Coronavirus-Epidemie in den USA: Supermacht lässt Diplomaten um Handschuhe und Atemmasken bitten
New Yorks Gouverneur warnt vor einer Überlastung des Gesundheitssystem und verlangt mehr Unterstützung. Trump spricht lieber vom "Licht am Ende des Tunnels".
Was sagt es über eine Supermacht aus, wenn sie sich weltweit auf die Suche nach Handdesinfektionsmittel, Atemmasken, Handschuhen und Beatmungsgeräten machen muss? 25 solcher Güter stehen auf einer Liste des US-Außenministeriums, über die der Sender CNN am Mittwoch berichtete. Danach sollten Diplomaten ihre Gastländer fragen und dabei betonen, es gehe vor allem um Gegenstände, die "sofort" zu haben seien. Die Lage ist offensichtlich ernst: Denn das Coronavirus breitet sich den in USA immer schneller aus.
Während US-Präsident Donald Trump am liebsten zu Ostern die rigiden Schutzmaßnahmen in der Krise aufheben oder zumindest lockern möchte, kämpfen Städte wie New York, aber auch Staaten wie Kalifornien mit dramatisch schnell steigenden Infizierten-Zahlen. Und mit einer Überforderung des Gesundheitssystems.
New York gilt jetzt als Epizentrum der Pandemie in den USA
New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo verkündete bei seinem täglichen Briefing am Donnerstag, dass es in dem Bundesstaat nun mehr als 37.200 Fälle gebe, fast 7000 mehr als am Vortag. Insgesamt seien mehr als 385 Menschen an dem Virus gestorben, ein Anstieg von 100 innerhalb eines Tages. Auch die Zahl der Krankenhauspatienten sei im gleichen Zeitraum um 40 Prozent gestiegen.
Mehr als 21.000 der Infizierten entfallen auf New York City, das waren 3500 mehr, als am Mittwoch gemeldet wurden. Da hatte Bürgermeister Bill de Blasio von 199 Todesopfern gesprochen, auch das ein Anstieg von 50 Prozent innerhalb eines Tages. Die Region gilt derzeit als das Epizentrum der Pandemie in den USA.
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Die Krise "wird uns verändern", sagte Cuomo. "Sie wird eine neue Generation erschaffen, und sie wird verändern, wer wir sind und wie wir denken. Aber niemand ist alleine." Der Gouverneur schafft es immer wieder, bei seinen Briefings auch Zuversicht zu vermitteln. Selbst wenn er seine Zuhörer mit harten Vorhersagen konfrontiert. Er arbeite entlang der Faktenlage, sagte Cuomo etwa am Donnerstag. Die Fakten sähen allerdings so aus, dass das Gesundheitssystem "bei fast jedem realistischem Szenario" für die nächste Zeit überfordert wäre.
Was Cuomo und de Blasio dabei besonders vor Probleme stellt, ist die Frage, wie noch deutlich mehr Patienten versorgt werden könnten. Der Höhepunkt der Infektionen wird hier erst in drei Wochen erwartet, vielleicht etwas früher. Aber die Nöte sind schon jetzt riesig. Gerade einmal 53.000 Krankenhausbetten gibt es im Bundesstaat New York, befürchtet werden viel mehr Patienten.
Schlecht sieht es auch bei der Zahl der Beatmungsgeräte aus: Nach Angaben von Vizepräsident Mike Pence, der offiziell die Coronavirus-Task-Force von Trump leitet, hat der Bund rund 20.000 dieser Geräte auf Lager, die man den besonders betroffenen Staaten Kalifornien, Washington State und New York zur Verfügung stelle. Das ist aber viel zu wenig: Am Dienstag geriet Cuomo richtiggehend in Rage, als er erklärte, sein Bundesstaat alleine brauche 30.000 Beatmungsgeräte. Andernfalls würden Menschen sterben. Am Donnerstag erklärte er, die Nachfrage nach Beatmungsgeräten sei "astronomisch" hoch. Auch andere Staaten fordern rasche Unterstützung aus Washington.
