Die SPD in Thüringen: Tendenz ins Hoffnungslose
Im Willy-Brandt-Haus gilt sie seit langem als Sanierungsfall: die Thüringer SPD. Ein zerzankter Haufen, der mit Ach und Krach zwölf Prozent erringt. Kein Ergebnis, das zu historischen Experimenten einlädt. Ein Jammer, heißt es bei der Linken. Die Revolution war so nah.
Der Mann am Telefon ist grad ein bisschen abgelenkt, weil er am Brandenburger Tor mitten in der Kundgebung gegen Antisemitismus steht. Es ist Sonntagnachmittag. Die Demoskopen haben die ersten Trends bei der Landtagswahl in Thüringen errechnet. Zwölf Prozent. „Wie, für die AfD?“, fragt der Mann zurück. Nein, für die AfD zehn. Zwölf Prozent für seine Partei. Zwölf Prozent für die SPD. Der Mann ist plötzlich überhaupt nicht mehr abgelenkt.
Es ist ja auch ein Desaster. Die Sozialdemokraten haben in Erfurt fünf Jahre in einer großen Koalition unter der CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht mitregiert. Jetzt stürzen sie von gut 18 auf zwölf Prozent, ein Drittel der Stimmen ist weg, nur mit Mühe vor dem neuen Star der Ost-Landtage, der Alternative für Deutschland. In Erfurt bleibt der Spitzenkandidatin Heike Taubert nur das Eingeständnis: „Wir haben ein richtig schlechtes Ergebnis.“ Frau Taubert fordert dann noch, dass in den nächsten Tagen keine Köpfe rollen dürften.
Dieses Ergebnis - eine Zäsur
Damit meint sie in erster Linie ihren eigenen. Denn in Berlin, in der Bundesspitze, haben sie sehr schnell die Schuldigen ausgemacht. Man könnte die Wahl ja so lesen, dass der SPD große Koalitionen nicht gut bekommen. Man könnte aus dem Einbruch auch schließen, dass ihr das Liebäugeln mit einer Linkskoalition nicht gut tut. Aber bevor jemand auf solch gefährliche Ideen kommt, gibt Sigmar Gabriel eine andere Parole aus.
„Ein solches Ergebnis ist eine Zäsur, über die wir gemeinsam nicht einfach hinweggehen sollten“, sagt der Parteichef. Das klingt genau so drohend, wie es gemeint ist. Im Präsidiumskreis haben sie ihn so verstanden, dass er einen personellen Neuanfang in der Thüringer SPD fordert. Öffentlich sagt er, wenn man so ein schlechtes Ergebnis einfahre, „dann muss es Gründe geben, die im Land liegen“.
Legendär zerzankter Haufen
Das kann man durchaus so sehen. Die Thüringer SPD gilt im Willy-Brandt-Haus seit langem als Sanierungsfall mit Tendenz ins Hoffnungslose. Sie ist ein legendär zerzankter Haufen. Und, sagt einer aus der Bundesparteiführung: „Keine Partei wird verlässlicher für Uneinigkeit bestraft als die SPD.“ Zuletzt haben sie sich in Erfurt über der Frage zerrauft, ob die Partei gegebenenfalls als Juniorpartner dem Kandidaten Bodo Ramelow dazu verhilft, als erster Linker überhaupt Ministerpräsident eines Bundeslandes zu werden, und ob sie das vorher im Wahlkampf sagen oder lieber nicht.
Theoretisch scheint die Revolution am Wahlabend immer noch möglich zu sein; in den Hochrechnungen liegt Rot- Rot-Grün nur knapp hinter, später sogar gleichauf mit Schwarz-Rot. Aber zwölf Prozent sind kein Ergebnis, das zu historischen Experimenten einlädt. Ramelow hält in Erfurt die Fahne hoch. Bei den Berliner Parteifreunden herrscht schon früh Ernüchterung.
