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Die Premierministerin tröstet eine Frau während ihres Besuchs der Kilbirnie-Moschee in Christchurch..
© dpa

Neuseeland nach dem Anschlag: Trost geben, Stärke zeigen

Neuseelands Regierungschefin Ardern will ihr Land aus dem Schockzustand nach den Morden von Christchurch führen – und schärfere Waffengesetze durchsetzen.

Jacinda Ardern, Neuseelands 38-jährige Regierungschefin, ist seit vergangenem Freitag fast ständig in den Medien präsent. Seit dem furchtbaren Terroranschlag auf zwei muslimische Gemeinden in Christchurch, bei dem ein Rechtsextremist 50 Menschen ermordet hat, sind die Kameras und Fotoapparate auf sie gerichtet, sobald sie sich in der Öffentlichkeit zeigt. Und das ist gefühlt stündlich. Arderns ernstes Gesicht zeigt die Anspannung, es scheint noch schmaler geworden als ohnehin schon.

Sie ist nicht mehr die unbeschwerte junge Frau, der einfach alles zu gelingen scheint, die vor zwei Jahren ihre Labour-Partei mit einem fulminanten Wahlkampf aus der Krise führte, Premierministerin wurde und acht Monate später dann Mutter. Auch in der internationalen Politik wurde sie zum Star. Dass US-Präsident Donald Trump sie beim ersten Zusammentreffen für die Ehefrau des kanadischen Premierministers Justin Trudeau hielt, kam ihrem Image zu Hause in Neuseeland sogar noch zugute.

Jetzt muss Ardern ein Land führen, das nach dem Massenmord in der Moschee von Christchurch so tief erschüttert ist wie kaum jemals zuvor in seiner Geschichte. Und die Regierungschefin zeigt, wie fest sie zur Führung entschlossen ist. Am Montag versammelte sie ihr Kabinett, um eine Verschärfung der Waffengesetze rasch auf den Weg zu bringen. Die Waffenlobby ist in Neuseeland ähnlich stark wie in den USA. An ihrem Widerstand sind bisher drei Versuche gescheitert, den privaten Waffenbesitz wenigstens einzuschränken: 2005, 2012 und 2017.

In Arderns Regierung hatte der Koalitionspartner, die nationalpopulistische Partei New Zealand First (NZF), bislang ein Verbot halbautomatischer Waffen blockiert. Jetzt wagt es die NZF nicht mehr, auf dieser Position zu verharren. Arderns Vize-Regierungschef sagt vielmehr: „Unsere Welt hat sich für immer geändert. Deshalb werden sich auch unsere Gesetze ändern.“ Einfach wird es die Regierungschefin dennoch nicht haben, denn die Details sind strittig. Ardern meint dazu: „Wir wollen uns Zeit lassen, das richtig zu machen.“ Jedoch in zehn Tagen soll der Entwurf des neuen Gesetzes schon fertig sein. Ardern weiß offensichtlich, wie leicht sich Stimmungen ändern können. Die Neuseeländer reagierten unterschiedlich auf den Terrorakt. Manche gaben freiwillig ihre Gewehre bei der Polizei ab, aber es gab auch einen Ansturm auf Waffengeschäfte.

Arderns Wahlkampf brachte die Wende

Die Regierungschefin ist am Beginn ihrer politischen Karriere und in den ersten beiden Jahren ihrer Amtszeit praktisch alles gelungen, was sie begann. „Happy go lucky“ nennt man solche Menschen im Englischen. Als Ardern an die Spitze der sozialdemokratischen Labour Party trat, schien die Regierungsübernahme eine Illusion. Doch ihr Wahlkampf brachte die Wende. Medien bezeichneten sie in einem eher unglücklichen Vergleich als Neuseelands Justin Trudeau und später als die „globale Heldin“, die die linke Politik weltweit gerade brauche. Ihre offene, freundliche Art löste schon früh eine Welle aus, die die neuseeländischen Journalisten „Jacindamania“, eine „Jacinda-Manie“, tauften. Ardern machte sich für eine Gleichstellung der Frauen und die Maori, die neuseeländischen Ureinwohner, stark. Und ihr gelingt es, eine unmöglich scheinende Regierungskoalition aus Rechtspopulisten, Grünen und ihrer eigenen sozialdemokratischen Partei zusammenzuhalten.

