Rechtsextreme Aufmärsche angekündigt: Tausende Gegendemonstranten bestimmen das Stadtbild in Kassel und Halle
120 Rechtsextremen stehen in Kassel rund 10.000 Demonstranten gegenüber. In Halle untersagt die Versammlungsbehörde einen Aufmarsch der „Identitären Bewegung“.
Knapp zwei Monate nach dem Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke haben am Samstag rund Zehntausend Menschen in Kassel gegen einen Aufzug Rechtsextremer demonstriert. Allein an einem ersten Protestmarsch am Vormittag beteiligten sich nach Angaben der Polizei rund 3000 Menschen.
Die Kleinstpartei „Die Rechte“ hatte zu einer Demonstration an diesem Samstag aufgerufen. Die Polizei erwartete hier bis zu 500 Teilnehmer, es wurden offenbar nur rund 120. Die Partei spricht von einer Instrumentalisierung der Tat, mit der Rechte in die Nähe von Gewalt und Terror gestellt würden. Ein Bündnis gegen Rechts hatte zahlreiche Gegenveranstaltungen mit voraussichtlich mehreren Tausenden Demonstranten angemeldet.
Trotz eines Großaufgebotes der Polizei kamen sich Rechtsextreme und Gegendemonstranten zeitweise bis auf wenige Meter nahe. Flaschen flogen, es gab Gerangel mit Einsatzkräften. Laut Polizei wurden 31 Personen zeitweise fest- oder in Gewahrsam genommen. Unter anderem gab es Verstöße gegen das Vermummungsverbot und das Waffengesetz, einmal wurden verfassungswidrige Symbole gezeigt. Verletzte habe es nicht gegeben.
Bundesjustizministerin (SPD) Christine Lambrecht kritisierte den rechten Aufmarsch: „Es ist widerlich und scheinheilig, wenn ausgerechnet die, die den Hass schüren, nun wenige Wochen nach diesem unfassbaren Verbrechen durch Kassel marschieren.“ Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) erklärte anlässlich des 75. Jahrestages des Attentats auf Adolf Hitler: „Der politisch motivierte Mord an Walter Lübcke zeigt, wie wichtig Zivilcourage und der Kampf gegen Hass und Hetze heute nach wie vor sind.“
Die Stadt Kassel war vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof mit dem Versuch gescheitert, den Aufmarsch der Rechtsextremen zu verbieten. „Auch wenn uns von Beginn an bewusst war, dass die Hürden für eine Verbotsverfügung sehr hoch sind, wollten wir als Stadt nichts unversucht lassen, die Versammlung beziehungsweise den Aufmarsch in der Innenstadt oder vor dem Regierungspräsidium zu verhindern“, sagte Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD).
Über einen Auflagenbescheid sei es zumindest gelungen, Versammlung und Aufmarsch aus der Kasseler Innenstadt zu verbannen, so Geselle. Es sei auch das Vermächtnis des ermordeten Regierungspräsidenten Lübcke, dass man gegen Aufmärsche rechtsextremer Gruppen klare Kante zeigen müsse.
Nachdem im Internet Gewaltaufrufe kursierten, rüstete sich die Polizei für einen Großeinsatz. Seit den Morgenstunden war die nordhessische Stadt in einer Art Ausnahmezustand: Busse und Bahnen hatten in der Innenstadt den Betrieb eingestellt. Die Polizei kontrollierte an Bahnhöfen, Teile der Stadt waren gesperrt. Das Stadtbild beherrschten die Gegendemonstranten.
Walter Lübcke (CDU) war am 2. Juni in seinem Haus im Landkreis Kassel erschossen worden. Der Generalbundesanwalt geht von einem rechtsextremen Hintergrund aus. Der 45-jährige Stephan E. hatte die Tat gestanden und dann sein Geständnis widerrufen.
Versammlungsbehörde verbietet Aufmarsch der „Identitären Bewegung“ in Halle
In Halle (Saale) fanden sich anlässlich eines Aufmarschs der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ am Samstag ebenfalls Tausende Gegendemonstranten ein. Sie beteiligten sich an mehreren Demonstrationen sowie einem „Bürgerfest für Demokratie“, wie das Bündnis „Halle gegen rechts“ mitteilte. Die Polizei war in Halle nach eigenen Angaben mit mehreren Hundertschaften im Großeinsatz. Zu Teilnehmerzahlen an den Protestveranstaltungen wollte die Polizei zunächst keine Angaben machen. Eine Sprecherin sprach von „mehreren hundert“ Gegendemonstranten.
Unterdessen wurde der geplante Aufmarsch der „Identitären Bewegung“ in der Stadt abgesagt. Über Twitter teilte die Polizei in Halle mit, die Versammlungsbehörde habe den Start der Demonstration verboten.
An dem Protest gegen den Aufmarsch der „Identitären Bewegung“ nahmen auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sowie der Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby (SPD) teil. „Die „Identitäre Bewegung“ muss die Gemeinnützigkeit als Verein sofort aberkannt bekommen", sagte Klingbeil. Die Einstufung als rechtsextrem durch den Verfassungsschutz sei richtig. Jetzt müsse mit der Aberkennung der Gemeinnützigkeit der nächste Schritt folgen.
Halles parteiloser Oberbürgermeister Bernd Wiegand sagte: “Mit dem Bürgerfest setzen wir gemeinsam mit unseren Partnern ein klares Zeichen für Vielfalt, Demokratie und Weltoffenheit. Hass, Rassismus und Intoleranz haben in unserer Stadt keinen Platz." (mes dpa, epd)