Auch die Kanzlerin hat die Bedeutung Thüringens sehr genau begriffen
Offiziell lautet dort die Devise, man solle sich über Ramelows sehr gutes Ergebnis freuen (und darüber dezent das desaströse Abschneiden bei der Parallelwahl in Brandenburg vergessen). Parteichef Bernd Riexinger konzentriert sich also auf Thüringen: „Wir sind dort die eigentlichen Herausforderer der CDU“, erklärt er. „Wir gehen dort in Richtung 30 Prozent.“ Aber schon sein Satz „Die Thüringer haben eine andere Regierung verdient“ klingt ein bisschen resigniert.
Nach Jubel ist im Berliner Karl-Liebknecht-Haus niemandem zumute. Da hilft nicht mal der Mojito, den die Initiative Cuba Si im Innenhof der Parteizentrale an die Anhänger ausschenkt. „So ein verdammter Mist“, flucht ein Linken-Politiker, der zu den Strippenziehern in der Partei gehört. „Wir waren so kurz davor, endlich mal einen linken Ministerpräsidenten zu stellen! Dieses Mal hätte die SPD sich nicht mehr gedrückt.“ Hätte – im Konjunktiv steckt der ganze Frust über die mutmaßlich verpasste Chance.
Keine Signalwirkung? Stimmt nicht
Ob bei der SPD-Führung die Trauer über diesen Aspekt ähnlich ausgeprägt ist, ist am Sonntagabend schwer zu sagen. Offiziell hatte Gabriel seine Generalsekretärin Yasmin Fahimi zuletzt verkünden lassen, die Thüringer Verhältnisse würden für den Bund so oder so keinerlei Signalwirkung entfalten. Aber das stimmt natürlich nicht. Schließlich hat die SPD schon ganz offiziell den Bann gelockert, mit dem sie die Linkspartei seit den Tagen des Parteichefs Rudolf Scharping belegt hatte. Schließlich gibt es auf unterer Ebene ganz offiziell trilaterale Gespräche über Rot-Rot-Grün. Und schließlich kann sich jeder ausrechnen, dass es 2017 für Sigmar Gabriel wenig Sinn machen würde, sich zum Vizekanzlerkandidaten unter Angela Merkel ernennen zu lassen, weil ihm für alles andere die Machtperspektive fehlte.
Kurz: Eine rot-rot-grüne Demonstration in Thüringen wäre schon ganz nützlich – Brandenburg, das nur am Rande, zählt aus bundespolitischer Sicht als schwer erklärbarer Sonderfall der Politik, so ähnlich wie das Saarland, wo sie ja auch schon mal merkwürdige Dinge zusammenwählen ohne Auswirkungen über die Landesgrenzen hinaus.
Gewohnheitsverlierer: die FDP
Merkel zum Beispiel hat die Bedeutung Thüringens sehr genau begriffen. Am Samstag war sie zum Wahlkampfabschluss der Christdemokraten in Apolda. Man kennt die Kanzlerin dort aktuell recht gut; in der Kulturfabrik hängen 80 Porträts an der Wand, die die Leser einer großen Boulevardzeitung zu Merkels 60. Geburtstag gemalt haben. Das Original war auf Krawall gebürstet. „Da soll jetzt der Karl Marx in die Staatskanzlei getragen werden“, schimpfte sie, „das kann doch nicht sein!“ Die Mahnung galt den Grünen, deren Herkunft aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung Merkel listig betonte, aber auch denen in der SPD, die in Ramelow nach wie vor weniger den freundlich bebrillten West-Realo sehen als den SED-Nachfolger.
So viel zu den Verlierern. Wobei, es gibt noch welche, aber die sind es inzwischen derart gewohnheitsmäßig, dass man sie glatt schon vergisst. Die FDP ist diesmal wieder gescheitert, irgendwo im Niemandsland von 2,5 Prozent. Die Gewinner dieses Wahltags sind andere. Nicht direkt die Grünen, selbst wenn sie es in beide Landtage geschafft haben. Man sei jetzt in allen 16 Landtagen vertreten, resümiert Parteichef Cem Özdemir. Ordentliche Bilanz, immerhin, viel mehr will man bei den Ökos derzeit nicht und kann es auch nicht wollen.
