Massenmord von El Paso: Trump liefert das Vorwort zur Tat
Viele Äußerungen des US-Präsidenten sind verbale Gewalt. Seine Hetze enthält die Stichworte für Attentäter wie den von El Paso. Ein Kommentar.
Aus Worten können Stachel werden. So entstand der anschauliche Begriff „Anstachelung“. Zweifellos hat Donald Trump, auch wenn er jetzt zurückzurudern versucht, zu Ressentiments und pauschaler Wut auf ganze Gruppen der amerikanischen Bevölkerung angestachelt, als er Wohnorte oder Herkunftsländer ganzer Gruppen der Bevölkerung als „Drecklöcher“ bezeichnete, die von „Ratten“ oder „Nagern“ befallen seien, als er Mexikaner pauschal als Vergewaltiger und Kriminelle brandmarkte und Ähnliches mehr.
Auf solche verbalen Ausbrüche des amtierenden US-Präsidenten ist Verlass wie auf Gewitter im Sommer. Sie präsentieren Trump als nicht zu bremsendes Naturereignis, als patriarchalen Volksvulkan, dessen Invektiven wie unvermeidliche Lavabrocken auf die Bevölkerung regnen. Indem er derart wettert, scheint Trump der Mehrheit Warnhinweise auf andere Naturphänomene zu geben, er schreibt den geschmähten Minderheiten naturgegebene, quasi genetische Eigenschaften zu: Die sind alle so! Das ist entwertend, dehumanisierend, rassistisch.
Es ist verbale Gewalt. Dennoch wäre es kaum möglich, Trump als indirekten Auftraggeber des Attentäters anzuklagen, der jetzt in El Paso einen vermutlich rassistisch motivierten Massenmord begangen hat. Trumps Hetze soll die Stammtische zur Wahlurne bringen. Stellvertretend für unzufriedene Amerikaner artikuliert er deren Ressentiments und verschärft sie, was umso unverantwortlicher ist, als er dem Staat vorsteht. Doch hütet sich der Zeterer, zu Straftaten aufzurufen. Der Mann ist eben alles andere als ein Naturereignis, er ist ein perfider Politiker mit Kalkül – ebenso wie Jair Bolsonaro, Viktor Orban oder Matteo Salvini.
Diese Regierenden, die gern von Grenzen reden, reißen selber Grenzen ein, zivilisatorische, demokratische.
Worte werden zu mörderischer Gewalt
Dass aus Worten Taten werden können, ist lange bewiesen. Niemand muss Linguist oder Psychologe sein, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Und je dichter die Sprache der Gewalt eine Gesellschaft durchdringt, umso gefährlicher wird es. Auf beeindruckende Weise schildert Christa Wolf in ihrem Roman „Kindheitsmuster“, wie das antisemitische Gift während des Nationalsozialismus auch in Schulkinder einsickerte. „Ein deutsches Mädel muss hassen können“, hatten die Lehrer ihnen eingetrichtert: „Juden und Kommunisten und andere Volksfeinde.“
Schonungslos schilderte die Schriftstellerin, Jahrgang 1929, wie sie als Kind der Hetze anheimfiel. Einen Anflug von Mitempfinden unterdrückte das folgsame Mädchen noch, als es in der Reichspogromnacht die Rabbiner aus der brennenden Synagoge des kleinen Ortes flüchten sah. Im Bildungsapparat und durch Propaganda wurde die Bevölkerung auf Hass verpflichtet.
Erst 2002 wieder befasste sich ein internationales Strafgericht mit Hassrede und medialer Hetze, als vor dem UN-Tribunal in der Stadt Arusha in Tansania der Genozid von Ruanda verhandelt wurde. Tag und Nacht hatte der Sender „Radio Mille Collines“, das „Radio der tausend Hügel“, im Namen der Hutu zum Hass gegen die Gruppe der Tutsi aufgerufen. Tutsi wurden denunziert als „Kakerlaken und Ungeziefer“, die Hutu sollten mit ihnen „noch mehr Gräber füllen“. Für den Genozid brauchte es keine modernen Massenvernichtungswaffen. Mit Macheten übersetzten die Täter Worte in mörderische Gewalt.
Nun ist Donald Trump kein Diktator, US-Schulen sind keine Hassvermittler, die Presse ist frei. Die Gewalt in Ohio und Texas war keine staatliche, sondern private, begangen von schwer verstörten Individuen, die höchstwahrscheinlich Sündenböcke und Ventile für belastendes Material aus ihrer Biografie suchen.
Aber dass sie dafür die Stachel und Stichworte von einem antisozialen Präsidenten geliefert bekommen, ist alarmierend. Es verlangt nach Antworten. Schärfere Waffengesetze wären da ein erster Schritt. Doch auch dann bleibt noch ein sehr langer Weg zu gehen.