Ankaras Besatzungstruppen und der EU-Türkei-Deal: Syriens Kurden appellieren an Kanzlerin Merkel
Recep Tayyip Erdogan hält Gebiete der kurdischen Autonomieregion in Nordsyrien besetzt. Die Kurden bitten um deutsche Hilfe.
Syriens Kurden appellieren am vierten Jahrestag des EU-Türkei-Abkommens an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Türkei zum Abzug ihrer Besatzungstruppen aus der kurdischen Autonomieregion zu drängen. In einem Brief an Merkel, der dem Tagesspiegel vorliegt, schreibt der Deutschland-Vertreter der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, Ibrahim Murad: “Wir fordern die Bundesregierung hiermit auf, ihre verschiedenen diplomatischen Möglichkeiten sowie ihre guten politischen und Handelsbeziehungen zu allen Parteien zu nutzen, um die Geschicke in der Region entscheidend positiv zu beeinflussen.”
Kurden wollen UN-Schutzzone in Nordsyrien
Berlin solle sich bei den Vereinten Nationen für eine internationale Sicherheitszone in Nordsyrien einsetzen, schreibt Murad, der die nordsyrische Regionalregierung in Berlin vertritt. Seit der Besatzung des zur kurdischen Autonomieregion gehörenden Afrin 2018 seien 500.000 Männer, Frauen und Kinder durch türkische Truppen und islamistische Verbündete vertrieben worden.
In ihrem “kolonialistischen Selbstverständnis” plane die türkische Regierung eine “nachhaltige demografische Veränderung” an der syrisch-türkischen Grenze. In den besetzten Gebieten seien “Entführungen, Misshandlungen, Vergewaltigungen, Tötungen, Vertreibungen, Plünderungen” üblich. Menschenrechtsverbände berichteten, dass Staatschef Recep Tayyip Erdogan in den besetzten Kurdengebieten arabische und turkmenische Syrer ansiedeln lasse.
"EU-Türkei Deal hat nie wirklich funktioniert"
Das EU-Türkei-Abkommen war am 18. März 2016 auf Initiative der Bundesregierung beschlossen worden, um die Massenflucht nach Europa zu bremsen. Die aktuelle Eskalation an der griechisch-türkischen Grenze bezeichnen Vereine und Initiativen in einem Appell an die EU als das „absehbare Ergebnis einer jahrelangen desaströsen Politik“. Zudem drohe durch einen möglichen Ausbruch des Covid-19-Virus in den Flüchtlingslagern eine humanitäre Katastrophe.
„Der EU-Türkei-Deal hat noch nie wirklich funktioniert”, wird die Migrationsforscherin Sabine Hess von der Universität Göttingen zitiert. “Allerdings hat er erneut einem autoritären Regime Macht über die europäische Politik gegeben. Und Erdogan hat diese Macht schon oft – nicht zuletzt beim Krieg gegen die Kurden – ausgenutzt.”
Die von Erdogan bekämpfte Autonomieregion in Nordsyrien wird vom multiethnischen Militärbündnis SDF verteidigt, deren Hauptkraft die kurdische YPG ist. Maßgeblich die YPG hatte unter hohen Verlusten den “Islamischen Staat” als Territorialmacht besiegt. Regiert wird die auch Rojava genannte Autonomieregion von einer Koalition unter Führung der säkularen Kurdenpartei PYD: Sie gilt als Schwesterverband der auch in Deutschland verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK, die in der Türkei um Autonomie kämpft.
Erdogan unterstützt in Syrien seit Beginn des Kriegs zahlreiche Aufständische, derzeit in Idlib islamische Milizen. Seit dem weitgehenden Abzug der USA aus Syrien verhandelt Ankara regelmäßig mit Moskau, denn Russland ist die Schutzmacht von Herrscher Baschar al Assad. Er will die kurdische Autonomieregion entmachten und in den syrischen Zentralstaat zwingen.