Wie ein Staubsauger zieht die AfD Unzufriedene aus allen Ecken an
Ein bisschen zu den Siegern zählt auch die CDU – sie kann in Erfurt hoffen, dass Christine Lieberknecht ganz knapp doch noch Ministerpräsidentin bleibt, und in Brandenburg hoffen, dass sie von der Opposition zum Juniorpartner der SPD aufsteigt. Merkels Partei kann jedenfalls so oder so auf Wahlergebnisse blicken, die nach oben weisen, in Thüringen mit gut drei Prozentpunkten sogar recht deutlich. „Das ist ein wunderbarer Tag für die CDU!“, jubelt General Peter Tauber. Und CDU-Vize Armin Laschet merkt gallig an, die Menschen wollten in Thüringen keinen linken Ministerpräsidenten.
Aber die wirklichen Gewinner dieses Wahlabends sind die neuen Matadore des Ostens. Zehn Prozent in Thüringen, sogar zwölf in Brandenburg – die Alternative für Deutschland setzt die Siegesserie fort, die sie in Sachsen vor zwei Wochen begonnen hatte. „Ich denke, das ist wirklich eine historische Phase, die wir hier erleben“, verkündet Thüringen-Spitzenmann Björn Höcke.
Die AfD, ein Problem der CDU? Nicht nur
Dabei sind ein paar Dinge zu beobachten, die zumindest an der konventionellen Weisheit zweifeln lassen, dass die AfD vor allem ein Problem der CDU ist. Erstens ist es aktuell die AfD, die in Thüringen verhindert, dass Rot-Rot-Grün eine komfortable Mehrheit hat. Bei den linken Parteien hält sich denn ja auch hartnäckig der Verdacht, dass der Thüringer CDU-Fraktionschef Mike Mohring genau das im Sinn hatte, als er mit ein paar unscharfen Äußerungen über die prinzipielle Koalitionsfähigkeit den Neuen so etwas wie eine demokratische Legitimation zu verleihen schien.
Aber auch rein mathematisch sorgen die beiden Landtagswahlen in Sachen AfD für Irritation. In Erfurt hat die CDU zugelegt, trotz der AfD. In Potsdam ist die Linke eingebrochen, offenbar auch wegen der AfD. Die Partei, die als Anti-Euro-Truppe gestartet ist, verdankt ihren Zuwachs offenbar einer Art Staubsauger-Funktion. „Die ziehen alle Unzufriedenen und Protestwähler an, egal aus welcher Ecke“, vermutet ein führender Christdemokrat.
Bei der SPD sind sie zu dem Schluss auch schon gekommen. Die AfD, sagt einer aus der SPD-Führung, nehme der SPD nicht so sehr auf direktem Wege Wähler weg. Aber sie schmälere gleichwohl die Chance der Sozialdemokraten, aus dem bundesweiten 25-Prozent-Turm wieder herauszukommen: „Die holen unsere Nicht-Wähler in Wartestellung.“
Gabriel schaltet auf Attacke
Gabriel schaltet folgerichtig auf Attacke. „Wir müssen klarer machen, dass die AfD die größte Jobkiller-Partei Deutschlands wäre, wenn sie ihre Politik durchsetzen würde“, warnt der SPD-Chef; gerade Angestellte und Facharbeiter würden dann zu leiden haben.
Bei der CDU wiederholt Tauber den bekannten Kurs: die Themen und Wähler der AfD ernst nehmen, aber weder anbiedern noch die Partei selbst attackieren. „Eine Strategie lebt davon, dass man sie nicht alle zwei Wochen über den Haufen wirft“, merkt der Generalsekretär ein bisschen altklug an. Andere Christdemokraten werden deutlicher. Zum Erfolg der Alternative trügen sicher allerlei ehemalige CDU-Wähler bei. Und man werde sicher versuchen, manche von denen zurückzugewinnen. Aber andererseits: „Manche wollen wir ja auch gar nicht wiederhaben.“
Die Gefahr besteht ohnehin eher nicht. Horst Seehofer jedenfalls geht davon aus, dass diese „Alternative“ so schnell nicht wieder verschwinden wird. Die AfD, sagt der CSU-Chef, bestehe ja nicht nur aus „braunen Dumpfbacken“, sondern habe in ihren Reihen auch „intelligente Menschen“. Und wenn die AfD-Spitze die Radikalen aussortierte, werde sie bis 2017 immer noch existieren.
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