Parlamentswahlen am Sonntag: Traumatisierte Finnen
In Finnland wird am Sonntag gewählt, ein Umbruch an der Regierungsspitze gilt als sicher. Die Finnen wollen die tiefe Wirtschaftskrise hinter sich lassen. Mit dem Machtwechsel könnten Rechtspopulisten in die Regierung kommen.
Wer will wo sparen und wie viel – das ist eine der wichtigsten Fragen vor den finnischen Parlamentswahlen am Sonntag. Spendierhosen sind nicht mehr angesagt, seit der Handy-Riese Nokia vom Weltmarktführer zum Problemfall geworden ist und die gesamte Wirtschaft mit in die Tiefe gerissen hat. Die Flaute beim wichtigen Handelspartner Russland tut das ihre dazu, dass der einstige "EU-Musterschüler" Finnland derzeit die schwerste Wachstumskrise seit dem Einbruch seiner Ostmärkte vor einem Vierteljahrhundert durchlebt. Im Februar sprengte die Arbeitslosenquote die Marke von zehn Prozent; vor zwei Wochen wurden die Erwartungen für das Wirtschaftswachstum 2015 auf 0,5 Prozent zurückgestuft.
Premier Alexander Stubb ist Zielschreibe der Kritik
Zielscheibe für den Frust vieler Wähler ist Premier Alexander Stubb (47) von der konservativen Sammlungspartei. Seine blockübergreifende Vier-Parteien-Koalition wird von internen Konflikten geschwächt und mangelnder Tatkraft geziehen. Linksbündnis und Grüne haben die Regierung bereits verlassen. Meinungsverschiedenheiten gibt es jetzt zwischen Konservativen und Sozialdemokraten, deren Vorsitzender Antti Rinne das Finanzressort innehat.
Der Ministerpräsident selbst bezeichnete gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters die vergangenen vier Regierungsjahre als "traumatisch". Meinungsumfragen sehen Stubb vor einer Pause: Die Konservativen werden demnach aller Voraussicht nach vom ersten Platz verdrängt und der Bürde der Regierungsbildung enthoben. Statt guter 20 Prozent bei den Wahlen 2011 kommen sie nur auf 17 Prozent und wetteifern mit den Sozialdemokraten (ebenfalls 17 statt zuvor 19 Prozent) und den EU- und einwanderungskritischen "Wahren Finnen" (16 statt vorher 19 Prozent) um Platz Zwei. Als so gut wie sicherer Wahlsieger gilt die liberale Zentrumspartei, die mit bis zu 25 Prozent rechnen kann.
Juha Sipilä hat gute Chancen, Ministerpräsident zu werden
Das Zentrum, das nach einer Wahlschlappe 2011 sich im Oppositionslager neu sortieren konnte, beeindruckt vor allem mit dem konstruktiven Stil des Parteivorsitzenden Juha Sipilä (53). Der frühere erfolgreiche Unternehmer "kritisiert die Regierung nur, wenn er sich im Besitz besserer Argumente wähnt, betont aber angesichts des teils chaotischen Koalitionsgeschehens sein Know-how in Sachen strategischer Führung. Das kommt an", sagt die Politologin Åsa von Schoultz im finnischen Rundfunk. Sipilä traue man am ehesten zu, die Wirtschaft wieder aufs rechte Gleis zu bringen. Der gelernte Ingenieur will massiv in Bioenergie investieren und stellt so in den nächsten zehn Jahren 200.000 neue Jobs in Aussicht. Seine Partei gilt als experimentierfreudig und befürwortet die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.
Über mögliche Koalitionspartner hüllt er sich in Schweigen
In der zentralen Wahlkampffrage des Ja oder Nein zu sozialen Sparmaßnahmen platziert sich das Zentrum zwischen Konservativen und Sozialdemokraten. Einen Ausbau der Zusammenarbeit auf EU-Ebene sieht die Partei skeptisch; zur Vorsicht rät man auch im Bezug auf einen möglichen Nato-Beitritt, der in dem neutralen Land angesichts aktueller russischer Expansionsbestrebungen wieder zum heißen Thema geworden ist.
Über mögliche Koalitionspartner hüllt sich Sipilä bislang in Schweigen. Als wahrscheinlich gilt in dem Land, in dem blockübergreifende Koalitionen eher Regel denn Ausnahme sind, eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten – eine Variante, die dem Meinungsforschungsinstitut Gallup zufolge auch das Gros der Wähler befürwortet. Entsprechend dem Grundsatz, "Aufmüpfige" in Verantwortung einzubinden, gibt man zudem den "Wahren Finnen" gute Chancen auf eine erstmalige Regierungsbeteiligung ein.
Die "Wahren Finnen" könnten mit an die Regierung kommen
Die Partei unter dem rhetorisch geschickten Timo Soino (52) gefällt sich bislang vor allem im Protest – gegen Homo-Ehen als Zeichen moralischen Verfalls ebenso wie gegen die "etablierte Politik", die EU und die Einwanderungspolitik. Einwanderung und Asyl wie 2011 zum großen Thema zu machen, ist den "Wahren Finnen" diesmal nicht gelungen – kaum verwunderlich angesichts der gerade mal 3620 Asylbewerber, die Finnland Eurostat zufolge 2014 aufgenommen hat.
Die Rechtspopulisten wollen, dass Griechenland aus der Euro-Zone fliegt
Auch der EU-Stabilitätspakt, den die Partei 2011 zum zentralen Thema gemacht hatte, hat inzwischen an Brisanz verloren. Dass das so ist, können die "Wahren Finnen" gleichwohl als Erfolg verbuchen: Nicht zuletzt unter ihrem Einfluss erkämpfte sich Finnland 2011 als Gegenleistung für die Beteiligung am Euro-Krisenfonds die Einrichtung eines Treuhandkontos für den Fall, dass Griechenland Kredite nicht zurückzahlen kann. Mehr als 900 Millionen Euro sind aus Griechenland bisher auf das Konto geflossen. Das „Finnen-Pfand“ ist einmalig in der EU. Für den Chef der "Wahren Finnen" ist damit noch längst nicht alles gut: "Griechenland", sagt Soino, "gehört aus der Euro-Zone geworfen."
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