Performance: Her mit der Utopie
Bernadette La Hengst und ihr Chor feiern mit einem Musiktheaterstück das bedingungslose Grundeinkommen. Ein Probenbesuch vor der Premiere in den Berliner Sophiensälen
„Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein“, singt der Chor und klatscht in die Hände. Die 14 Sängerinnen und Sänger in den türkisen, blauen und lila Roben wiegen ihre Oberkörper hin und her. Das Nein-Singen scheint Spaß zu machen. Was hier so fröhlich wie vehement ablehnt wird, ist ein schlecht bezahlter Job. Die Chormitglieder haben es nicht nötig, sich auf ausbeuterische Arbeitsverhältnisse einzulassen, denn sie leben in einem Dorf, das das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt hat – vor genau fünf Jahren. Grund für eine große Party mit viel Gesang und Tanz.
Derzeit laufen in einem einstigen Weddinger Obdachlosenheim die Proben für das Spektakel, das unter dem Titel „Bedingungsloses Grundeinsingen“ am Donnerstag in den Sophiensälen Premiere hat. Der gospelrockige „Nein“-Song funktioniert schon ganz gut. Für den zweiten Durchlauf schnallt sich Chorleiterin Bernadette La Hengst eine halbakustische Gitarre um und stellt sich seitlich zu den Sängerinnen und Sängern. Anschließend macht sie kurz einige Anmerkungen und beantwortet Fragen. Man merkt, dass die 45-jährige Berlinerin Erfahrung mit Laienchören hat. So studierte sie mit 30 Freiburgerinnen Gesänge für das Theaterstück „Planet der Frauen“ ein, brachte ebenfalls in Freiburg eine „Bettleroper“ heraus und organisierte Beschwerdechöre in St. Pölten und Wittenburg, bei denen die Bewohner Kritik an ihren Städten in Liedform brachten.
Auch dieses Mal fließen Ideen und Erlebnisse der Sängerinnen und Sänger in das Stück ein, doch in erster Linie werden Songs von Bernadette La Hengst gesungen, die sich um Arbeit, Geld und Zeit drehen. In der Spielhandlung erzählen die Chormitglieder, was sich seit der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens von 1000 Euro für sie verändert hat. „Mir war es wichtig, dass das nicht wie eine ferne Utopie erscheint, sondern zum Greifen nah. Nur einen Schritt entfernt von dem, wo wir jetzt sind“, sagt La Hengst, die in den neunziger Jahren in der Band Die Braut haut ins Auge sang und seit 2002 solo unterwegs ist.
Ihre Lieder drehen sich schon seit längerem immer wieder um dieselben Fragen, die nun das „Grundeinsingen“ dominieren. In „Her mit der Utopie“ vom Album „La Beat“ heißt es: „Hat hier jemand gesagt, er hat Glück zu verkaufen? / Ich hab kein Geld, wollen wir tauschen? / Willst du lieber meinen Hunger oder meinen Durst?“ Und auf dem letztes Jahr erschienenen Album „Integrier mich, Baby“ beschwört sie zusammen mit Rocko Schamoni das „Grundeinkommen Liebe“. Doch obwohl die beiden darin mehrmals die Zeile „Komm, komm, Grundeinkommen“ singen, ist sich Bernadette La Hengst nicht völlig sicher, ob sie sich das bedingungslose Bürgergeld wirklich wünscht, dessen prominentester deutscher Verfechter der Drogeriekettengründer Götz Werner ist. „Ich bin da zwiegespalten, weil ich in meinem Leben schon vieles aus der Not heraus gemacht habe. Wenn irgendwas zusammengebrochen ist, wenn kein Geld da war, musste ich mir eben etwas überlegen. Das hat viel Potenzial freigesetzt“, sagt sie. Auf der anderen Seite glaubt sie aber, dass sie mit einem Grundstock von 1000 Euro im Rücken, „gesünder und entspannter“ wäre. Dann könnte sie die Frequenz ihrer Theaterprojekte und Konzertauftritte etwas herunterfahren. Worüber sich wahrscheinlich auch ihre 2004 geborene Tochter Ella Mae freuen würde, die beim „Nein“-Song in der ersten Reihe mitsingt. Danach streift sie ihre Robe ab – es ist heiß darunter – und wuselt ein bisschen durch die Zuschauerreihen.
Als Nächstes soll der „Wer soll das bezahlen“-Kanon geprobt werden. Bernadette La Hengst hängt sich eine Westerngitarre um, die mit goldenen Lamettafäden geschmückt ist. Bei diesem Lied soll auch das Publikum mitsingen. Wie das ablaufen könnte, haben La Hengst und ihr Team bereits in der Kantine der Sophiensäle ausprobiert: Bei vier öffentlichen Diskussionsrunden zum Grundeinkommen, die von Dezember bis März stattfanden, gab es jedes Mal auch Mitsingpassagen. „Dadurch, dass das Thema erst debattiert und dann auch musikalisch aufgenommen wurde, hat es eine Resonanz bekommen, auch körperlich. Das hat etwas mit den Leuten gemacht. Die Angst vor dem Mitmachtheater ist weggefallen, niemandem war es peinlich. Manche sind sogar extra wegen des Singens wiedergekommen“, sagt Bernadette La Hengst.
Als die Ökonomin und Historikerin Friederike Habermann zu Gast war, drehte sich beispielsweise ein Lied um den von ihr geprägten Begriff der „Ecommony“. Ihre Ansätze zu einer neuen, solidarischen Wirtschaftsform nach der Maxime „Teile, was du kannst“ haben neben einem flotten Song auch den Auftritt einer eigenen Figur im „Bedingungslosen Grundeinsingen“ inspiriert. Bettina Grahs – eine von drei Profischauspielerinnen im Team – verkörpert die Wissenschaftlerin Habermann und fasst deren Thesen im Schnelldurchlauf zusammen. Im Weddinger Probenraum muss sie bei ihrem Vortrag des Öfteren in ihre Notizen spicken. Für das Publikum wird es wohl ebenfalls nicht ganz einfach werden, diesem Theorieexkurs zu folgen, aber als Weiterlese-Anregung kann er durchaus fungieren.
Eine weitere Impulsgeberin des Stückes trat ebenfalls schon bei den Diskussionsabenden auf: Adrienne Goehler, einst Berliner Kultursenatorin und Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds. Jetzt singt die Psychologin und Publizistin im Grundeinsingen-Chor mit und mischt sich bei der Probe meinungsstark ein. Nachdem Claudia Wiedemer einen mantrahaften Text vorgelesen hat, dessen Sätze stets mit der Phrase „Einer war dafür“ beginnen, sagt Goehler: „Dass immer nur die männliche Form benutzt wird, geht gar nicht.“ Sofort beginnt eine angeregte Diskussion, ob und wie das geändert werden sollte. Bernadette La Hengst tendiert zum Ändern. Aber jetzt ist erst mal das nächste Lied dran.
Sophiensäle, Sophienstr. 18, 28. bis 30. März u. 1./2. April, 20 Uhr
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