SPD und Union finden Kompromiss: Streit um Familiennachzug geschlichtet, aber nicht gelöst
Union und SPD haben sich beim Thema Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geflüchtete geeinigt. Das klingt groß, ist aber klein. Ein Kommentar.
Tick tack tick tack. In jener prädigitalen Epoche, in der man Sekundenzeiger noch hören konnte, ging von diesen Worten eine gewisse Unruhe aus. Tick tack tick tack. Die Begleitworte dazu reichten von „unaufhörlich" bis „erbarmungslos“. Ein Ultimatum verstrich, es musste gehandelt werden, schnell.
Das Ticken der Uhr als Ticken der Zeit mag als Metapher ausgedient haben, die Sache selbst aber ist geblieben. Ganz aktuell: Hätten sich CDU, CSU und SPD nicht heute über eine Neuregelung der Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär schutzbedürftige Flüchtlinge geeinigt, wäre die GroKo geplatzt, bevor sie überhaupt zu Ballongröße aufgepustet wurde. So hart muss man es sagen. Wären die Verhandler bereits bei diesem Thema gescheitert, hätten sämtliche Beteuerungen über einen dennoch vorhandenen Vorrat an Gemeinsamkeiten nur noch lächerlich geklungen.
Rein technisch war die Lage so: Der bislang geltende Nachzugsstopp läuft Mitte März aus. Soll er verlängert werden, muss der Bundestag bis Donnerstag über den Entwurf für ein neues Gesetz abstimmen. Das kann er nun. Weder Union noch SPD wollen den Familiennachzug wieder bedingungslos zulassen. Im Sondierungspapier vereinbarten sie daher ein Kontingent von 12.000 Angehörigen pro Jahr, das sind monatlich 1000. Die SPD indes beschloss auf ihrem Parteitag eine zusätzliche Härtefallregelung. Also musste nachverhandelt werden. 1000 plus x lautete also die Kompromissformel, wobei die Zahl x relativ niedrig ausfallen dürfte. Im vergangenen Jahr sind kaum hundert Angehörige über eine Härtefallregelung nach Deutschland gekommen.
Die Kontroverse hatte einen hohen Symbolgehalt
Mit ein wenig Phantasie und Pragmatismus war diese Aufgabe folglich lösbar. Dass die Koalitionäre in spe trotzdem einen anderen Eindruck erweckten, hat mit den Menschen, um die es geht, nichts zu tun, sondern erklärt sich allein durch den hohen Symbolgehalt, den der Reizbegriff „Aussetzung des Familiennachzugs“ besitzt. Dessen Gegner haben es konnotativ aufgeladen mit Worten wie „Brutalität“, „Unmenschlichkeit“, „Gefühlskälte“. Dessen Befürworter sehen darin „Durchsetzungskraft“, „Empathie mit Augenmaß“, „Grenzen setzen“.
Nur zum Vergleich: Konkret drehte sich der ganze Streit um Härtefälle in der Größenordnung von knapp hundert pro Jahr. Im vergangenen Jahr kamen indes rund 200.000 neue Asylsuchende ins Land. Das sind die Proportionen, wenn es um Themen wie Wohnraum, Sozialbezüge, Integration geht.
Die Damen und Herren SPD-Minister würden im Zweifel alles hinnehmen, nur um weiter Minister bleiben zu können oder endlich zu werden. Es war alles eine einzige Spiegelfechterei. Wollen wir hoffen, dass die SPD-Basis dem Pos(t)enspiel ein Ende bereitet.
schreibt NutzerIn sigurdfaulde
Doch auch bei dem nun ausgehandelten Kompromiss einer Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs bis zum 31. Juli mit anschließender Kontingentierung plus Härtefallregelung steckt der Teufel im Detail. Denn was sind die Kriterien? Welcher subsidiär Geschützte profitiert als erster von dem Kontingent? Geht es um Aufenthaltsdauer, Kindeswohl, Integrationsleistung, Versorgungsfähigkeit, Dauer der Trennung? All das muss zweifellos berücksichtigt werden, in die Auslegung aber werden sehr subjektive Faktoren einwirken. Auf die ohnehin schon überlasteten Gerichte dürfte eine neue Flut von Verfahren hereinbrechen.
Der Streit ist geschlichtet, aber nicht gelöst: Auf diese knappe Formel dürften sich viele Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen bringen lassen. Erst werden Konflikte symbolisch überhöht, um sie dann „nach langen, harten Auseinandersetzungen“ doch noch „zum Wohle des Landes und der Menschen“ zu bereinigen. Früher gab es batteriebetriebene Armbanduhren. Wenn die Batterie schlappmachte, klang das so: Tick – lange Pause – tack, tick – noch längere Pause – tack.