Organisierte Kriminalität in Berlin: Tatort Neukölln - was tun Politik und Polizei?
Die Berliner Kriminalstatistik nennt auffallend oft arabische Männer aus Großfamilien als Täter. Das Problem hat sich seit den 80er Jahren entwickelt. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.
Seit den 80er Jahren gelten arabische Großfamilien in Berlin als problematisch. Sozialarbeiter, Lehrer, Ermittler und Justizbeamte werden von ihnen oft nicht respektiert, zuweilen auch bedroht. In den Kriminalitätsstatistiken tauchen Männer aus dem Nahen Osten überproportional häufig auf. Das gilt für jugendliche Intensivtäter, aber auch für die Organisierte Kriminalität (OK). Der Schwerpunkt der in der Kriminalstatistik auffallend oft auftauchenden arabischen Männer und ihrer Großfamilien liegt in Berlin-Neukölln.
Warum sind arabische Clans in der Organisierten Kriminalität so stark vertreten?
In den 80er Jahren tobte im Libanon ein Bürgerkrieg, unter dem die dort lebenden Palästinenser besonders zu leiden hatten. Viele der in Berlin als Verdächtige geführten Männer stammen zudem aus dem arabischsprachigen Süden der Türkei, von wo sie nach den Kurdenaufständen in den 30er Jahren in den Libanon auswanderten und dort wie viele Palästinenser keine Staatsbürgerschaft erhielten. Zahlreiche Familien flohen weiter nach Deutschland. Hierzulande wurden sie oft nur geduldet und zumeist als Staatenlose, nicht als Libanesen registriert. Die Neuankömmlinge erhielten keine deutsche Staatsbürgerschaft und keine Arbeitserlaubnis.
„Niemand in Deutschland hat deren Integration gewollt“, sagte ein informierter Anwalt vor einigen Jahren dazu. Allerdings gab er auch zu, dass diese Männer besonders aggressiv vorgehen. Die archaisch-patriarchalen Traditionen in den oft bildungsfernen Familien dürften zu dieser Entwicklung beigetragen haben.
Wie reagieren die Behörden?
Viele der aus dem Nahen Osten stammenden Männer sind staatenlos. In den Landesinnenministerien wird deshalb eine Liste geführt, auf der die Namen von Verurteilten stehen, bei denen die Behörden mittels „Sachbeweisen“ eine libanesische Herkunft nachzuweisen glauben. Teilweise sind auf der Liste auch erfolglose Versuche samt Datum vermerkt, die Männer abzuschieben. 2011 waren auf dieser Liste mehr als 200 Personen vermerkt, rund 90 davon lebten in Berlin.
Immer wieder sind sie wegen Betäubungsmittelhandels, Körperverletzung, Nötigung oder versuchten Totschlags verurteilt worden. Libanon möchte diese Männer aber nicht zurück. „Hier ist das Auswärtige Amt gefordert mit dem Libanon Rückübernahmeabkommen auszuhandeln“, sagt ein Sprecher der Berliner Innenverwaltung.
Die Berliner Polizei hat zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in diesem Jahr 20 neue Stellen bekommen. „Diese werden innerhalb des Landeskriminalamtes zur personellen Verstärkung der drei Fachdienststellen für arabische Großfamilien, Rockerkriminalität und Geldwäsche eingesetzt“, sagte ein Sprecher der Innenverwaltung. Polizisten und Sozialarbeiter arbeiten daran, die Traditionen dieses Milieus zu brechen. Dies gelingt kaum, auch weil Haftstrafen oft nicht als Makel gelten und die Männer mit Geld und Konsumgütern protzen – was jugendliche Nachahmer anzieht.
Die Berliner Polizei ist seit 1992 als Präventionsvermittler in Schulen tätig. Mit Anti-Gewalt-Veranstaltungen soll gewalttätigem und delinquentem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen vorgebeugt werden. Die 20 Schulen rund um die Hermannstraße werden fast einmal im Monat von Beamten besucht. Eine Frage, die Polizisten dort den Klassen stellen, lautet: „Wer von euch ist Deutscher?“ Unabhängig davon, ob die Kinder deutsche Staatsbürger sind oder nicht, meldet sich dabei oft kein einziges Kind. Weil sie sich offenbar nicht mit dem Land identifizieren.
Welche kriminellen Netzwerke sind sonst noch aktiv?
In vielen Kiezen dominieren arabische Männer bestimmte Deliktfelder – etwa Raub, Bandendiebstahl, Nötigung, Betäubungsmittelhandel. Allerdings sind stadtweit betrachtet diverse Gruppen aktiv. In der Polizeistatistik fallen Männer osteuropäischer Herkunft auf, dazu kommen deutsche, türkische, kurdische Verdächtige. Eine eigene Szene mit Überschneidungen zu arabischen Clans bilden Rocker-Bruderschaften.
