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Alte und neue Präsidentin in Taiwan: Tsai Ing-wen.
© kyodo/dpa
Update

Wahl als Protest gegen China: Tsai Ing-wen bleibt Präsidentin in Taiwan

Vor einem Jahr gab man ihr keine Chance. Jetzt ist Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen offenbar wiedergewählt. Das liegt auch an Chinas hartem Kurs in Hongkong.

Annie Tung kennt beide Seiten. Die 33-jährige Taiwanesin hat einige Jahre für eine Bank in Peking gearbeitet, angeworben durch eine Kampagne der Kommunistischen Partei Chinas, die junge Menschen aus Taiwan aufs chinesische Festland locken sollte. Der Konflikt innerhalb Taiwans zieht sich mitten durch die Familie Tung. 2014 hatte Tochter Annie aus Peking die Besetzung des taiwanischen Parlaments durch Studenten mitverfolgt.

Erste Hochrechnungen in Taiwan zeigen 57 Prozent für Tsai Ing-wen

„Mein jüngerer Bruder ist damals bei den Protesten gewesen und hat die Uni geschwänzt. Als mein Vater davon erfuhr, gab es Riesenstreit, und sie haben lange nicht miteinander gesprochen. Mein Bruder ist stolz darauf, Taiwaner zu sein und wollte nicht, dass China sein Land unterdrückt“, sagt die 33-Jährige. Sie hat aber auch Verständnis für ihren Vater, der mit seiner Leuchtmittelfirma viele Abnehmer in Festlandchina hat.

Die Beziehung Taiwans zu China hat wohl auch die Präsidentschaftswahl an diesem Samstag entscheiden. Noch vor einem Jahr hätte niemand gedacht, dass die amtierende Präsidentin Tsai Ing-wen wiedergewählt wird. Doch die Amtsinhaberin hat sich offenbar durchgesetzt.

Wie der Fernsehsender SET TV am Samstag nach Auszählung von mehr als der Hälfte der Stimmen meldete, konnte Tsai 57,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Der Sender CtiTV gab Tsais Stimmenanteil mit 56,7 Prozent an. Beide Hochrechnungen basieren auf der Auszählung von mehr als zehn Millionen abgegebenen Stimmen. Als Wähler registriert waren rund 19 Millionen Taiwaner. Der Kandidat der oppositionellen Kuomintang-Partei, Han Kuo-yu, trat am Samstagabend in der südchinesischen Hafenstadt Kaohsiung vor seine Anhänger und sagte, er habe die Präsidentin angerufen und ihr seine Glückwünsche übermittelt.

Ursache für den Stimmungswandel ist der Widerstand gegen den Druck Pekings auf Taiwan. Er ist zum entscheidenden Faktor bei der Wahl geworden. Die Proteste in Hongkong und die harte Linie der kommunistischen Führung lassen Taiwan als das letzte Bollwerk von Demokratie und Freiheit gegen das diktatorische System in Peking erscheinen – und Tsai Ing-wen als Vorkämpferin.

„In den vergangenen Jahren haben sich Chinas diplomatische Offensive, der militärische Druck, die Einmischung und Infiltration unvermindert fortgesetzt“, sagte Tsai in ihrer Neujahrsansprache. „Chinas Ziel ist klar: Es will Taiwan dazu zwingen, Abstriche bei unserer Souveränität zu machen.“

So betrachtet Peking die Insel als Teil der Volksrepublik, obwohl Taiwan nie dazugehört hat. Es droht sogar mit einer militärischen Eroberung. Als erster Staats- und Parteichef Chinas wirkt Xi Jinping richtig ungeduldig und will die Aufgabe „nicht von einer Generation zur nächsten reichen“.

„Ein Land, zwei Systeme“ funktioniert nicht

Xi propagierte vor einem Jahr das in Hongkong verfolgte Modell „ein Land, zwei Systeme“ als seine Lösung, um Taiwan an die Volksrepublik anzuschließen. Eine Idee, die in Taiwan immer schon auf Ablehnung gestoßen war. Seit dem späten Frühjahr zeigt sich bei den Protesten in Hongkong, dass dieser Grundsatz ein unauflösbarer Widerspruch ist.

Was die sieben Millionen Hongkonger vergeblich einfordern, leben die 23 Millionen Taiwaner schon seit mehr als zwei Jahrzehnten. „Taiwan kann das Hongkong von Morgen sein“, befürchten die Taiwaner deswegen heute. „In den vergangenen sechs Monaten konnte die Welt sehen, wie sich die Lage in Hongkong unter „ein Land, zwei Systeme“ verschlechtert hat“, sagte Tsai in ihrer Ansprache.

Die Taiwanesen wollen sich nicht einschüchtern lassen und scharen sich hinter Präsidentin Tsai.
Die Taiwanesen wollen sich nicht einschüchtern lassen und scharen sich hinter Präsidentin Tsai.
© Sam Yeh/AFP

Mit ihrer Botschaft trifft die 63-Jährige einen Nerv. Die schwere Niederlage ihrer Fortschrittspartei (DPP) bei der Kommunalwahl im November 2018 scheint vergessen. Drehte sich damals alles um innenpolitische Probleme, geht es bei der Präsidentenwahl um die blanke Existenz Taiwans in der „neuen Ära“ eines selbstbewusst auftretenden Xi Jinping.

Die Opposition wanzt sich an China heran

Die Kommunalwahl hatte der oppositionellen Kuomintang-Partei eigentlich neue Hoffnung gegeben. Nachdem ihr populistischer Politiker Han Kuo-yu erstmals die DPP-Hochburg in der Hafenmetropole Kaohsiung erobert hatte, wirkte der 62-Jährige plötzlich als neuer Star. Sein Aufstieg vom frisch gebackenen Bürgermeister zum Präsidentschaftskandidaten ging jedoch auch seinen Anhängern zu schnell. Dass er im März heimlich beim chinesischen Verbindungsbüro in Hongkong vorbeischaute, zeugte nicht für politisches Gespür und sorgte für Misstrauen. Kurz vor der Wahl kommt Han mit seiner chinafreundlichen Linie in Umfragen nur noch auf 15 Prozent.

Was ihn auch von Präsidentin Tsai unterscheidet, ist sein Festhalten an dem „Konsens von 1992“. Damit ist eine weitere widersprüchliche Formel Pekings gemeint, wonach beide Seiten damals anerkannt haben sollen, dass es nur ein China gibt. Während also Xi mit aller Härte darauf pocht, für ganz China Vertretungsanspruch zu haben, wollen immer weniger Taiwaner die Demokratie in ihrem Land gegen Pekings Herrschaft eintauschen.

Auch Annie Tung ist in ihre Heimat zurückgekehrt und arbeitet jetzt im Süden Taiwans für eine NGO. Ihre Familie wird auch am Samstag sehr unterschiedlich wählen. Doch eines haben sie gemeinsam: Als Chinesen sehen sie sich schon lange nicht mehr. (mit dpa)

Ning Wang

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