raum für „ideologische Reinheit“, sagte Tsipras. „Vorrang hat für mich in dieser Stunde die Billigung des Sparprogramms, damit wir das Hilfsprogramm sichern können.“ Er schließe nicht aus, dass auch die Opposition dem Programm zustimme.
Tsipras kritisierte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der einen Plan für das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro gehabt habe. Dies sei ihm aber nicht gelungen. „Dieses Europa gehört nicht Herrn Schäuble“, sagte er.
Gut 70 Prozent der Griechen sind einer Umfrage zufolge für die Billigung des von den Gläubigern geforderten Spar- und Reformprogramms durch das griechische Parlament. Die Ergebnisse dieser Umfrage wurden am Dienstagabend auf der Homepage der Athener Zeitung „To Vima“ veröffentlicht. Fast die Hälfte der Befragten (48,7 Prozent) vertrat die Ansicht, dass die Partner in der Eurozone nicht ausreichend Verständnis für die Probleme Griechenlands gezeigt hätten. Dagegen meinten 44,4 Prozent, die Schuld für das neue harte Sparprogramm liege bei der griechischen Regierung und den Fehlern, die diese begangen habe. Für die Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kapa Research wurden landesweit 762 Menschen befragt.
Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras will sich am Abend in einem Interview an die Bevölkerung wenden. Im staatlichen Fernsehen werde er seine Ansichten zu dem in Brüssel vereinbarten Reform- und Sparprogramm darlegen, teilte sein Büro mit. Außerdem wolle er sich zu den Parlamentsberatungen am Mittwoch und die anstehende Billigung von Reformgesetzen äußern. Das Interview soll um 21.00 Uhr MESZ ausgestrahlt werden.
Unterdessen wurde am Nachmittag ein erstes Bündel von Spar- und Reformmaßnahmen dem Parlament in Athen vorgelegt. Dies teilte die Regierung mit. Darüber soll das Parlament am Mittwoch im Eilverfahren beraten.
François Hollande schlägt "europäische Wirtschaftsregierung" vor: Unter dem Eindruck der Griechenland-Krise hat sich der französische Präsident François Hollande für die Bildung einer "europäischen Wirtschaftsregierung" stark gemacht. Diese sei erforderlich, um die Serie von Krisen in der Europäischen Union einzudämmen, sagte Hollande am Dienstag in einem Fernseh-Interview zum 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag. Er schlug zudem vor, ein "Parlament der Eurozone" zu bilden.
Hollande kündigte an, seine Vorschläge für eine europäische Wirtschaftsregierung in Abstimmung mit der Bundesregierung voranzutreiben. Die europäischen Staaten müssten "weiter gehen" und ein "Budget der Eurozone" einrichten, mit dem Raum für Investitionen geschaffen werde.
Bosbach erwägt Rückzug aus Politik: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach erwägt aus Verärgerung über den Griechenlandkurs der Bundesregierung ein Ausscheiden aus der Politik. In der kommenden Woche wolle er mit seinem Kreisvorstand beraten und dann eine Entscheidung über seine weitere politische Karriere verkünden, sagte Bosbach am Dienstag zu "Zeit Online".
Bei der für Freitag geplanten Bundestagsabstimmung zu möglichen weiteren Griechenland-Hilfen werde er erneut mit Nein stimmen, kündigte Bosbach an. Allerdings seien möglicherweise weitere Konsequenzen nötig: "Ich werde nicht mit Nein stimmen und weitermachen wie bisher."
Bei vielen seiner Kollegen herrsche "das Prinzip Hoffnung", dass die Griechen nun tatsächlich Reformen umsetzen würden, kritisierte Bosbach - und fügte hinzu: "Ich glaube daran nicht."