In Berlin werden bis zu 1000 Rocker als militant eingestuft. Nur einige davon werden der Organisierten Kriminalität zugerechnet. Bestimmten Biker-Bruderschaften, vor allem im Umland der Hauptstadt, haben sich ehemalige Rechtsradikale angeschlossen. Auch sie wollen von den Geschäften der oft multinationalen Rockertruppen profitieren.
Was unternimmt die Berliner Politik gegen die Zustände in Neukölln?
Der Innenexperte der Grünen im Abgeordnetenhaus, Benedikt Lux, von Beruf Rechtsanwalt, sieht den Hauptschwerpunkt in der Bekämpfung krimineller Strukturen bei den Fahndern. „Der Ermittlungsdruck könnte stärker sein“, sagt er. Die Verantwortlichen müssten in der Lage sein, „die Kette vom Strippenzieher bis zum Tatausführenden“ besser zu identifizieren. Er plädiert dafür, die Vernetzung von Staatsanwaltschaft, Schutzpolizei, Finanzamt und Landeskriminalamt zu verstärken. Nach seiner Ansicht würden die bestehenden Möglichkeiten, Geld aus kriminellen Aktivitäten abzuschöpfen, noch nicht genügend ausgereizt.
Der Berliner SPD-Innenexperte Tom Schreiber möchte bei der Bekämpfung jener Strukturen, die sich „in den vergangenen 20, 30 Jahren verfestigt haben“, die Bezirke unterstützen. „Es ist wichtig zu zeigen, dass das Thema in allen Facetten angegangen wird“, sagt er. Konkrete Maßnahmen nennt er nicht, er will auch nicht sagen, in welcher Form in den Koalitionsverhandlungen über die Organisierte Kriminalität geredet wird, „aber natürlich wird das Thema behandelt“. Für Schreiber ist auch die Prävention bedeutsam. „Man muss sich auch mit den Biografien beschäftigten. Wie kann es sein, dass jemand in solche Strukturen kommt?“
Wie reagiert Neuköllns Politik auf die kriminellen Clans?
Franziska Giffey, die Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, sieht als neue Entwicklung, dass sich eine „professionelle Bewegung vom Dunkelfeld ins Hellfeld vollzieht“. Das bedeutet, dass kriminell erwirtschaftetes Geld in legale Projekte investiert wird, „damit man legal viel Geld verdienen kann“. So würden kriminelle Clans zum Beispiel Immobilien kaufen. Darunter seien auch Schrottimmobilien, in denen dann erheblich mehr Menschen untergebracht würden als gesetzlich erlaubt sei. „Und die Miete wird in bar abkassiert.“
In den Koalitionsverhandlungen werde der Bezirk darauf drängen, dass „solche Machenschaften nach Möglichkeit beendet werden“. Man könne auch stärker als bisher solche überbelegten Immobilien dem Finanzamt melden. Dort werde dann überprüft, wie viele Steuern der Vermieter bezahlt habe. Unabhängig davon würden aber auch Ordnungs- und Gesundheitsamt einschreiten.
Falko Liecke (CDU), Jugend- und Gesundheitsstadtrat sowie stellvertretender Bürgermeister von Neukölln, verweist auf ein neues Projekt für jugendliche Intensivtäter. So würden jetzt Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendamt, aber auch Familien- und Strafrechtsrichter an einem Tisch sitzen und über geeignete Maßnahmen debattieren. Geht es dabei um einen einzelnen Täter, findet das Ganze anonymisiert statt – die Richter sollen ja nicht beeinflusst werden.
Da kann es zum Beispiel Thema sein, ob es sinnvoll sein könnte, ein Kind aus einer Familie zu nehmen. Allerdings wird es enge Grenzen bei diesen Beratungen geben. Die Anwesenden können ja keine Gerichtsverhandlung samt Urteil vorwegnehmen. Es gehe darum, mögliche Maßnahmen und sinnvolle Lösungen zu erörtern. Wichtiger Punkt dabei sei der Kontakt zu einer betroffenen Familie.
„Wir wollen mit den Familien auf Augenhöhe reden und ihnen zeigen, dass sich der Staat nicht mehr alles bieten lässt“, sagt Liecke. Diesen speziellen Kontakt sollen vor allem drei Mitarbeiter herstellen und pflegen, die derzeit eingestellt werden. „Sie sollen eine besondere sprachliche und kulturelle Kompetenz besitzen“, sagt Liecke. Eine Frau und ein Mann, beide mit arabischen Wurzeln, hat er bereits eingestellt. Seit ein paar Monaten gibt es auch drei Staatsanwälte, die ausschließlich Fälle in Neukölln bearbeiten. Auch mehrere Straf- und Familienrichter sind inzwischen nur für Fälle in Neukölln zuständig. Liecke hütet sich aber, eine konkrete Erfolgsprognose zu verkünden. „Ob das am Ende alles funktioniert, das kann ich nicht sagen.“