Während ihrer Amtszeit bekam sie ein Baby

Regierungschefinnen sind weltweit ohnehin selten, aber Ardern ist ein noch seltenerer Fall von Politikerin. Als zweite Regierungschefin überhaupt bekam sie während ihrer Amtszeit ein Baby, sechs Wochen nur ging sie in Mutterschutz. Ihre Tochter brachte Ardern dann auch mit zur UN-Vollversammlung, was den Kreis ihrer Fans noch erweiterte. Aber diese Reise und ihre Auftritte in US- Talkshows riefen auch ihre Kritiker auf den Plan. Sie warfen der Regierungschefin vor, solche publikumswirksamen Auftritte seien doch lediglich effektheischend und in Wahrheit substanzlos. Doch auch ihr politischer Kurs trifft nicht nur auf Gegenliebe. Heftig fiel die Kritik der Opposition aus, als die Koalition den Verkauf von Immobilien an Ausländer verbot und den Mindestverdienst anhob.

Nach dem Attentat vom vergangenen Freitag liegen noch immer Dutzende Menschen im Krankenhaus, darunter ein vierjähriges Mädchen, dessen Zustand kritisch ist. Der Schock über das Verbrechen hat die Haltung einer Mehrheit der Neuseeländer zum Thema Waffengesetze offensichtlich verändert, aber das allein wäre zu wenig. Entscheidend ist auch die Reaktion der Regierungschefin auf das Attentat. Bisher, da sind sich die Neuseeländer einig, macht Ardern ihre Sache gut. Ihre Auftritte, ihr Ton stimmen.

Gleich in den ersten Stunden sagte sie: „Wir sind kein Ziel geworden, weil wir ein sicherer Hafen sind für die, die uns hassen. Man hat uns nicht gewählt, weil wir Rassismus billigen oder eine Enklave des Extremismus sind. Sondern, weil wir eben all dies nicht sind.“ Die Premierministerin gehörte auch zu den Leuten, denen der mutmaßliche Täter, der 28 Jahre alte Rassist aus Australien namens Brenton Tarrant, per E-Mail seine rechte Kampfschrift schickte. Die Mail ging auf einer der Adressen in Arderns Büro ein, neun Minuten vor Beginn der Tat – zu spät, um etwas verhindern zu können.

"Neuseeland ist in Trauer vereint"

Nach der Tat fuhr die Regierungschefin rasch nach Christchurch. Als sie mit den Hinterbliebenen und Gemeindemitgliedern redete, trug sie sein schwarzes Kopftuch, wie es Muslimas tragen. Sie sagte: „Neuseeland ist in Trauer vereint. Wir sind in Trauer vereint.“ Immer wieder nahm die 38-Jährige Frauen in den Arm. Trost spendend, ruhig, respektvoll und fürsorglich zugleich. Ihr Lebensgefährte Clarke Gayford, ein TV-Moderator, der sich um die Erziehung von Tochter Neve Te Aroha kümmert, war dabei. Die muslimische Gemeinde bedankte sich für die Unterstützung. „Als die Premierministerin zu uns kam und dabei ein Kopftuch trug, das war eine große Sache für uns“, sagte Dalia Mohamed der australischen Agentur AAP. Mohamed hat den Schwiegervater ihrer Tochter bei dem Massaker verloren. Sie arbeitet als freiwillige Helferin in der Al-Noor-Moschee, in der über 40 Menschen ums Leben kamen.

Ardern hat die volle Unterstützung ihres Landes. Sie habe einen „herausragenden Job“ gemacht, schrieb der prominente neuseeländische Journalist Eric Young beispielsweise auf Twitter. „Ich wünschte aus ganzem Herzen, dass sie es nicht hätte machen müssen, aber ich bin stolz, dass sie es gemacht hat.“ (mit dpa)

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