zum Hauptinhalt
Nach dem Anschlag in Ansbach.
© dpa

Islamisten in Deutschland: Terrorberatung im Internet

Der Verfassungsschutz beobachtet viele neue Strategien von Islamisten. Vor allem steigt die Gefahr durch Einzeltäter.

Die islamistische Terrorszene ist einer der härtesten Gegner, mit denen sich die Sicherheitsbehörden seit der Wiedervereinigung auseinandersetzen müssen. Unberechenbar, professionell, wandlungsfähig, technisch modern – den Dschihadisten ist offenbar alles zuzutrauen. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, hat nun in Berlin die Herausforderungen skizziert. Kurz nachdem der Fall der drei in Schleswig-Holstein festgenommenen, vermeintlichen Flüchtlinge aus Syrien einmal mehr gezeigt hat, wie nahe die Bedrohung der Bundesrepublik gekommen ist. Zumal es eine Verbindung zwischen der mutmaßlichen Schläferzelle in Schleswig-Holstein und den Attentätern zu geben scheint, die im November 2015 in Paris 130 Menschen töteten. Der IS-Funktionär Abu Walid al Suri, der die drei Syrer nach Deutschland entsandt haben soll, hatte offenbar auch die Terroristen geschickt, die in Frankreich zuschlugen.

Mit Blick auf Paris warnte Maaßen, „komplexe Anschlagsvorhaben werden durch gut ausgerüstete und in mehreren mobilen Zellen agierende Attentäter durchgeführt“. Verschiedene Tätergruppen wie Schläferzellen, Rückkehrer aus Syrien und Irak sowie als Flüchtlinge eingeschleuste Dschihadisten „agieren zusammen“, sagte der Chef des BfV. Seine Behörde hatte als erste die drei Syrer in Schleswig-Holstein als potenzielles Terrorkommando ausgemacht.

Das BfV sieht auch eine zunehmende Gefahr durch Einzeltäter, die Anschläge mit einfachen Tatmitteln verüben. „Von den 15 Anschlägen der beiden letzten Jahre wurden zwölf von ,lone actors' verübt“, sagte Maaßen. Als exemplarisch gelten drei Taten vom Juli. Erst tötete der Tunesier Mohamed Lahouaiej Bouhlel in Nizza mit einem Lkw 86 Menschen. Bouhlel wurde von der Polizei erschossen.

Vier Tage später verletzte der womöglich aus Afghanistan stammende Flüchtling Riaz Khan Amadzai mit einer Axt in einem Regionalzug in Würzburg vier Passagiere. Der Täter verließ dann den Zug und attackierte eine Passantin. Die Polizei erschoss Amadzai. Am 24. Juli sprengte sich am Rande eines Festivals in Ansbach der Syrer Mohammed Daleel mit einer selbst gebastelten Rucksackbombe in die Luft – es gab 15 Verletzte.

Virtuell ferngesteuert

Alle drei Täter standen nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in Kontakt mit dem IS. Seit einiger Zeit sei zu beobachten, „dass bei Einzeltätern durchaus auch eine ,Beratung' oder Steuerung ihres Tathandelns durch den IS oder dem IS nahestehende Personen stattfinden kann“, sagte Maaßen. Er sieht einen „neuen Tätertypus“. Diese Personen würden „virtuell aus dem Ausland über Instant Messaging ferngesteuert“. Das Szenario sei eine besondere Herausforderung für die Behörden. Dort wird beklagt, die Verschlüsselung der Kommunikation bei Messenger-Diensten sei nur schwer zu knacken.

Laut Maaßen spielen WhatsApp und Telegram sowie Facebook „als Bereitsteller der Kommunikationsinfrastruktur eine ausschlaggebende Rolle für die islamistische Szene in Deutschland“. In den sozialen Medien gebe es Netzwerke, „die gezielt sowohl nach Ausreisewilligen als auch potenziellen Attentätern suchen“. Diese würden über das Internet individuell beraten und erhielten „dezidierte Anleitungen und Vermittlung von Kontakten“. Aber die mediale Marketingstrategie des IS „inspiriert nicht nur Nachfolgetäter, die ,15 minutes of fame' suchen“, sagte Maaßen. Neu seien „Aufrufe in sozialen Netzwerken zu Anschlägen, bei denen der Attentäter selbst unversehrt und unerkannt bleibt“.

Wie viele Flüchtlinge wurden nicht erfasst?

In Sicherheitskreisen war schon im Juli zu hören, der Angriff in Ansbach sei vermutlich vom Täter wie auch vom IS nicht als Selbstmordattentat geplant gewesen. Die Bombe sei offenbar zu früh explodiert. Sicherheitsexperten vermuten, Daleel habe den Rucksack an einer bestimmten Stelle deponieren wollen, um möglichst viele Menschen zu treffen. Der Flüchtling habe überleben wollen – um weitere Anschläge verüben zu können.

Unterdessen wird nach der Festnahme der drei mutmaßlichen IS-Terroristen in Schleswig-Holstein über Sicherheitslücken bei der Überprüfung von Asylbewerbern diskutiert. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) glaubt, es seien „tausende Menschen ohne ausreichend geprüfte Identität nach Deutschland gekommen“. Tatsächlich wurden auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 nicht alle über die deutsch-österreichische Grenze eingereisten Flüchtlinge erkennungsdienstlich erfasst. Erst seit Jahresende ist dies wieder gewährleistet, wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage des Tagesspiegels hervorgeht.

Viele Asylsuchende sind demnach aber nach der Einreise in den Ländern oder später im Asylverfahren polizeilich überprüft worden. Doch es gibt offenbar Flüchtlinge, die durch das Sicherheitsnetz gerutscht sind. Wie viele, ist aber unklar. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) befasst sich damit, alle Flüchtlinge, die bisher nur in Ländern oder Kommunen registriert wurden, zentral zu erfassen. Ende September soll dies abgeschlossen sein.

Zum Alltag von Bamf und Bundespolizei gehört auch, dass sich die meisten Flüchtlinge nicht mit einem Pass ausweisen können. Das macht sie aber nicht zwingend verdächtig. Viele haben Geburtsurkunde, Führerschein oder andere Dokumente dabei, die ihre Identität belegen. Das Bamf prüfe die Dokumente mittels physikalisch-technischer Urkundenuntersuchungen auf Echtheit und gleiche die Daten der Flüchtlinge auch mit nationalen und internationalen Fahndungs-Datenbanken ab, sagt das Ministerium.

Zur Startseite