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Was würden Sie machen, wenn Ihr Einkommen gesichert wäre? Gute Frage - hier mitten in Genf: 2016 gab es in der Schweiz eine Volksabstimmung übers Grundeinkommen.
© Magali Girardin/dpa

"Solidarisches" oder "bedingungsloses" Grundeinkommen?: "Trauen Sie den Menschen die Freiheit zu!“

Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens kritisieren Michael Müllers Vorschläge: Sie würden "Arbeitszwang" manifestieren und die bestehenden Sozialsysteme nur fortschreiben.

Von Carsten Werner

Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens kritisieren den Vorschlag von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) für ein „solidarisches Grundeinkommen“. Er hatte in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel vorgeschlagen, „was wegen klammer staatlicher Kassen heute nicht möglich ist“: „Sperrmüllbeseitigung, Säubern von Parks, Bepflanzen von Grünstreifen, Begleit- und Einkaufsdienste für Menschen mit Behinderung, Babysitting für Alleinerziehende“ sowie ehrenamtliche Tätigkeiten künftig „mit dem vielen in Sozialetats veranschlagten Geld aus den verwaltenden Arbeitsagenturen“ zu bezahlen – es gebe „genug zu tun“.

Michael Bohmeyer, dessen Verein „Mein Grundeinkommen“ regelmäßig ein einjähriges Grundeinkommen von monatlich 1.000 Euro aus Spenden finanziert und verlost, kritisiert Müllers Idee: „Ein Grundeinkommen mit Arbeitszwang, wie es Müller beschreibt, haben wir heute schon: Es nennt sich Hartz 4 und erzeugt bei den Betroffenen das Gegenteil von ,Lebenssicherheit’.“ Wer tatsächlich „mündige Bürger“ möchte, müsse „ihnen zugestehen, dass sie selbst am besten entscheiden können, wie sie ihr Leben gestalten wollen“, sagte Bohmeyer dem Tagesspiegel.

Die Experimente seines Vereins zeigten die Wichtigkeit wirklicher „Bedingungslosigkeit“ beim Grundeinkommen, um das sich jeweils etwa 500.000 Menschen bewerben: „Bisher haben wir 112 Mal unterschiedlichsten Menschen ein Grundeinkommen ausgezahlt. Sie berichten: Die Bedingungslosigkeit versetzt sie in eine tiefe innere Sicherheit und Ruhe, aus der eine neue Form der Eigenverantwortung erwächst. Die Menschen haben weniger Stress, leben gesünder, engagieren sich ehrenamtlich, bilden sich fort, gründen Firmen und Familien rücken näher zusammen. Ihren Job gekündigt haben nur vier – und alle vier arbeiten in anderen, für sie besser passenden Jobs weiter.“ Die Arbeit bleibt nicht liegen.

Grundeinkommen hätte ein Großprojekt von Rot-Rot-Grün sein können

Adrienne Goehler, die sich als Publizistin seit Jahren für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzt, wundert sich über den Zeitpunkt von Müllers Initiative: „Ah ja! Jetzt plötzlich, nach der desaströs verlorenen Wahl, aus der sicheren diskursiven und realen Abgeschlagenheit der Opposition heraus, entdeckt Michael Müller für die SPD das Grundeinkommen?!“ sagte die ehemalige Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Berlin und Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds dem Tagesspiegel. Über so dringliche Fragen wie: „Wieso finanzieren wir den Ausschluss aus der Gesellschaft, anstatt uns um die Teilhabe zu bemühen?“, die Müller jetzt formuliere, „hätte das leidenschaftliche Gespräch vor den Wahlen beginnen müssen, um zum ,grand projet’ einer zeitgemäßen rot-grün-roten Regierung zu werden. Die hätte sich einerseits auf eine weltweite Bewegung stützen können, anderseits zunehmend auf die globalen Player der digitalen Industrie. Es hätte ein öffentliches politisches Ringen beginnen können, was die Industrie dafür tun muss und was ,bedingungslos’ als kultureller Impuls gegen eine existenziell empfundene Angst meint.“

Dabei gehe es „um viel mehr als um solidarische Sicherungssysteme“. Goehler stimmt Müller zu, „dass die Finanzierbarkeit vor allem eine Frage des politischen Willens sei“, wie er schreibt – „aber Glaubwürdigkeit geht anders“. Offenbar müsse die SPD „um sich selbst neu zu erfinden, erst einmal lernen zuzuhören und zu lernen“.