Ärger um Strobl-Aussage: Eine Äußerung von CDU-Vize Thomas Strobl zum griechischen Schuldendrama sorgt für Wirbel. Strobl, der auch CDU-Landeschef in Baden-Württemberg ist, hatte am Montagmorgen kurz nach den ersten Meldungen über ein drittes Griechenland-Hilfspaket in Berlin in die Fernsehkameras gesagt: „Der Grieche hat jetzt lange genug genervt. Jetzt hoffen wir, dass es eine gute Lösung gibt.“
In sozialen Netzwerken und der baden-württembergischen SPD gab es zum Teil heftige Kritik. SPD-Landeschef Nils Schmid schrieb am Dienstag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: „Schämen Sie sich, Herr Strobl!“ Der SPD-Landtagsabgeordnete und gebürtige Grieche Nikolaos Sakellariou meinte in Facebook: „Mein Kandidat für das Unwort des Jahres 2015: „Der Grieche hat lange genug genervt.“ (Auch wenn es mehr als ein Unwort ist).“
55 Prozent befürworten Kurs von Angela Merkel: Nach der jüngsten Einigung in der griechischen Schuldenkrise ist die Mehrheit in Deutschland mit dem Kurs von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zufrieden. 55 Prozent der Bundesbürger sind nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Magazins „Stern“ der Auffassung, dass sich Merkel alles in allem richtig verhalten habe. 31 Prozent meinen, sie hätte Griechenland zum Ausstieg aus dem Euro zwingen sollen, 14 Prozent haben dazu keine Meinung.
Vor allem die Anhänger der Grünen sind mit Merkel zufrieden: 75 Prozent von ihnen bescheinigen der Kanzlerin, richtig verhandelt zu haben. Bei den Sympathisanten der Union sind dies 66 Prozent, bei den Anhängern des Koalitionspartners SPD 62 Prozent. Sogar 53 Prozent der Linken-Sympathisanten schließen sich dieser Meinung an.
Dass die Regierung in Athen die vereinbarten Maßnahmen einhält und umsetzt, bezweifeln allerdings 81 Prozent. 14 Prozent haben daran keine Zweifel. Nicht dazu äußern mochten sich fünf Prozent. Das Vertrauen in die griechische Regierung ist am geringsten bei den Anhängern von CDU/CSU (7 Prozent) und SPD (8 Prozent). 37 Prozent der Sympathisanten der Linken haben dagegen keine Zweifel, dass die Regierung des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras die Auflagen und Reformen einhält und umsetzt.
Gauck weist Kritik an deutscher Haltung zurück: Bundespräsident Joachim Gauck hat Kritik an einer angeblich zu harten Haltung Deutschlands gegenüber Griechenland zurückgewiesen. „Ich teile diese Kritik nicht“, sagte Gauck am Dienstag während seines Staatsbesuchs in Irland. „So ein großes Land muss sich auch Überlegungen gestatten für verschiedene Lösungswege, und deshalb kann man nicht sagen, dass es irgendeine deutsche Regierung gegeben hat oder gibt, die daran interessiert ist, dass Griechenland scheitert.“
Gauck sagte weiter, er könne nicht erkennen, dass es ein Defizit der Solidarität der Deutschen mit Griechenland gebe. „Wir haben über viele Jahre hinweg gezeigt, dass wir ein Interesse am Zusammenhalt in Europa haben, und dass uns eine Politik des Abbröckelns an den Rändern nicht gefällt.“
Medien: Tsipras plant Regierungsumbildung: Ministerpräsident Alexis Tsipras plant griechischen Medienberichten zufolge eine Regierungsumbildung - spekuliert wird über den Zeitpunkt. Einige Medien berichteten am Dienstag, dies könne noch am Nachmittag passieren. Andere berichteten, die geplante Kabinettsumbildung werde erst nach der entscheidenden Abstimmung über das neue Reform- und Sparprogramm stattfinden. Die Beratungen im Parlament sollen dem Vernehmen nach am Mittwochnachmittag beginnen, die entscheidende Abstimmung ist demnach kurz vor Mitternacht geplant.
