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ehrere tausend Menschen demonstrieren in Bergheim für den Erhalt der Braunkohleförderung.
© Henning Kaiser/dpa

Klimapolitik: Tausende Bergleute gegen schnelles Kohleende

Kohlekommission will Behörden in die Bergbaureviere verlagern, um Arbeitsplätze zu ersetzen. Ihr Zwischenbericht wird Ende der Woche erwartet.

„Angst um meinen Job hab’ ich“, sagt ein Kohlekumpel Mitte 20 in die Kamera. „Wenn wir aus der Kohle aussteigen, bin ich noch nicht in Rente.“ Der junge Mann mit der Schutzkleidung und dem weißen Helm auf dem Kopf steht im Nieselregen vor einer Bühne, auf der gerade Michael Vassiliadis, Chef der Industriegewerkschaft, ins Mikrofon ruft. Der Kohlekumpel ist einer von mehreren Tausend, die am Mittwoch im nordrhein-westfälischen Elsdorf gegen den schnellen Kohleausstieg demonstrieren.

Anlass für ihren Protest ist der Besuch der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ im Rheinischen Braunkohlerevier. Die Kommission soll Pläne für Deutschlands Weg aus der Kohle vorlegen. Zuerst zum Strukturwandel, dann zum Enddatum.

Ein Zwischenbericht von der Kommission wird bereits Ende dieser Woche erwartet. In einem Entwurf heißt es bereits, dass zwei Bundesämter ganz oder teilweise in die betroffenen Regionen umgesiedelt werden sollen. Dafür kämen das Bundesamt für Sicherheit und Informationstechnik (BSI) und das Bundesverwaltungsamt (BVA) in Frage.

In Bergheim am Randes des RWE-Tagebaus Hambach hat sich die Kohle-Kommission im Kreishaus zusammengefunden. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Amin Laschet (CDU) sagt dort, es müsse eine „langfristige und zielgerichtete Unterstützung“ für die betroffenen Regionen geben.

Emissionen aus Kohle müssen bis 2030 um Zwei Drittel sinken

20.000 Menschen sind in Deutschland noch in der Braunkohle beschäftigt, davon etwa 7000 in Nordrhein-Westfalen. Kommt der Kohleausstieg, gilt das Rheinische Revier als besser aufgestellt als etwa die ostdeutsche Lausitz. Mit dem Ballungsraum Köln gibt es Alternativen an Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Allerdings ist Nordrhein-Westfalen Heimat der Stahl-, Aluminium- und Chemieunternehmen. Für sie ist die Stromversorgungssicherheit entscheidend und der Strompreis. Dass dieser wegen des Kohleausstiegs steigen werde, bezweifeln Energieexperten nicht. Nur gibt es teils sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, wie hoch der Anstieg ist.

Die Diskussionen weiter anheizen dürfte eine Studie des Beratungshauses r2b im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums, die dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt. Das Papier kannten bisher nur die Mitglieder der Kohle-Kommission.

Die Forscher von r2b haben untersucht, wie weit die Emissionen aus deutschen Kohlekraftwerken im Jahr 2030 gesunken sein müssen, damit Deutschland seine bereits beschlossenen Klimaziele auch sicher schafft. Das Ergebnis: Sie dürfen nur noch auf 84 bis 92 Millionen Tonnen Kohlendioxid kommen und damit auf zwei Drittel weniger CO2 als heute. Erwartbar für 2030 ist, dass durch den Zubau von erneuerbaren Energien oder steigenden Zertifikatepreise aus dem Europäischen Emissionshandel der fossile Kraftwerkspark auf etwa 25 Gigawatt (GW) Leistung schrumpfen wird. Das reicht aber nicht, sagt r2b. Es müssen weitere acht GW durch den Staat aus dem Strommarkt herausgenommen werden. Nur so sind die Klimaziele zu erreichen. Mit welchen Instrumenten der Staat den Kraftwerkspark schrumpfen sollte, lässt die Studie offen. Die Überraschung der Studie beim Strompreis: Im Vergleich zu dem Szenario, welches der Koalitionsvertrag ohnehin vorsieht – einer Erhöhung des Erneuerbaren-Anteils auf 65 Prozent an der Stromversorgung – steigt der Strompreis um 0,14 Cent pro Kilowattstunde. Andere Studien sind zuletzt von mehr ausgegangen.

Das Wirtschaftsministerium möchte die Studie nicht kommentieren. Man wolle die Ergebnisse der Kohle-Kommission abwarten, heißt es.

60 Milliarden für den Strukturwandel

Doch beim Kohleausstiegsdatum ist die Kommission noch lange nicht. Erst soll es ja um den Strukturwandel gehen.

30 Jahre werde der Strukturwandel in den betroffenen Kohleländern in Anspruch nehmen, das haben die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Kohleländer vergangene Woche in Berlin auf einer Pressekonferenz mitgeteilt. Dabei seien die Kosten für den Prozess mit zwei Milliarden Euro pro Jahr „eher am unteren Rand“ angesiedelt, sagte Reiner Haseloff (CDU), Ministerpräsident aus Sachsen-Anhalt. Allerdings müssten Maßnahmen zur verbesserten Verkehrsanbindung der ostdeutschen Braunkohlegebiete extra finanziert werden. Bisher hat der Bund schon 1,5 Milliarden Euro für den Strukturwandel zur Seite gelegt.

Eine bessere Verkehrsanbindung, etwa im vom Kohleausstieg betroffenen Rhein-Erft-Kreis, fordert auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Zu den 60 Milliarden seiner ostdeutschen Amtskollegen hat er sich bislang nicht geäußert. Ein Mitglied der Kohle-Kommission sagte dem Tagesspiegel, die Summe sei „natürlich Quatsch“.

Neben Zahlen geht es den Kohlekumpeln auch um das Gefühl, dass man ihre Sorgen ernst nimmt. Da dürften ihnen die Auftritte von Laschet, Vassiliadis und anderen

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