In der Schweiz gab es 2016 eine Volksabstimmung über ein Grundeinkommen - seit 2013 wurde dafür mit Aktionen und Unterschriftensammlungen geworben. Abgelehnt wurde es trotzdem.
In der Schweiz gab es 2016 eine Volksabstimmung über ein Grundeinkommen - seit 2013 wurde dafür mit Aktionen und Unterschriftensammlungen geworben. Abgelehnt wurde es trotzdem.
© Peter Klaunzer/dpa-pa/Keystone

Auf die Arbeit kommt es an

DGB-Chef Reiner Hoffmann hatte sich positiv gerade über den möglichen Effekt von Müllers Vorschlag für die Sozialsysteme geäußert: „Der Denkanstoß eines solidarischen Grundeinkommens geht in die richtige Richtung, wenn damit, wie von Müller angedacht, ein sozialer Arbeitsmarkt gefördert wird.“ Auch Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sagte: „Ich finde es richtig, dass man so viele Menschen wie möglich mit einem solidarischen Grundeinkommen in Arbeit bringt, die einen Wert für die Gesellschaft hat“, sagte DIW-Chef . Der Berliner CDU-Generalsekretär Stefan Evers sagte dem Tagesspiegel dagegen, Müllers Idee klinge „nach einem öffentlichen Beschäftigungsprogramm zum Minimaltarif“.

Müller hatte geschrieben, er halte „nichts von einem bedingungslosen Grundeinkommen“, da „Diskussionen um soziale Hängematten, Hartz-IV-Adel und die Vorstellung, dass sich Arbeiten nicht lohnt, wenn man es doch gut mit Stütze aushalten könne, den gesellschaftlichen und politischen Diskurs noch viel zu sehr in diesem Kontext prägen“ würden. Arbeit sei nach seiner „festen sozialdemokratischen Überzeugung (...) Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe“.

Vertrauen und Harmonie als Fundament von Leistung

Holger Thiesen, Bundestagskandidat der Ein-Themen-Partei „Bündnis Grundeinkommen“ (BGE) aus Schleswig-Holstein, gefällt Müllers Begrifflichkeit – nicht aber dessen Ansatz: „Solidarisches Grundeinkommen? Ja, allerdings nur bedingungslos“, sagte er dem Tagesspiegel: „Nur Bedingungslosigkeit ist fair und nur wo Regeln fair sind, werden und bleiben Menschen fair und schaffensfroh.“

Wer ein Grundeinkommen an Bedingungen wie Ehrenämter knüpfen wolle, „hat keine Ahnung wie Leistung entsteht: Menschen können ihr Potential nur dann optimal ausschöpfen, wenn sie nicht unter Druck gesetzt werden.“ Ein bedingungsloses Grundeinkommen werde „zu einer tumultartigen Harmonie in der Gesellschaft führen – und Harmonie ist, dass weiß jeder Teamplayer, das Fundament für gesunde Leistung.“

Auch Michael Bohmeyer „möchte Herrn Müller zurufen: Die Kraft des Grundeinkommens liegt nicht in der Zahlung, sondern in dem Vertrauensvorschuss, den es dem einzelnen monatlich vermittelt. Trauen Sie den Menschen die Freiheit zu!“

Menschen und Maschinen teilen sich die Arbeit - und das Geld?
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© Arnd Wiegmann/rtr

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