Brexit: Theresa May in Bedrängnis
Der Widerstand im Oberhaus ist unangenehm für die britische Premierministerin. Mehr aber nicht. Die Brüsseler Kritik am britischen Zoll jedoch könnte gravierende Folgen haben.
Erst das Oberhaus, und dann Olaf – die britische Premierministerin Theresa May und ihre zum EU-Austritt entschlossene Regierung haben zwei neue Rückschläge hinnehmen müssen. Wobei das Votum der zweiten Kammer, das auf eine stärkere Parlamentsbeteiligung im Brexit-Prozess zielt, möglicherweise weniger bedeutend ist als der Vorschlag der Brüsseler Kontrollbehörde, die Großbritannien wegen nachlässiger Zollkontrollen mit einer Nachforderung von zwei Milliarden Euro belegen will. Denn die Qualität der britischen Zollbehörde dürfte in den Austrittsverhandlungen eine nicht unwesentliche Rolle spielen.
Kurzfristig ist die zweite Niederlage im Oberhaus für May allerdings unangenehmer. Zumal einer der prominentesten konservativen Lords, der schon unter Margaret Thatcher gern mal rebellische Ex-Minister Michael Heseltine zu dem Tory-Grüppchen gehörte, das mit der Opposition von Labour und Liberaldemokarten stimmte und damit eine Ergänzung zum Brexit-Gesetz einbrachte, mit der sich nun wieder das Unterhaus beschäftigen muss. Als Regierungsberater wurde Heseltine postwendend entlassen. Ausgerechnet die nicht gewählte Kammer (die meisten Lords werden auf Lebenszeit ernannt, nur eine kleine Gruppe ist noch alter Adel) votierte mit 366 gegen 268 Stimmen dafür, schon jetzt gesetzlich festzulegen, dass beide Kammern des Parlaments sowohl dem Ergebnis der Austrittsverhandlungen mit der EU zustimmen müssen als auch den Vereinbarungen über das künftige Verhältnis Großbritanniens zur EU. Und zwar vor dem formellen Abschluss der Vereinbarungen mit der EU. Die konservative Mehrheit im Unterhaus hat das im Februar abgelehnt und war Mays Begründung gefolgt, eine solche Abstimmung mit Vetorecht behindere die Verhandlungsstrategie der Regierung. Es war eine historische Stunde im House of Lords: Nie zuvor, seit die Beteiligung aufgezeichnet wird, nahmen so viele Mitglieder des Oberhauses an einer Abstimmung teil.
Gar kein Brexit statt harter Landung?
Bedeutend ist vor allem die Ergänzung, wonach das Parlament auch abstimmen muss, falls May die Verhandlungen ohne eine Nachfolgeregelung beendet – also tatsächlich ein „harter Brexit“ eintritt. In dem Fall, sagte der konservative Abweichler Douglas Hogg im Oberhaus, könnte das Parlament den Brexit komplett stoppen, indem es einen Austritt ohne Folgeregelung ablehnt und damit verhindert, dass Großbritannien handelspolitisch auf die Mindestregeln der Welthandelsorganisation zurückfällt. Genau das aber wollen die Brexit-Hardliner in der konservativen Unterhaus-Fraktion verhindern. Weshalb May, die den Zusammenhalt der Partei nicht gefährden will, ankündigte, dass die vom Oberhaus beschlossene Ergänzung in der kommenden Woche im Unterhaus wieder gekippt wird. Das gilt auch für die schon in der vorigen Woche vom Oberhaus geforderte Gesetzesänderung, wonach die Regierung die Rechte der in Großbritannien lebenden EU-Bürger zügig garantieren soll. Ob sich die kleine Gruppe der Brexit-Gegner in der Tory-Fraktion nun doch entschließt, die Sache über die Parteiräson zu stellen, ist unsicher. Eine Zusicherung Mays, die Parlamentsbeteiligung stärker zu beachten, könnte am Ende die Mehrheit sichern.
Bei chinesischen Hosen weggeschaut?
Dass die Brüsseler Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf sich den britischen Zoll vorgeknöpft hat und dabei Nachlässigkeit der Kontrollen bemerkt hat, ist für May nicht nur eine Peinlichkeit, sondern könnte ein nicht unerhebliches Hindernis sein für eines der britischen Hauptziele: nach dem Brexit weiterhin in einer Zollunion mit der EU verbunden zu bleiben. Das ist zwar im beidseitigen Interesse, aber vor allem die Voraussetzung für den Erhalt vieler Industriestandorte auf der Insel. Denn ohne Zollunion wächst der Aufwand für Zollformalitäten, was vor allem industrielle Lieferketten beeinträchtigt. Da die Briten neben einer Zollunion mit der EU aber auch eigene Handelsverträge mit Drittstaaten schließen wollen, ist eine gute, zuverlässige Zollkontrolle bei der Einfuhr aus diesen Ländern und der Ausfuhr in die EU wichtig. Denn sonst könnte Großbritannien zur Drehscheibe für Dumpingwaren aus China, Indien oder Lateinamerika werden, welche die EU draußen halten möchte. Was in den Verhandlungen eine wichtige Rolle spielen dürfte. Aus diesem Grund hat Mays Regierung in dem programmatischen Bericht („White Paper“) zum Brexit im Januar die Professionalität und Effizienz der britischen Zollbehörde hervorgehoben. Als große Handelsnation habe man ein „Weltklasse-Zollsystem“, hieß es dort. Freilich haben kriminelle Banden, die Billigkleidung aus China in die EU schleusen, offenbar vor allem über Großbritannien operiert. Sie gaben den Wert der Waren bei der Einfuhr systematisch zu niedrig an und zahlten daher deutlich weniger Zoll. Offenbar waren sie so dreist, dass etwa Baumwollhosen per Kilo billiger deklariert wurden als der Kilopreis für Baumwolle auf dem Weltmarkt. Diese Betrugsmasche fiel in anderen EU-Ländern auf, nicht dagegen im Königreich. Der EU, die ihren Ha ushalt nicht zuletzt aus Zolleinnahmen füttert, entgingen dadurch zwischen 2013 und 2016 Einnahmen in Höhe von zwei Milliarden Euro. Die Betrugskontrolleure empfehlen, das Geld nun von Großbritannien nachzufordern.