Erdogan lehnt Minister-Rücktritt ab: Süleyman Soylu punktet überraschend in der Coronakrise
Durch einen Fehler festigt Innenminister Soylu paradoxerweise seine Stellung als potenzieller Nachfolger von Präsident Erdogan. Der droht derweil seinen Kritikern.
Als die Ausgangssperre angeordnet wurde, gab es kein Halten mehr. Hunderttausende Türken stürmten am späten Freitagabend die Bäckereien, Lebensmittelläden und Supermärkte in ihren Stadtvierteln. Die Regierung hatte ihnen gerade einmal zwei Stunden Zeit gegeben, um sich vor Inkrafttreten des Ausgehverbots mit dem Nötigsten zu versorgen.
Dicht gedrängt standen die Menschen vor den Geschäften, Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus wie das Maskentragen und das Abstandhalten wurden ignoriert. Die Panikkäufe könnten den Kampf gegen die Pandemie um Wochen zurückgeworfen haben, sagte Tevfik Özlü, Mitglied im Wissenschaftlichen Corona-Beirat der türkischen Regierung: Die Bemühungen eines Monats seien dem Bedürfnis nach Cola und Brot zum Opfer gefallen.
Die Verantwortung für das Debakel übernahm Innenminister Süleyman Soylu. Mit der eilig angeordneten Ausgangssperre in Istanbul und 30 anderen Städten – Bevölkerungszentren mit 64 Millionen von insgesamt 80 Millionen Türken – wollte er eine starke Weiterverbreitung des Virus am sonnig-warmen Frühlingswochenende verhindern. Mit der Verkündung kurz vor Mitternacht am Freitag könnte Soylu aber genau das Gegenteil erreicht haben.
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Die Massenpanik habe er nicht erwartet, sagte Soylu am Wochenende. Dennoch zog er die Konsequenzen und erklärte seinen Rücktritt. Indem er den Fehler auf die eigene Kappe nahm, schützte er auch Präsident Recep Tayyip Erdogan: In seinem Erlass für die Ausgangssperre am Freitag hatte Soylu noch ausdrücklich erklärt, alle Maßnahmen gegen das Coronavirus erfolgten auf Erdogans Anordnung. Doch nur wenige Stunden später ließ Erdogan erklären, er lehne Soylus Rücktritt ab. Der Minister sei weiter im Amt.
„Von Viren in Medien und Politik befreit“
Die Türkei verzeichnet derzeit rund 61.000 Coronavirus-Infektionen und etwa 1300 Todesopfer und ist nach Einschätzung von Experten noch Wochen vom Höhepunkt der Krankheitswelle entfernt. Die Regierung lehnt landesweite Ausgangssperren bisher aber ab, weil sie den Schaden für die Wirtschaft begrenzen will. Zudem leistet sie sich einen Kompetenzstreit mit oppositionsgeführten Stadtverwaltungen. Meral Aksener, Chefin der oppositionellen IYI-Partei, wirft Erdogan deshalb vor, er setze sich über Expertenrat hinweg und stelle seine politischen Interessen über die Gesundheit der Bürger.
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Bei einem Fernsehauftritt am Montagabend kündigte Erdogan für das kommende Wochenende eine weitere Ausgangssperre an und wies jede Kritik an seiner Regierung zurück. Was einige Zeitungen und Leitartikler an Lügen und Falschinformationen in die Welt setzten, seien „Zeichen einer Erkrankung, die gefährlicher ist als das Virus“, sagte der Präsident. „Mit Gottes Hilfe wird unser Land nicht nur vom Coronavirus befreit, sondern gleichzeitig auch von diesen Viren in Medien und Politik.“
Ruf eines effizienten Machers
Indem er Soylus Rücktritt ablehnte, veränderte Erdogan die politischen Gleichgewichte in seiner Regierung zugunsten des Innenministers. Der 50-jährige Soylu ist ein nationalistischer Hardliner und in Erdogans Partei AKP sehr beliebt. Als Innenminister seit 2016 hat er sich den Ruf eines effizienten Machers erworben, der im Kampf gegen die kurdische Terrororganisation PKK und bei der Verfolgung mutmaßlicher Teilnehmer des versuchten Staatsstreiches von 2016 hart durchgreift. Mit seinen Erfolgen ist der Innenminister im Kampf um die Erdogan-Nachfolge zum Rivalen des Präsidenten-Schwiegersohnes und Finanzministers Berat Albayrak geworden.
Nach Soylus Rücktrittsankündigung bekundeten viele Nationalisten ihre Unterstützung für den Minister. Unter den Soylu-Anhängern waren auch Mitglieder des AKP-Flügels „Pelikan“, einer Gruppe von Ultranationalisten, denen großer Einfluss auf Erdogan nachgesagt wird. Dass Erdogan an seinem Innenminister festhält, gibt Soylu weiteren Auftrieb, sagen Beobachter. „Soylu ist jetzt im Kabinett und in der AKP noch stärker“, schrieb der angesehene Journalisten Murat Yetkin auf seinem Blog Yetkinreport.