Der EU-Gipfel und die Flüchtlingspolitik: Streit um Österreichs Obergrenze
Österreichs Ankündigung, als Obergrenze täglich nur noch 80 Flüchtlinge zu akzeptieren, wird von der EU als illegal bezeichnet. Bayerns Heimatminister Markus Söder begrüßt dagegen die Entscheidung.
Beim EU-Gipfel in Brüssel gibt es Streit über Österreichs Ankündigung, künftig tägliche und jährliche Limits für die Aufnahme und auch den Transit von Flüchtlingen einzuführen. So akzeptiert Österreich derzeit täglich nur 80 Asylbewerber. Die EU-Kommission bezeichnete Obergrenzen als illegal. "Was die Österreicher entschieden haben, ist nicht vereinbar mit EU-Recht", sagte der für Migration zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos der Nachrichtenagentur Reuters. "Die Österreicher sind verpflichtet, Asylanträge ohne Obergrenze anzunehmen."
Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann verteidigte dagegen die Entscheidung seiner Regierung. "Es ist undenkbar, dass Österreich die Flüchtlinge ganz Europas aufnimmt." Und: „Juristische Meinungen werden von Juristen beantwortet. Politisch sage ich: Wir bleiben dabei.“
Bayerns Heimatminister Markus Söder (CSU) begrüßt die umstrittene neue Obergrenze für Flüchtlinge in Österreich. „Das macht auch die Situation für Deutschland sicherer“, sagte Söder dem „Münchner Merkur“ (Freitag). Die Entscheidungen der Regierung in Wien seien „ein klares Zeichen, dass sich der Trend zu nationalen Maßnahmen verstärkt“.
Söder betonte, offene Grenzen innerhalb Europas seien nur dann gut, wenn die Außengrenzen sicher seien. Da dies aber nicht der Fall sei, akzeptiere er vorerst selbst zu Ferienzeiten Staus am Brenner. Bis zu den Sommerferien müssten die Außengrenzen aber sicher sein. Zugleich kritisierte Söder, die Zahl von 3200 Flüchtlingen, die Österreich pro Tag maximal nach Deutschland durchleiten will, sei immer noch zu hoch.
Praxis des Durchwinkens soll beendet werden
Nach wochenlangem Streit über den richtigen Weg in der Flüchtlingskrise versuchen die 28 EU-Staaten in Brüssel wieder zusammenzurücken. So soll die Praxis des "Durchwinkens" beendet werden, wie aus dem Entwurf für die Abschlusserklärung des EU-Gipfels hervorgeht. Schrittweise soll die normale Funktionsweise des Schengen-Raums wieder hergestellt werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mahnten am Donnerstag vor Beginn der Beratungen ein gemeinsames Vorgehen aller EU-Staaten an. Österreich musste sich harsche Kritik wegen der angekündigten unilateralen Grenzschutzmaßnahmen anhören.
Wegweisende neue Entscheidungen sollen allerdings nicht auf dem zweitägigen EU-Gipfel getroffen werden, sondern erst bei dem nächsten Treffen am 17. und 18. März. Denn die meiste Beratungszeit ist am Donnerstag und Freitag dem Thema Großbritannien gewidmet. Die Abschlusserklärung versucht aber die Brücke zwischen verschiedenen Lagern in der Flüchtlingspolitik zu schlagen. Die besonders umstrittene Frage der Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten wird aber gar nicht erwähnt. Betont wird nur, dass die europäisch-türkische Zusammenarbeit Priorität beim Versuch haben soll, die Flüchtlingszahlen drastisch zu begrenzen - das entspricht dem Ansatz Merkels. Andererseits wird stärker als bisher hervorgehoben, dass die Lage auf der Balkanroute so nicht bleiben könne - das kommt den Klagen der osteuropäischen Staaten entgegen.
"Wir müssen zu einer Situation zurückkehren, in der alle Schengen-Staaten den Schengen-Grenzkodex wieder anwenden und Drittstaaten-Angehörigen an den Außengrenzen die Einreise verweigern, die die Einreise-Anforderungen nicht erfüllen und keinen Asylantrag gestellt haben, obwohl dies möglich gewesen wäre", heißt es in dem Entwurf.
Gespräche mit der Türkei waren abgesagt worden
Zudem ist davon die Rede, dass die Praxis des "Durchwinkens" in Europa enden müsse, durch die Flüchtlinge und Migranten auf der Balkan-Route bis nach Deutschland und Skandinavien gelangen. Generell wird eine beschleunigte Umsetzung der EU-Beschlüsse auch zum Aufbau der Verteilzentren in Italien und Griechenland angemahnt. Asylbewerber hätten keinen Anspruch, sich ein Zielland in der EU auszusuchen, heißt es weiter. Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras forderte Solidarität für sein Land, das als Schengen-Staat mit einer EU-Außengrenze besondere Hilfe brauche.
Ein geplanter Vorgipfel einiger EU-Staaten mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu war wegen des Anschlags in Ankara abgesagt worden.
Der tagelange Streit mit den osteuropäischen Staaten, die eine Abschottung der griechisch-mazedonischen Grenze gefordert hatten, spielte in Brüssel zunächst keine Rolle. Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte eine gemeinsame Haltung an: "Wir wollen eine Lösung der 28." In ihrer Regierungserklärung hatte die Kanzlerin am Mittwoch betont, dass man nach dem EU-Gipfel eine Zwischenbilanz ziehen müsse, ob man an dem von ihr favorisierten Ansatz festhalten könne, die Flüchtlingszahlen durch eine enge Zusammenarbeit der EU mit der Türkei zu verringern. Mit Blick auf die Forderungen osteuropäischer Staaten hatte sie die Frage hinzugefügt: "Oder müssen wir aufgeben und stattdessen (...) die griechisch-mazedonisch-bulgarische Grenze schließen - mit allen Folgen für Griechenland und die Europäische Union insgesamt?" Sie lehne dies ab. Auch Italiens Außenminister Paolo Gentiloni warnte vor einem Zerfall des Schengen-Raums. (Reuters/dpa)