Ersetzt werden sollen den Berichten zufolge Minister und stellvertretende Ressortchefs des linken Flügels der Regierungspartei Syriza, die sich gegen weitere Sparmaßnahmen sperren. Darunter seien der Energieminister Panagiotis Lafazanis sowie der stellvertretende Minister für Sozialthemen Dimitris Stratoulis, hieß es im griechischen Rundfunk. Diese hatten erklärt, sie würden die von den Gläubigern geforderten Sparmaßnahmen nicht billigen.
Der Druck auf Tsipras wächst: Auch nach der Einigung mit der Eurozone auf Verhandlungen über ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland steigt der Druck in Athen. Das von der Staatspleite bedrohte Land geriet beim Internationalen Währungsfonds immer weiter in Zahlungsrückstand. Die für Montag fällige Rate von 456 Millionen Euro blieb aus. Damit steigt die überfällige Summe beim IWF auf gut zwei Milliarden Euro. Experten bezweifeln, dass die harten Reform- und Sparauflagen im Gegenzug für neue Finanzhilfen das Land auf die Beine bringen. Die Stimmung in Griechenland im Video:
Vorschläge waren abgestimmt: Er hat den Begriff "Grexit auf Zeit" nicht in den Mund genommen, aber Wolfgang Schäuble hat noch einmal erklärt, dass er keinen Vorschlag gemacht habe, der nicht in der Bundesregierung in der Sache und der Form abgesprochen gewesen sei. Das ist nochmal ein Seitenhieb auf SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel, der das am Wochenende zunächst auf seiner Facebook-Seite auch behauptet hatte, dann aber zurückgerudert ist.
Kritik an seiner Person überrasche ihn nicht, aber natürlich treffe sie ihn. Man ringe mit sich und anderen.
Schäuble sieht Vertrauen verloren: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat nach einer Sitzung der EU-Finanzminister erklärt, dass Vertrauen in die Wirtschafts- und Währungsunion verloren gegangen sei. Man habe in der Griechenland-Krise jetzt eine Grundlage geschaffen, "aber wir sind noch nicht am Ende". Griechenland sei jetzt am Zug und müsse die Reformen umsetzen.
Neues Geld für Griechenland: Die EU-Finanzminister streiten weiter über eine "Brückenfinanzierung" für das am Rande der Pleite stehende Griechenland. Der finnische Minister Alexander Stubb sagte am Dienstag in Brüssel, es gebe bis zu sechs verschiedene Optionen, um die Zeit bis zu dem neuen griechischen Hilfsprogramm zu überbrücken. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schlug den Einsatz von Schuldscheinen vor. Großbritannien schloss jede Beteiligung an einer Zwischenfinanzierung aus.
Tsipras beginnt Gespräche in Syziza-Partei: Nach der Grundsatzeinigung der Eurozone auf ein neues Hilfspaket für Griechenland hat Ministerpräsident Alexis Tsipras am Dienstag Gespräche innerhalb seiner linken Syriza-Partei über die Vorschläge geführt. "Der gordische Knoten wurde in mühsamen und harten Verhandlungen aufgeschnürt", sagte Innenminister Nikos Voutsis vor dem Parlamentsgebäude in Athen mit Blick auf die Verhandlungen vom Wochenende in Brüssel. Er äußerte sich vor den anstehenden Abstimmungen zu den geforderten Reformen zuversichtlich.
"Die Menschen vertrauen Tsipras und der Regierung", sagte Voutsis. Es gehe nun darum, Härten aufzufangen. Zur Frage, wie dies geschehen könnte, äußerte sich Voutsis allerdings nicht. Auch bei der nationalistischen Partei der Unabhängigen Griechen (Anel), dem kleineren Koalitionspartner von Syriza, wurde am Dienstag über das Hilfspaket debattiert. Panos Kammenos, Parteichef von Anel und griechischer Verteidigungsminister, sagte, seine Partei wolle weiter mitregieren, lehne die Pläne aber ab.
