Afghanistan: Taliban befreien hunderte Gefangene
Islamisten stürmten am Montag ein Hochsicherheitsgefängnis in Ghazni. Rund 350 Häftlinge konnten fliehen.
Erst sprengte ein Selbstmordkommando im Schutze der Nacht das Haupttor in die Luft, dann stürmten schwerbewaffnete Militante das Gebäude: Bei einem spektakulären und offenbar generalstabsmäßig geplanten Angriff auf ein Gefängnis in Afghanistan haben die Taliban in der Nacht zum Montag 355 Gefangene, darunter 150 ihrer Kämpfer, befreit.
Unter den Geflohenen könnten auch hochrangige Taliban sein, hieß es. Bei mehrstündigen Feuergefechten wurden angeblich drei Taliban und vier Polizisten getötet. Nach Angaben von Vize-Gouverneur Mohammed Ali Ahmadi hatten die Extremisten zuvor die Straße zum Gefängnis am Rande der östlichen Provinzhauptstadt Ghazni mit Sprengsätzen vermint, so dass Verstärkung nicht rechtzeitig eintraf. Die Angreifer trugen angeblich Uniformen.
Ghazni, das knapp 158 000 Einwohner zählt und Hauptstadt der gleichnamigen Provinz ist, liegt 120 Kilometer von Kabul entfernt. Es ist nicht der erste Attacke dieser Art. Bereits 2008 konnten die Taliban 900 Häftlinge aus einer Gefängnis in Kandahar befreien, 2011 schleusten sie 500 Gefangene über einem 360 Meter langen Tunnel aus einem Hochsicherheitsknast ebenfalls in Kandahar ins Freie.
Die Taliban feierten den Angriff als Erfolg. Seit die Nato Ende 2014 die meisten Soldaten abzog, kämpfen Taliban und Sicherheitskräfte um die Oberhand. Kaum noch eine Gegend gilt als sicher. Auch Ghazni ist umkämpft, die Zahl der zivilen Todesopfer steigt.
Afghanistans Präsident Ashraf Ghani hofft auf Friedensgespräche, um die Gewaltspirale zu beenden. Im Juli hatten sich Vertreter von Afghanistans Regierung und der Taliban in Pakistan zu ersten Gesprächen getroffen. Doch nachdem offiziell bekannt wurde, dass Taliban-Chef Mullah Omar bereits seit Jahren tot ist, sagten die Taliban eine zweite Gesprächsrunde ab.
Stattdessen starteten sie eine neue Gewaltwelle. Während die Hoffnung auf Frieden schwindet, verlieren die Menschen die Hoffnung. Unter den Flüchtlingen in Europa stellen Afghanen je nach Quelle bereits die zweit- oder drittgrößte Gruppe. Wenn die Gewalt weiter eskaliert, dürfte der Exodus gen Westen noch anschwellen.
Zudem bangen auch viele Flüchtlinge, die bisher in Pakistan oder Iran leben, um ihr Bleiberecht. Allein in Pakistan leben 1,7 bis 2,7 Millionen Afghanen, der Iran soll fast einer Million Afghanen Asyl gewähren. Beide Länder wollen die Flüchtlinge nach und nach in ihre Heimat zurückschicken. Laut pakistanischen Behörden laufen die Meldepässe von 1,5 Millionen registrierten Flüchtlingen am 31. Dezember aus. Angeblich will Islamabad die Pässe nicht verlängern.
Damit müssten Hunderttausende Afghanen Pakistan verlassen. Die meisten stehen in ihrer Heimat vor dem Nichts. Ein Teil dürfte versuchen, sich nach Europa durchzuschlagen. Vor allem junge Männer verlassen bereits jetzt in Scharen das Land. Vor der Passbehörde bilden sich jeden Tag lange Schlagen. Der Exodus ist so groß, dass der frühere Präsident Hamid Karsai junge Afghanen besorgt aufrief, doch in ihrer Heimat zu bleiben und mitzuhelfen, das Land aufzubauen.