Trump sieht das "Licht am Ende des Tunnels"
Aber der Präsident spricht lieber über das "Licht am Ende des Tunnels", das angeblich zu sehen sei. Er will Amerika wieder "öffnen", damit die Wirtschaft wieder arbeiten könne. Für die besonders betroffenen Staaten und Städte sind das zynische Aussagen. Sie fühlen sich alleine gelassen.
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Cuomo widersprach am Donnerstag daher auch Trumps Aussage, dass eine baldige Lockerung der Ausgangsbeschränkungen vorstellbar sei. "Das ist kein Sprint, das ist ein Marathon. Das wird nicht schnell vorbei gehen."
Dass Trump die Dimension nicht erkennt, machen Äußerungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) deutlich. Sie warnt davor, dass die USA das nächste globale Epizentrum der Pandemie werden könne, wenn sich das Virus weiter so ausbreite. "Das Potenzial ist da", sagte WHO-Sprecherin Margaret Harris dem Sender CNN. Aber es sei immer noch Zeit, die Entwicklung aufzuhalten. Dazu müsste dringend mehr getestet werden. Jeder Fall müsse aufgespürt und Betroffene sowie deren Kontaktpersonen dann isoliert werden. Nicht zuletzt müssten aber auch die Mitarbeiter des Gesundheitssystems besser geschützt werden.
Aber auch damit tun sich die Verantwortlichen schwer. Überall fehlt das entsprechende Schutzmaterial. Die Gouverneure appellieren an Trump, endlich den "Defense Production Act" dafür zu nutzen, um die Herstellung und Verteilung dieser Güter im Land zu übernehmen und zu koordinieren. Derzeit konkurrieren die Bundesstaaten miteinander - und damit eben auch akut betroffene Staaten mit solchen, in denen die Lage deutlich weniger angespannt ist. Unterzeichnet hat Trump dieses Gesetz, aber er wendet es noch nicht an.
In New York werden jetzt Straßen für den Autoverkehr gesperrt
Erschreckendes wird unterdessen von den Friedhöfen in New York City gemeldet: Diese seien schon jetzt am Rande ihrer Kapazität, schreibt das Magazin "Politico" unter Berufung auf das Heimatschutzministerium. Auch die Krankenhäuser bereiten sich auf das Schlimmste vor: So werden in ihrer Umgebung Zelte aufgebaut, in denen notfalls Opfer aufgebahrt werden können.
Die Schutzmaßnahmen in der Millionenmetropole wurden am Mittwoch noch einmal verschärft, um die Ausbreitung des Virus zu begrenzen. Straßen werden für den Autoverkehr gesperrt, damit Fußgänger mehr Platz haben. Und Sport in Parks wird verboten , wenn man dabei in Kontakt mit anderen kommt.
Die große Frage ist, ob New York eine Warnung für den Rest des Landes sein muss, dafür, was dort noch bevorstehen könnte. Manche Experten sagen, die Enge in New York, besonders im öffentlichen Nahverkehr, stelle eine spezielle Herausforderung dar.
Aber es gibt auch andere, die warnen, zu vieles über die Ausbreitung des Virus sei noch unklar, als dass andere Bundesstaaten sich entspannen könnten. Auch darum sei es unverantwortlich, über eine baldige Aufhebung der Schutzmaßnahmen zu spekulieren, wie es Trump seit Montag verstärkt macht.
Doch den Präsidenten stört das offenbar nicht. Er vergleicht weiter die Totenzahlen durch eine normale Grippe oder durch Verkehrsunfälle mit der Coronavirus-Epidemie. Und er tönt, wie viel besser seine Regierung die Krise manage als alle anderen.
Wahrheitswidrig behauptet er zudem, man verfüge über "Millionen Atemmasken" und ausreichend Beatmungsgeräte. Die USA würden nie zu einer "Bittsteller-Nation" werden. Amerika dürfe sich niemals auf andere Länder verlassen müssen, um zu überleben. Die Realität scheint eine ganz andere zu sein.