Wetter migrantisch: Tief Ahmet, Hoch Dragica
Schon den Wetterbericht gesehen und gemerkt? Die ersten Hoch- und Tiefdruckgebiete dieses Jahres heißen nicht mehr Helmut und Gisela.
Ahmet hatte schon seinen Einsatz. Demnächst dürften Bartosz und Cemal, Bozena und Chana über Deutschland kommen. Sturm und gutes Wetter tragen ab sofort und vorerst keine traditionsdeutschen Namen mehr: Auch der Wetterbericht bekommt Migrationshintergrund. Die ersten Tief- und Hochdruckgebiete erhalten 2021 türkische, rumänische, polnische oder arabische Namen, also die der am stärksten vertretenen Herkunftskulturen. Dem Turnus folgend gibt es zwölf Monate lang Männernamen für die Tiefs, Frauennamen für die Hochs.
Der Grund für den migrantisch-meteorologischen Jahresbeginn: Die Neuen deutschen Medienmacher*innen haben die Patenschaften für die ersten Wetterlagen im neuen Jahr übernommen, das deutsche Wetter „gekapert“, wie es auf ihrer Website heißt. Die NdM sind ein Zusammenschluss von Journalistinnen und Journalisten aus Familien mit und ohne Einwanderungsgeschichte, die sich für mehr Vielfalt im Journalismus einsetzen.
Mit Spaß gegen ernste Missstände
„Wir leben in einem Einwanderungsland. Trotzdem tragen die Wetterhochs und -tiefs fast immer nur Namen wie Gisela und Helmut. Zeit, dass sich das ändert.“ Deutsche hießen "schließlich auch Ahmet, Chana, Khuê und Romani". Und bis das endlich bei allen angekommen sei, werde man „nicht aufhören, Wirbel zu machen“.
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Es ist nicht die erste Spaßguerilla-Aktion der NdM vor dem durchaus ernsten Hintergrund eines erheblichen Diversitätsproblems im deutschen Journalismus: Während inzwischen ein gutes Viertel der deutschen Bevölkerung Migrationshintergrund hat (26 Prozent), gilt das lediglich für fünf bis zehn Prozent der Belegschaften in den Redaktionen. Tendenz nur langsam steigend. Weil das aus NdM-Sicht auch auf den Journalismus durchschlägt, der so entsteht, haben sie etwa für die "unterirdischste" Berichterstattung eines Jahres den Anti-Preis „Goldene Kartoffel“ ausgelobt - und dies nicht nur mit deren Wachstum unter der Erde begründet: Die Kartoffel sei auch das deutscheste Gemüse überhaupt, habe aber gleichzeitig eine lupenreine südamerikanische Migrationsgeschichte. Die erste Knolle in Gold ging vor zwei Jahren an Bild-Chefredakteur Julian Reichelt für die "Rolle rückwärts", die er dem Blatt verordnet habe, so damals die WDR-Journalistin Sheila Myrosekar in ihrer Laudatio. Da habe inzwischen "jeder Ausländer ein Messer in der Hand, in der andern einen Asylantrag, und mit der dritten Hand geht er einer Blondine an die Wäsche".
Nun also die Aktion #wetterberichtigung“, mit der die NdM symbolisch auf die reale Vielfalt in den drei deutschsprachigen Ländern aufmerksam machen wollen. Mit dabei sind die Schwesterorganisation "Neue Schweizer Medienmacher*innen" und österreichische Initiativen - auch Idee und Umsetzung kamen aus Wien, von den Kreativen Goran Golik und M. Alexander Trybus. Das Geld für die Aktion - auch Wetterpatenschaften kosten - kam durch Sponsoring zusammen.
Nur drei Frauen machen Hochdruck
Die Wettertaufen sind übrigens eine sehr berlinische Angelegenheit: 1954 machte sich am Institut für Meteorologie der Freien Universität die damalige Studentin und spätere ZDF-Meteorologin Karla Wege dafür stark, das US-Modell zu übernehmen. Dort hatten seit dem Zweiten Weltkrieg die pazifischen Taifune Namen. Gab es mehrere zugleich, ließ sich so besser der Überblick behalten.
Erst nach der Einheit nahm auch der Rest Deutschlands Orkane namens Wiebke und Vivian wahr. Berlin vergibt die Namen seither für alle weiter; der Deutsche Wetterdienst war einverstanden. Seit einer kleinen Debatte Ende der 1990er Jahre darüber, ob nicht Frauen diskriminiert werden, heißen jährlich wechselnd mal die Tiefs und mal die Hochs nach Männern, dann wieder nach Frauen. Ausgerechnet in geschlechterpolitischer Hinsicht sahen sich nun die diversitätsbewegten NdM zu einem Rückschritt gezwungen: Sie sind Patinnen für etliche Männer, aber nur für drei Frauen: "Wir wollten den gesamten Januar übernehmen", erläutert die Vorsitzende Ferda Ataman. "Aber im Januar gibt es nun mal nicht so viele Hochs." Deshalb dürfen vorerst nur die Hochs Bozena, Dragica - Erinnerung an die jugoslawischen "Gast"arbeiterinnen und -arbeiter - und Chana ran. Danach übernimmt wieder eine Elke. Tiefdruckmann Kasper hat seinen Einsatz erst nach zehn Migranten - von Ahmet und Bartosz bis Jussuf und Irek.