„Was ist das hier für ein Laden?“: Streit, Machtkampf und Intrigen – Alice Weidel ist genervt
Die Fraktionssitzung der AfD verläuft hitzig: Ein Abgeordneter muss gehen, Alice Weidels Wiederwahl zur Fraktionschefin stockt. Die Hintergründe.
Alice Weidel ist genervt. „Was ist das hier für ein Laden?“, ruft die AfD-Spitzenkandidatin, als sie kurz aus dem Plenarsaal kommt, um einen Schluck Wasser zu trinken. Da geht die Sitzung ihrer Fraktion noch nicht einmal eine Stunde. Und es wird im Laufe des Mittwochabends nicht besser: Streit, Machtkampf und Intrigen – die neue Legislaturperiode geht für die AfD los wie die alte aufgehört hat.
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Eigentlich sollte bei der ersten Sitzung der neuen AfD-Fraktion zügig eine Fraktionsspitze gewählt werden. Antreten wollte Weidel gemeinsam mit ihrem Co-Spitzenkandidaten Tino Chrupalla aus Sachsen. Doch schon beim Verabschieden der Tagesordnung verhaken sich die Abgeordneten.
Ein Streitpunkt: Ob zwei der neu gewählten Abgeordneten überhaupt in die Fraktion aufgenommen werden sollen. Als die Debatte hitzig wird, werden die Mitarbeiter der Fraktion vor die Tür geschickt.
Extreme Äußerung soll Ironie gewesen sein
Am Ende verzichtet der Abgeordnete Matthias Helferich freiwillig auf die Mitgliedschaft in der neuen Fraktion und verlässt wortlos den Plenarsaal. Gegen ihn war im Wahlkampf eine Ämtersperre verhängt worden. Helferich hatte sich in Chats unter anderem als „freundliches Gesicht des NS“ bezeichnet. Später verkaufte er das als Ironie, doch es war nicht die einzige extreme Äußerung.
In der Fraktion bleiben durfte dagegen der Cellist Matthias Moosdorf, der in der vergangenen Legislatur als Mitarbeiter eines Abgeordneten im Bundestag gearbeitet hatte. Er hatte dem bisherigen Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland unter anderem „Bockigkeit“ und zu viel Verständnis für radikale Ausfälle von Parteifreunden vorgehalten. Das kam bei einigen Parteikollegen schlecht an – als Grund für einen Fraktionsausschluss reicht es am Mittwochabend aber nicht.
Dissens auf offener Bühne
Gestritten wird unter der Reichstagskuppel auch über das Wahlergebnis der AfD. Die Partei hatte bei der Bundestagswahl am Sonntag 10,3 Prozent der Zweitstimmen geholt und lag damit deutlich unter ihrem Ergebnis von 2017. Damals lag sie bei 12,6 Prozent.
Wie das Ergebnis zu interpretieren sei, darüber hatte sich die AfD-Führung am Montag schon auf offener Bühne zerlegt. Parteichef Jörg Meuthen hatte es als nicht zufriedenstellend bezeichnet. Alice Weidel, die mit Meuthen auf Kriegsfuß steht, erklärte: „Ich lasse mir das Ergebnis nicht schlechtreden.“
In der Fraktionssitzung am Mittwoch schaffte es der NRW-Landesvorsitzende Rüdiger Lucassen, das Scherbengericht über die Wahl auf die Tagesordnung zu heben. Auch er ist kein Freund von Weidel. Intern wurde das als Versuch interpretiert, ihr zu schaden.
Intrige gegen Weidel
Weidel steht seit 2017 gemeinsam mit Alexander Gauland an der Spitze der Fraktion. Der 80-Jährige steht wegen seines Alters aber nicht noch einmal zur Verfügung. Nach der Bundestagswahl hatten Weidel und Chrupalla erklärt, nach ihrer gemeinsamen Spitzenkandidatur künftig auch die Fraktion gemeinsam führen zu wollen.
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Doch im Vorfeld der Fraktionssitzung hatten einige Abgeordnete eine Intrige geschmiedet, mit der Weidel als Fraktionschefin verhindert werden sollte. Als Instrument sollte die Arbeitsordnung dienen, eine Art Satzung der Fraktion.
Hier ist bislang vorgesehen, dass zwei Kandidaten in gemeinsamer Kandidatur – also im Doppelpack – an die Spitze der Fraktion gewählt werden. So war Weidel 2017 im Duo mit Gauland zur Chefin gewählt worden. 2019 wurde sie bestätigt, ebenfalls im Tandem mit dem Senior. Der genoss lange als eine Art Übervater in der AfD hohes Ansehen. Weidels Gegner in der Partei behaupten, dass sie ohne ihn keine Chance gehabt hätte. In der Fraktion wird immer wieder Kritik an ihrem Führungsstil laut. Auch am Mittwoch lästerten Weidel-Feinde über ihre „mangelnde Leistungsbereitschaft“.
Die Lage in der Fraktion ist unübersichtlich
Die Idee der Putschisten war nun: Entweder eine Einerspitze in der Arbeitsordnung zu verankern – dann würde Tino Chrupalla als alleiniger Fraktionschef gewählt. Oder aber eine Doppelspitze, in der sich jeder Kandidat einzeln zur Wahl stellen müsste. Das vordergründige Argument: Das sei demokratischer. In Wahrheit setzten die Weidel-Gegner darauf, dass die Ökonomin dann nicht durchkommen würde. Mögliche Gegenkandidaten liefen sich für diesen Fall warm.
Klar war für alle Seiten: Die Lage in der Fraktion ist unübersichtlich, die Mehrheitsverhältnisse unklar. 25 der 83 Abgeordneten – also knapp ein Drittel – ist neu in den Bundestag eingezogen. Fast die gesamte sächsische Landesgruppe wurde ausgetauscht. Im Freistaat hatte wegen der vielen Direktmandate die Liste nicht gezogen – ein Umstand mit dem niemand gerechnet hatte. Im Interesse von Weidel und Chrupalla wäre es gewesen, die Wahl schnell über die Bühne zu bringen – ehe die Neuen beeinflusst werden können.
Doch am Mittwoch kam es weder zur Wahl der Fraktionsspitze noch zur Abstimmung über die Arbeitsordnung. Vertagt wurde auf Donnerstag. Der Streit hatte zu viel Zeit gefressen.