Gabriel: China erleichtert über Einigung in Griechenland-Krise: In der chinesischen Regierung wird nach den Worten von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Einigung der Europäer im Schuldenstreit mit Griechenland begrüßt. "Unsere chinesischen Gesprächspartner waren sehr erleichtert, dass Europa zusammengeblieben ist", sagte Gabriel am Dienstag nach Gesprächen mit führenden Regierungsmitgliedern in Peking. Für China sei sehr wichtig, Europa "als geschlossene Einheit" als Gesprächspartner in der Welt zu haben. "Die Sorge, dass Europa auseinanderfällt, die war hier groß".
Er sei überzeugt, dass das griechische Parlament und Regierungschef Alexis Tsipras die Vereinbarungen auch umsetzen würden, sagte Gabriel weiter. Wäre die Einigung gescheitert, hätte das einen "sehr, sehr hohen" politischen Preis gefordert.
SOS-Kinderdörfer beklagen Verelendung in Griechenland: Die SOS-Kinderdörfer beklagen eine drastische Verschärfung der Armut in Griechenland. Dies zeige sich unter anderem an den Tausenden Anfragen von verzweifelten Eltern, die ihre Kinder im Kinderdorf abgeben möchten, sagte der Pressesprecher der Kinderdörfer weltweit, Louay Yassin, am Dienstag im WDR-Radio. Es gebe mittlerweile sieben SOS-Sozialzentren in Griechenland, an die sich Familien in Not wenden könnten. Einmal im Monat könnten Familien von den Zentren Nahrung und Kleidung erhalten, erläuterte Yassin.
Die Verelendung in Griechenland zeige sich genau darin, dass „ganz normale Familien“ durch die Arbeitslosigkeit vor dem Nichts stehen, betonte Yassin. In Griechenland gebe es nur ein Jahr lang Arbeitslosengeld in Höhe von bis zu 550 Euro pro Familie. Danach gebe es für arbeitslose Familien ausschließlich Kindergeld in Höhe von 40 Euro pro Monat und pro Kind. „In einer solchen Situation wenden sich die Familien an uns.“
Druck auf Tsipras wächst: In der griechischen Regierungskoalition erhöht der Juniorpartner den Druck auf Ministerpräsident Alexis Tsipras. Die rechtspopulistische Partei Unabhängige Griechen machte vor dem Hintergrund der Reformzusagen von Tsipras an die Gläubiger deutlich, dass ihre Unterstützung begrenzt sei. Eine Parteisprecherin verwies am Dienstag auf die Parlamentswahl im Januar und das jüngste Referendum. In beiden Abstimmungen votierte eine Mehrheit der Griechen gegen weitere Reformauflagen im Gegenzug für neue Finanzhilfen. Eine Koalition mit der Opposition schloss die Parteisprecherin aber ebenfalls aus.
