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SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann wünscht sich lebendigere Fragestunden im Bundestag.
© Mike Wolff

Die SPD in der großen Koalition: Thomas Oppermann: "Wir liefern, was wir versprochen haben"

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann spricht im Tagesspiegel-Interview über die Rolle der SPD in der großen Koalition. Das, was Ministerin Andrea Nahles "den ganz normalen Wahnsinn der Familie" nennt - und seinen Wunsch, die Kanzlerin im Bundestag direkt befragen zu können.

Herr Oppermann, was finden Sie gut an Bodo Ramelow?
Er ist in der Lage, sich bemerkbar zu machen. Und er ist pragmatisch.

Das qualifiziert ihn als Linken-Politiker für das Amt eines Ministerpräsidenten?
Natürlich sind aus Sicht der SPD weder Bodo Ramelow noch Christine Lieberknecht optimale Ministerpräsidenten. Leider kommen aufgrund des Thüringer Wahlergebnisses nur diese beiden in Betracht. Thüringen braucht aber eine Regierung. Für die SPD ist Verweigerung keine Option.

Nach welchen Kriterien soll die Thüringer SPD ihre Entscheidung treffen?
Die Thüringer SPD wird genau prüfen, in welcher Konstellation sie mehr Inhalte durchsetzen kann. Angesichts der knappen Mehrheiten ist außerdem von Bedeutung, welches Bündnis stabiler ist.

Warum sollte ein rot-rot-grünes Experiment stabiler sein als die Fortsetzung der großen Koalition?
Das muss die Thüringer SPD beurteilen. Ich höre, dass in der neuen CDU-Landtagsfraktion einige Abgeordnete nicht hinter der Ministerpräsidentin und CDU-Vorsitzenden stehen. Bei nur einer Stimme Mehrheit ist Geschlossenheit aber absolute Voraussetzung für eine Regierungsbildung.

Gibt die SPD ihren Führungsanspruch im Osten auf, wenn sie einen Linken zum Ministerpräsidenten macht?
Nein. Wir haben starke Regierungschefs in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg. Wir sind in Sachsen-Anhalt und womöglich bald in Sachsen und in Thüringen an der Regierung beteiligt.

Ist das nicht die Lehre aus der Thüringen-Wahl: Die SPD wird vom Wähler bestraft wird, wenn sie als Juniorpartner in große Koalitionen zieht?

Da gibt es keine Gesetzmäßigkeiten. Wahlkämpfe werden zuerst über Programme, Personen und Haltung entschieden. Die Regierungskonstellation, aus der heraus sie geführt werden, spielt keine große Rolle.

Im Bund war die SPD von 2005 bis 2009 Juniorpartner von Angela Merkel. Ergebnis: 23 Prozent.
Das lag vor allem daran, dass die Hälfte der SPD die damalige große Koalition nicht wollte. Deshalb wurden wir trotz guter Arbeit von den Wählern abgestraft. Diesen Fehler werden wir nicht wiederholen.

In der Regierung Merkel/Gabriel hat die SPD Herzensanliegen wie den Mindestlohn und die Rente mit 63 durchgesetzt. Trotzdem kommt sie in den Umfragen nicht über 25 Prozent hinaus.
Wir zeigen in der großen Koalition, dass wir liefern, was wir versprochen haben. Wer die Erwartungen der Wähler enttäuscht, wird regelmäßig bestraft, hingegen wird, wer sie erfüllt, nicht automatisch belohnt. Wir schaffen gerade durch gute, verlässliche Regierungsarbeit die Vertrauensgrundlage, die für 30-Prozent-Ergebnisse notwendig ist.


Weiter so in der großen Koalition oder rot-rot-grünes Bündnis – mit welcher Machtoption will die SPD in den Wahlkampf 2017 ziehen?
Die Parteienlandschaft verändert sich rasant: Vor zwei Jahren waren die Piraten groß, inzwischen sind sie weg, die FDP ist raus und die AfD sitzt in vier Parlamenten. Deshalb kann keiner irgendwelche Vorhersagen über politische Konstellationen 2017 treffen. Klar ist: Wir wollen 2017 wieder den Kanzler stellen.

Klingt ziemlich utopisch. Ist die SPD nicht in der großen Koalition gefangen, so lange die Linke im Bund wegen ihrer radikalen Positionen in der Außenpolitik als Bündnispartner ausscheidet?
Richtig ist, dass sich die Linkspartei außenpolitisch völlig isoliert hat, insbesondere im Ukraine-Konflikt. Sie kann so kein Bündnispartner für uns sein. Außerdem fährt sie in Teilen einen anti-europäischen Kurs. Da sehe ich Parallelen zur AfD. Beide vermitteln den Eindruck, es ginge Deutschland besser, wenn wir allein wären. Die Linke will sich aus internationaler Verantwortung stehlen, die AfD lehnt den Euro ab. Das ist eine Renationalisierung der Politik. Wenn die sich durchsetzt, geraten Deutschland in die Isolation und Hunderttausende Arbeitsplätze in Gefahr.

