Blutige Zusammenstöße auf dem Euromaidan: Tödliche Einsätze von Scharfschützen - Bundesregierung fordert Aufklärung
Wer hat am 20. Februar auf dem Maidan in Kiew geschossen? Die Bundesregierung weiß das angeblich nicht - und fordert eine "umfassende und transparente" Aufklärung. Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht will das so nicht akzeptieren.
Die Bundesregierung lässt ausdrücklich offen, wer für die Todesfälle im Februar rund um den Umsturz in Kiew verantwortlich ist. Der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), antwortete jetzt auf eine schriftliche Frage der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht: "Die Bundesregierung verfügt nicht über eigene Erkenntnisse, wer für die tödlichen Einsätze von Scharfschützen gegen die Maidan-Demonstranten beziehungsweise staatliche Sicherheitskräfte in der Ukraine verantwortlich ist."
Roth versicherte in der dem Tagesspiegel vorliegenden Antwort, die Bundesregierung setze sich - auch gemeinsam mit ihren Partnern in der Europäischen Union - "für eine umfassende und transparente, unter Einbeziehung internationaler Institutionen erfolgende Aufklärung aller Gewaltakte in Kiew ein." Diese gelte auch für die Todesfälle in der Zeit vom 18. bis 20. Februar.
Linken-Fraktionsvize Wagenknecht zog aus der Antwort den Schluss, die Bundesregierung agiere "entweder in der Ukraine auf der Basis kompletter Ahnungslosigkeit" oder aber sie verberge ihre Erkenntnisse vor der Öffentlichkeit. Wagenknecht sagte dem Tagesspiegel weiter: "Beides darf nicht Grundlage für weitreichende außenpolitische Entscheidungen sein, erst recht nicht für eine Unterstützung einer Regierung, die widerrechtlich an die Macht gekommen ist und der Neofaschisten und Antisemiten angehören." Statt weiter in der Ukraine "abenteuerlich und verantwortlungslos" zu agieren, "muss die Bundesregierung eine umgehende und umfassende Aufklärung der Morde auf dem Maidan gewährleisten."
Könnte das Maidan-Lager selbst Scharfschützen engagiert haben?
Kritik, wonach die Übergangsregierung in der Ukraine die Aufklärung hinsichtlich der zahlreichen Todesschüsse durch Scharfschützen behindern, bestätigte Roth nicht, ebenso wenig wie den Verdacht, dass hinter den Scharfschützen nicht der gestürzte Präsident Viktor Janukowitsch, sondern "jemand" aus der Maidan-Koalition gestanden habe. Der Außen-Staatsminister schrieb: "Nach Kenntnis der Bundesregierung hat der estnische Außenminister klargestellt, dass er in dem Telefonat mit der Hohen Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Lady Catherine Ashton, keine derartigen Schlussfolgerungen gezogen hat."
Bei den blutigen Zusammenstößen in Kiew hatte es vom 18. bis 20. Februar 100 Tote gegeben. Über die Hintergründe laufen seit Tagen erregte Debatten - angeheizt auch durch ein Telefonat des estnischen Außenministers Urmas Paet mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton, das heimlich mitgeschnitten wurde. Paet berichtete Ashton demnach von den in der ukrainischen Hauptstadt kursierenden Gerüchten, wonach das Maidan-Lager selbst Scharfschützen engagiert haben könnte.
Für Kreml-nahe russische Medien war der Fall anschließend klar: "Der Maidan engagierte die Sniper (Scharfschützen)", hieß es vor einigen Tagen auf der Titelseite, das Telefonat zwischen Paet und Ashton sei der "Beweis". Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow beteuerte, dass die Ermittlungen zu den Maidan-Toten intensiv geführt und die Ergebnisse anschließend präsentiert würden. Auch er hatte die Gerüchteküche mit dem Hinweis angeheizt, "Schlüsselfaktor" bei dem Blutbad in Kiew sei "eine dritte Kraft" gewesen - "und diese Kraft war keine ukrainische". Kommandeure der damals eingesetzten Antiterroreinheiten und des Geheimdienstes hatten stets bestritten, Todesschüsse abgegeben zu haben.
Wagenknecht hatte bereits am Mittwoch - damals noch nicht in Kenntnis der Antwort von Außen-Staatsminister Roth - mit Blick auf die Kämpfe kurz vor und am 20. Februar erklärt, es sei "völlig ungeklärt, wer dort wirklich geschossen hat". Bei einem Pressegespräch in Berlin hatte sie die Haltung ihrer Fraktion zum Ukraine-Konflikt skizziert und der Bundesregierung vorgeworfen, sie habe mit ihrer Außenpolitik "Schiffbruch erlitten". Zudem erklärte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, nach dem umstrittenen Referendum auf der Halbinsel müsse ein Anschluss der Krim an Russland akzeptiert werden. (mit dpa)