Unions-Fraktionschef Kauder wirbt für Zustimmung: Unionsfraktionschef Volker Kauder wirbt angesichts der Skepsis in den eigenen Reihen um Zustimmung zum Plan der Euro-Staaten, mit Griechenland Verhandlungen über ein neues Hilfspaket aufzunehmen. „Das Ergebnis ist in Ordnung“, betonte der CDU-Politiker am Dienstag im ARD-„Morgenmagazin. Diesmal gehe es nicht um ein klassisches Hilfspaket, sondern erstmals um ein echtes Reformprogramm, das auch strukturelle Änderungen vorsehe. Der Bundestag werde erst über die Aufnahme von Verhandlungen entscheiden, wenn es in Griechenland erste Ergebnisse gebe. Er werbe dafür, der Bundesregierung auf dieser Grundlage einen Verhandlungsauftrag geben. „Es geht auch darum, Europa zusammenzuhalten.“
TF 1 zu Gast beim Tagesspiegel: Unter anderem Albrecht Meier, unser Griechenland- und Frankreich-Experte, wurde vom französischen Fernsehen zu seiner Sicht auf Griechenland und die Rolle Deutschlands befragt. Das Ergebnis können Sie hier sehen (ab Minute 09:36):
"Es geht nur um verletzte Eitelkeiten": Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt ist in seinem Kommentar bei den Kollegen von Radio Eins erbost über den Treuhand-Fonds, den die Griechen jetzt auflegen müssen, um Privatisierungserlöse zu erzielen. "Es geht dabei nur darum zu zeigen, wo im Kapitalismus der Hammer hängt", sagt er. Die Treuhand-Idee habe schon in Deutschland "so toll" funktioniert. Es dränge sich bei Angela Merkel und Wolfgang Schäuble eher der Eindruck auf, dass es nur um "verletzte Eitelkeiten" gehe und darum, eine "ungeliebte Regierung" loszuwerden. Dafür werde ein ganzes Land unter Kartell gestellt, gerade so, als habe Griechenland einen Krieg verloren. "Das ist vielleicht auch so - einen Finanzkrieg." Den ganzen Kommentar können Sie hier bei Radio Eins nachhören.
Schulden an Japan zurückgezahlt: Während Griechenland gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) noch tiefer in Zahlungsverzug geraten ist, hat es seine Schulden bei japanischen Investoren beglichen. Wie die japanische Großbank Mizuho am Dienstag in Tokio mitteilte, überwies Athen 20 Milliarden Yen (144 Millionen Euro). Die sogenannten Samurai-Bonds hatte die griechische Regierung vor genau zwei Jahrzehnten an private japanische Investoren ausgegeben. Sie wurden am Dienstag fällig. Die Bank habe am Morgen 20 Milliarden Yen an Kapital und Zinsen erhalten, sagte ein Sprecher der Bank in Tokio. Die Einnahmen würden nun an die Investoren zurückgegeben.
Die Finanzmärkte hatten mit Spannung erwartet, ob Athen diese Schulden begleichen würde, die im Vergleich zu den Verbindlichkeiten gegenüber IWF und EU verschwindend klein erscheinen. Griechenland "wollte sich den Zugang zu den Kapitalmärkten sichern, indem es seine Verpflichtungen gegenüber privaten Investoren erfüllt hat", sagte Sayuri Ito vom NLI-Forschungsinstitut in Tokio. Griechenland war Anfang Juli als erstes Industrieland beim IWF in Zahlungsverzug geraten. Eine für Montag fällige Rate von 456 Millionen Euro ging ebenfalls nicht ein, womit die beim IWF überfällige Summe auf gut zwei Milliarden Euro anstieg. Am kommenden Montag wird eine Rückzahlung in Höhe von 3,5 Milliarden Euro bei der Europäischen Zentralbank (EZB) fällig.
