Vor der Landtagswahl: Berlin gegen München: Streit ums bayerische Familiengeld
Bayerns Ministerpräsident Söder will auch Hartz-IV-Empfängern Familiengeld zahlen. Das Bundesarbeitsministerium hält das für rechtlich unzulässig.
Sechs Wochen vor der Landtagswahl in Bayern geht die Landesregierung auf Konfrontationskurs zu Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Auslöser des Streits ist das Familiengeld, das Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erstmals zum 1. September auszahlen lässt. Rechtzeitig vor dem Wahltermin Mitte Oktober sollen Eltern von Kleinkindern in Bayern von der neuen Leistung profitieren: 250 Euro pro Kind und Monat (wenn die Kinder zwei oder drei Jahre alt sind), unabhängig vom Einkommen der Eltern.
Es war nur eine von vielen Leistungen, die Söder in seiner ersten Regierungserklärung als Ministerpräsident im April dieses Jahres ankündigte. „Politik mit der Visa-Card“ spottete der bayerische Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann angesichts der üppigen Versprechungen.
Verstoß gegen geltendes Recht?
Doch nun trübt das Bundesarbeitsministerium in Berlin die gute Laune der CSU-Wahlkämpfer. Nach dem Willen von Ministerpräsident Söder sollen auch Hartz-IV-Familien etwas vom Familiengeld haben. Schließlich will er sich nicht dem Vorwurf aussetzen, nur für die Mittelschicht etwas zu tun, nicht aber für Menschen mit geringen Einkommen. Mitte August hat er deshalb die kommunalen Jobcenter in Bayern anweisen lassen, das Familiengeld nicht mit den Hartz-IV-Bezügen zu verrechnen, wie das etwa beim Kindergeld oder bei anderen Einkommen der Fall ist. „Diese Weisung verstößt gegen geltendes Recht“, schreibt nun die Staatssekretärin von Arbeitsminister Heil, Leonie Gebers, an den zuständigen Amtschef des bayerischen Sozialministeriums. Für den Fall, dass diese nicht zurückgenommen werde, behalte man sich rechtliche Schritte vor.
Auf den ersten Blick mutet der Streit bizarr an: eine CSU-Landesregierung, die Hartz-IV-Bezieher mit Kindern besser stellen will, während ausgerechnet ein sozialdemokratischer Bundesminister diesen Familien das zusätzliche Geld verwehren will? Doch auf den zweiten Blick ist die Auseinandersetzung komplizierter, auch wegen der Rechtslage.
Einkommen wird bei Hartz IV angerechnet
Bei Hartz IV handelt es sich um eine Grundsicherung, die erst nach Prüfung der Bedürftigkeit gezahlt wird. Wer Leistungen erhält, muss deshalb nach bestehender Gesetzeslage bereit sein, auch eigenes Einkommen oder Vermögen einzubringen. Müsste dann nicht auch das bayerische Familiengeld verrechnet werden, wie es das Bundesarbeitsministerium jetzt anmahnt? Darüber hat sich ein juristischer Streit zwischen München und Berlin entwickelt, der mittlerweile auch politische Dimensionen angenommen hat. Während Bayerns Sozialministerin dem SPD-Mann Heil „Wahlkampfmanöver“ vorwirft, hält dieser wiederum der CSU „Doppelmoral“ vor. Bei der Einführung von Hartz habe die CSU darauf beharrt, andere Einkommen auf die Grundsicherung anzurechnen.
In der juristischen Auseinandersetzung beruft sich die bayerische Landesregierung darauf, dass das Familiengeld eine zweckgebundene Leistung sei. In diesem Fall wären laut Sozialgesetzbuch Ausnahmen bei der Einkommensanrechnung möglich. Das Bundesarbeitsministerium sieht das jedoch anders. Eine Zweckbestimmung könne nur angenommen werden, wenn eine bestimmte Verwendung der Mittel erwartet werde – so wie das etwa beim Blindengeld der Fall ist. Das sei beim Familiengeld jedoch ausdrücklich nicht der Fall. „Wir als Bundesregierung können uns nicht über Recht und Gesetz hinwegsetzen“, sagt ein Ministeriumssprecher. Auch eine bevorstehende Landtagswahl rechtfertige nicht ein solches Verhalten.
Für die betroffenen Familien herrscht Rechtsunsicherheit
Für die betroffenen Familien in Bayern jedenfalls ist erst einmal unklar, ob sie das Familiengeld künftig behalten dürfen oder nicht. Denn die Weisung der bayerischen Landesregierung, das Familiengeld nicht anzurechnen, gilt nur für die zehn Jobcenter, die allein von den Kommunen betrieben werden. Für die übrigen 83 Jobcenter, in denen Arbeitsagentur und Kommunen zusammenarbeiten, ist die Rechtsauffassung des Bundesarbeitsministeriums maßgeblich. Familien müssten sich deshalb darauf einstellen, dass das neue Familiengeld auf die Grundsicherung angerechnet werde - und gegebenenfalls auch zu viel gezahlte Leistungen zurück gefordert würden, heißt es in der bayerischen Regionaldirektion der Bundesagentur. Endgültig geklärt werden kann die Sache also vermutlich erst vor Gericht.
Grüne fordern Kindergrundsicherung
Der Streit macht nach Ansicht der Grünen-Familienpolitikerin Katja Dörner das Grundproblem der Familienförderung deutlich. „Bei armen Familien, die Unterstützung besonders nötig haben, kommen Kindergelderhöhungen oder ein neues Familiengeld gar nicht an, weil jeder zusätzliche Cent angerechnet wird“, sagt die Vizevorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion. Das sei „absurd“. Doch die CSU schaffe vor allem rechtliche und finanzielle Unsicherheit für diejenigen, die am meisten Sicherheit bräuchten, kritisiert Dörner. Sie empfiehlt einen grundsätzlichen Kurswechsel: „Mit einer Kindergrundsicherung könnten wir den Anrechungswirrwarr beenden und endlich sicherstellen, dass die Familienförderung da ankommt, wo sie besonders gebraucht wird.“
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