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So schön unmodern, so schön zentral - Tegel hat Fans.
© dpa

BER-Desaster hat auch gute Seiten: Tegel-Fans freuen sich über jede Verzögerung

Der BER ist völlig okay, so lange man ihn nicht benutzen muss. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Arno Makowsky

Alles, was über den Bau des Flughafens BER berichtet wird, klingt ja mittlerweile nach Satire. Zum Beispiel die jüngste Meldung, dass die Baubehörde des Kreises Dahme-Spreewald den „5. Nachtrag der Baugenehmigung für den Umbau der Entrauchungsanlage“ genehmigt hat. Der fünfte Nachtrag umfasst 80 Ordner, wie der zuständige Landrat mitteilt. Wenn die ersten vier Nachträge auch so umfangreich waren, besteht die Genehmigung mittlerweile aus 400 Ordnern. Kein Wunder, dass sich der Umbau etwas hinzieht.

Die meisten Leute regen sich darüber auf, Menschen wie ich hingegen freuen sich über jede BER-Verzögerung. Denn jeder Tag ohne BER ist ein Tag mit Tegel! Auch wenn man dabei natürlich ein etwas schlechtes Gewissen hat, weil die BER-Baustelle offenbar eine Million Euro pro Tag kostet. Aber es ist ja für einen guten Zweck. Nämlich den, dass wir Tegelfreunde von Mitte aus in 25 Minuten zum Flughafen kommen, neuerdings sogar wieder mit diesem sympathischen TXL-Bus, der eigentlich jede Stadtrundfahrt überflüssig macht, weil man mit ihm an allen tollen Sehenswürdigkeiten vorbeifährt.

Man muss, um Tegel zu mögen, übrigens nicht der FDP beitreten. Es ist nicht einmal notwendig, sich diesem Volksbegehren zur Erhaltung des Flughafens anzuschließen. Es genügt schon, sich ein wenig darüber zu freuen, dass dieses originelle, künstlerische, den Gesetzen der kommerziellen Optimierung sich widersetzende Flughafengebäude stehen bleiben darf. Und mit ihm ein Flugbetrieb, der verglichen mit anderen Metropolen unfassbar antiquiert wirkt, aber eben doch irgendwie funktioniert. Flughafenmanager und Marketingstrategen vermissen Shoppingmalls und glitzernde Gastro-Landschaften. Alles das gibt es hier kaum. Und genau das macht Tegel so liebenswert.

Wir sind nicht gegen Fortschritt, aber gegen den BER

Nun sind wir Tegelianer keineswegs fortschrittsfeindlich, im Gegenteil. Wir finden: Der BER ist völlig okay, solange man ihn selbst nicht verwenden muss. Sprich: Solange Tegel weiterhin in Betrieb ist. Flughafenchef Mühlenfeld sieht das anders, aber er wird umdenken müssen. Denn gerade ist ja aus irgendwelchen obskuren Quellen ein Papier aufgetaucht, in dem sehr schlüssig aufgedröselt wird, warum die Metropole Berlin zwei Großflughäfen braucht. Und dass irgendwelche bürokratischen Hindernisse wie ungenehmigte Flugrouten natürlich lösbar sind.

Um das zu ahnen, muss man allerdings keine Experten am Start haben. Kein Zweifel, Berlin entwickelt sich zu einer Weltstadt. Sie wächst immer rasanter, ihr Flair, ihre Lebendigkeit begeistert die Menschen überall. Und eine solche Metropole soll mit nur einem großen Flughafen auskommen? Wie viele Flughäfen gibt es in Paris? Vier. In London? Sechs. In New York? Acht. Doch in Berlin reden Spezialisten davon, dass Flugpassagiere bei Engpässen nach Leipzig ausweichen könnten. Das klingt, gemessen am internationalen Anspruch der Stadt, doch arg provinziell.

Nun gibt es Berliner, die sich vom Verschwinden des Tegeler Flughafens nicht nur weniger Lärm versprechen, sondern vor allem ein attraktives neues Stadtviertel. Ein Forschungs- und Gewerbepark, 17500 Arbeitsplätze, 5000 Wohnungen – das klingt erstmal gut. Andererseits gibt es Beispiele, an denen man sieht, was bei solchen Planungen herauskommen kann. In München wurde auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Riem die sogenannte Messestadt gebaut. „Wohnen im Grünen mit allen Vorzügen einer städtischen Umgebung“, dichtete die Stadt in ihren Broschüren.

In München lief es ähnlich - und es lief schlecht

In Wahrheit bedeutet das: hohe Verdichtung, viel Beton, kaum Grün. Schließlich geht es darum, auf dem vorhandenen Raum möglichst viele Wohnungen entstehen zu lassen. Die daran beteiligten Investoren haben vieles im Sinn. Schöne Architektur und dass die Menschen sich wohlfühlen, gehört nicht dazu. Die Münchner Messestadt ist in einem Maße trostlos, dass man es kaum erträgt. Schuhschachtelartige Klötze in Serie, Siedlungen mit dem Charme von Gefängnishöfen und zwischendrin eine Betonwüste namens „Willy- Brandt-Platz“, die dem Motto folgt: Mehr Hässlichkeit wagen.

Den Berlinern kann man empfehlen, sich dieses Beispiel genau anzuschauen. Und nochmal darüber nachzudenken, ob so ein neuer Stadtteil wirklich ein Gewinn ist. Aber vielleicht geht der Kelch ja an Tegel vorüber. Schon deshalb, weil die Beamten damit überfordert sind, die 400 Ordner für die Genehmigung der Entrauchungsanlage beim BER durchzulesen. Und spätestens beim sechsten Nachtrag kapitulieren.

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