Alexis Tsipras gerät unter Druck: Die griechische Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst, Adedy, sowie der Gewerkschaftsbund Poe-Ota riefen für Mittwoch zu einem 24-stündigen Streik auf. Am Montagabend demonstrierten vor dem Parlament in Athen bereits etwa 700 Mitglieder von Adedy sowie von linken Parteien gegen die Bedingungen der Euroländer. Allerdings sind die Griechen auf eine schnelle Lösung angewiesen, um endlich wieder frei über ihr Geld verfügen zu können. Das Finanzministerium verlängerte am Montag die seit Ende Juni geltenden Kapitalverkehrskontrollen bis Mittwoch, die Banken bleiben also vorerst weiter geschlossen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte am Montag einer Erhöhung der Notkredite für die griechischen Banken erneut eine Absage erteilt. Da es Wochen dauern kann, bis das dritte Rettungsprogramm für Griechenland steht, beraten die Euro-Länder auch über eine Überbrückungsfinanzierung für Athen. Beim Treffen der Euro-Finanzminister in Brüssel gab es dazu am Montagabend noch keine Lösung. Am Dienstag sollten sich alle EU-Finanz- und Wirtschaftsminister zu weiteren Beratungen treffen. Doch vor allem aus Großbritannien kommt Widerstand. Auch das "Handelsblatt" berichtete am Dienstag unter Berufung auf Vertreter der Eurozone, der EFSM, der noch über 11,5 Milliarden Euro verfüge, könne reaktiviert werden. Diese Möglichkeit stehe auf einer Liste der Euro-Finanzminister mit Optionen zur Brückenfinanzierung, die Experten nun prüfen sollten. Auch Zinsgewinne von EZB und Euro-Notenbanken mit griechischen Staatsanleihen könnten demnach genutzt werden. Für 2014 und 2015 seien dies 3,2 Milliarden Euro. Auch bilaterale Kredite, etwa von Frankreich, wurden laut "Handelsblatt" für möglich gehalten. Dem Bericht zufolge brachte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Einsatz von Schuldscheinen ins Spiel. Damit könnte die griechische Regierung aber nur inländische Zahlungsverpflichtungen bedienen. Außerdem gebe es die Sorge, dass dies ein erster Schritt zu einer Parallelwährung in Griechenland sein könnte.
Gegenwind gibt es für Tsipras auch in den eigenen Reihen. Einige Minister haben angekündigt, bei der Abstimmung über erste Teile des Reformpakets am Mittwoch mit Nein zu stimmen. Tsipras wird deshalb möglicherweise sein Kabinett umbilden müssen.
Mehrheit der Deutschen für neues Hilfspaket: Eine Mehrheit der Deutschen begrüßt einer Umfrage zufolge die zwischen Griechenland und den Gläubigern getroffene Schuldenvereinbarung, ist aber skeptisch was deren Umsetzung durch die Regierung in Athen angeht. Die weitere finanzielle Unterstützung für Griechenland bezeichneten 52 Prozent der Befragten als richtig, wie aus einer am Montagabend veröffentlichten Blitzumfrage für den ARD-DeutschlandTrend hervorgeht. 44 Prozent hielten die Unterstützung für falsch. Die von Griechenland verlangten Spar- und Reformauflagen fanden demnach 57 Prozent angemessen und 22 Prozent nicht angemessen. Für 13 Prozent gehen sie zu weit.
Auf die Frage, ob sie der griechischen Regierung vertrauten, die vereinbarten Reformen auch umzusetzen, antworteten 78 Prozent der Befragten mit "Nein", nur 18 Prozent mit "Ja". Befragt wurden im Laufe des Montags rund 1000 Menschen. Die Euro-Staaten hatten sich am Morgen auf die Grundzüge für ein drittes Hilfsprogramm im Umfang von bis zu 86 Milliarden Euro geeinigt.
Großbritannien gegen neue Milliarden: Die britische Regierung will Medienberichten zufolge jedwede finanzielle Beteiligung am neuen Hilfsprogramm für Griechenland abwenden. Vor dem Treffen der EU-Finanzminister am Dienstag in Brüssel habe der britische Ressortchef George Osborne darüber eine Reihe von Telefonaten mit seinen europäischen Kollegen geführt, berichteten am Dienstag die Zeitung "Financial Times" und andere Medien.
"Unsere Kollegen von der Eurozone haben klar und deutlich die Botschaft erhalten, dass es nicht hinnehmbar wäre, in dieser Angelegenheit eine britische Unterstützung wiederaufzugreifen", verlautete aus dem Finanzministerium in London. "Die Vorstellung, das Geld britischer Steuerzahler für die neuste Vereinbarung mit Griechenland zu verwenden, ist ein Rohrkrepierer", hieß es weiter.