Wie sollten die etablierten Parteien mit der AfD umgehen?
Wir dürfen die AfD nicht dämonisieren. Aber wir dürfen uns auch nicht darauf beschränken, sie als populistisch zu entlarven. Wer Populisten populistisch nennt, macht sie populär. Wir müssen aufzeigen, welche Gefahren drohen, wenn die AfD sich durchsetzen würde. Die AfD macht Stimmung gegen Einwanderer. Dabei ist Deutschland wie kein anderes Land in Europa auf qualifizierte Einwanderer angewiesen. Die AfD will die Willkommenskultur zerstören, die wir gerade aufbauen und die Deutschland für viele so sympathisch macht.

Welche Themen will die SPD vorantreiben?

Zurück zur Rolle der SPD in der großen Koalition: Welche Themen will die SPD-Fraktion vorantreiben, um die Wahlchancen 2017 zu erhöhen?
Erfolg kann man nur haben, wenn man hilft, das Leben der Menschen besser zu machen. Wir wollen zum Beispiel mit der Familienarbeitszeit dafür sorgen, dass berufstätige Menschen mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen ihren Alltag bewältigen können. Sie sind für mich die eigentlichen Helden unserer Zeit. Die Politik darf sie nicht alleine lassen.

Das ist teuer und wird auf Widerstand in der Wirtschaft stoßen.
Das ist nicht nur eine Frage des Geldes. Der Mangel an Fachkräften hat doch bei den Unternehmen längst dazu geführt, dass diese sich selbst fragen, warum wir eine so geringe Erwerbsbeteiligung von Frauen haben. Die kann man mit attraktiven Arbeitszeitmodellen steigern. Wir greifen ein Interesse auf, das auch aus der Wirtschaft kommt.

Was, wenn die Union nicht mitzieht?
In vielen Familien sieht der Alltag doch so aus: Sie finden für die kleinen Kinder keine guten Kitaplätze, für die älteren keine Ganztagsschule und möchten die Angehörigen der älteren Generation zu Hause pflegen. Beim Arbeitgeber nach Teilzeit zu fragen, ist ein Himmelfahrtskommando. Arbeitsministerin Andrea Nahles nennt das „den ganz normalen Wahnsinn der Familie“. Da müssen wir ran, das wird irgendwann auch die Union so sehen, spätestens nach der nächsten Wahl.

Seit Jahren wird die Gruppe der Nichtwähler immer größer, sinkt die Wahlbeteiligung. Was wollen Sie dagegen tun?
Zum Wählen motiviert in erster Linie, wenn Politik transparent und spannend ist und wenn es klare Alternativen gibt. Im Übrigen müssen wir uns Gedanken machen, wie wir das Wählen leichter machen können. Warum darf zum Beispiel nur an einem Tag gewählt werden? Die SPD wird dazu konkrete Vorschläge machen.

Braucht es dafür auch eine neue Debattenkultur im Bundestag?
Unbedingt. Die Fragenkultur im Bundestag muss besser und lebendiger werden. Deshalb wäre es gut, wenn die Bundeskanzlerin und die Minister in der Fragestunde des Bundestages direkt befragt werden können – mit Anwesenheitspflicht.

Was stellen Sie sich vor?
Ich halte die Fragestunde des britischen Unterhauses, die „Prime Minister’s Question Time“, für ein Highlight der parlamentarischen Demokratie. Da geht es sehr konkret zur Sache. Ein offener Schlagabtausch zwischen Opposition und Regierung ist attraktiver als das Verlesen vorbereiteter Erklärungen.

Bundestagspräsident Norbert Lammert schlägt vor, die Antwortzeit auf 25 Sekunden zu begrenzen, weil dadurch Ausflüchte schwerer fallen. Sind Sie dafür?
Da ist Herr Lammert aber sehr streng! Gleichwohl: Zeitvorgaben für Antworten sind hilfreich. Denn kurze Antworten sind die besseren Antworten. Wir haben in der Koalition vereinbart, diese Fragen in einer Arbeitsgruppe unter Beteiligung aller Fraktionen zu besprechen.

Und Sie glauben, die Kanzlerin würde das mitmachen?
Ich bin sicher, dass Angela Merkel solche Runden glänzend bestehen würde. Auch Vizekanzler Sigmar Gabriel hätte Spaß daran.

Hans Monath, Stephan Haselberger

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