2010 hatte der britische Premierminister David Cameron die Zusage erhalten, dass der damalige Europäische Stabilitätsmechanismus (EFSM) aller EU-Staaten keine Hilfsprogramme für Euro-Länder mehr gewährt. Vielmehr sollen nur die 19 Euro-Länder für solche Hilfsprogramm gerade stehen. Britischen Medien zufolge hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker allerdings vorgeschlagen, den EFSM als zusätzliche Sicherheit für kurzfristige Kredite für Griechenland wiederzubeleben. Ein britischer Regierungssprecher sagte dazu, Cameron gehe davon aus, dass die Zusage von 2010 weiter gelte und der EFSM nicht mehr genutzt werde.
Cameron sieht sich einer wachsenden EU-Skepsis der Briten gegenüber. Deshalb hatte er vor seiner Wiederwahl im Mai versprochen, bis spätestens Ende 2017 ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU abhalten zu lassen. Um sein Land in der EU zu halten, bemüht er sich derzeit, günstigere Bedingungen für Großbritannien auszuhandeln.
Griechenland zahlt weitere IWF-Rate nicht: Griechenland hat eine am Montag fällige Kreditrate in Höhe von 456 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht beglichen. Damit summiere sich der Zahlungsrückstand nunmehr auf rund 2,0 Milliarden Euro, informierte der IWF in der Nacht zu Dienstag.
Darüber hinaus stehen für Griechenland weitere Zahlungen an. Allein an die Europäische Zentralbank muss das Land am 20. Juli eine Tranche in Höhe von 3,5 Milliarden Euro überweisen.
Varoufakis: "Ich hätte auch die schwedische Nationalhymne singen können": Nach seinem überraschenden Rücktritt als griechischer Finanzminister hat Yanis Varoufakis in einem Interview über seine Zeit bei der Eurogruppe und die Gründe für seinen Rückzug gesprochen. Varoufakis sagte dem britischen Magazin "New Statesman" in einem am Montag veröffentlichten Interview, wann immer er bei seinen europäischen Ministerkollegen wirtschaftliche Argumente vorgebracht habe, sei er mit "leeren Blicken" bedacht worden. "Ich hätte auch die schwedische Nationalhymne singen können, da hätte ich dieselbe Reaktion erhalten", sagte der Wirtschaftswissenschaftler dem Magazin.
Das Interview mit dem "New Statesman" wurde vor dem jüngsten Abkommen zwischen Griechenland und der Eurogruppe über ein neues Hilfsprogramm geführt. Varoufakis hatte eigentlich für den Fall, dass die Griechen beim Referendum vor über einer Woche über die Gläubigerpläne mit Ja stimmen, seinen Rücktritt in Aussicht gestellt. Die Griechen stimmten indes mit über 61 Prozent gegen die Reformforderungen - Varoufakis trat überraschend trotzdem zurück.
Als Grund nannte er die ablehnende Haltung ihm gegenüber in der Eurogruppe. Zudem sei sein Abschied von Regierungschef Alexis Tsipras als "potenziell hilfreich" betrachtet worden. Dem britischen Magazin sagte Varoufakis nun, er sei zurückgetreten, weil er bei einem Kabinettstreffen überstimmt worden sei, bei dem er für eine harte Linie gegenüber der Europäischen Zentralbank (EZB) geworben hatte. So schlug er unter anderem vor, der EZB die Kontrolle über die griechische Zentralbank abzunehmen sowie Schuldscheine einzuführen. Er sei aber bei zwei zu vier Stimmen überstimmt worden.
Varoufakis zeigte sich zudem erleichtert, die Zeit als Minister hinter sich zu haben. Fünf Monate lang habe er täglich nur zwei Stunden geschlafen. "Und ich bin erleichtert, nicht mehr diesen unerträglichen Druck zu haben, eine Position zu verhandeln, die ich nur schwer verteidigen kann." Mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ging er hart ins Gericht. Die Euro-Finanzminister seien "komplett" von ihm dominiert. Die Gruppe sei "wie ein äußerst gut dirigiertes Orchester" mit Schäuble als Chef. (Mit AFP/dpa/Reuters/epd)