Nach Trumps Jerusalem-Entscheidung: Streik und Straßenschlachten - wie Palästinenser protestieren
Die Wut der Palästinenser wächst. Sie wollen Trumps Vorpreschen in Sachen Jerusalem nicht hinnehmen. Doch an eine dritte Intifada glauben bisher nur wenige.
Die Palästina-Flaggen mit ihrem Weiß, Schwarz, Grün und Rot wehen wie immer vor dem Eingang zum palästinensischen Flüchtlingslager Schatila im Süden Beiruts. Dahinter allerdings bietet sich ein ungewohntes Bild: Viele Geschäfte bleiben geschlossen, die ansonsten übervölkerten Gassen sind leer. In dem Lager, in dem rund 10.000 der 280.000 im Libanon registrierten palästinensischen Flüchtlinge leben, ist fast schon so etwas wie Ruhe eingekehrt.
Leer ist auch das Restaurant von Mohammed Nasir. Der 34-jährige Palästinenser steht in der Küche, bereitet Bohnen vor und zuckt mit den Schultern: „Die Leute sind zu Hause vor dem Fernseher. Die wollen wissen, was passiert.“ Und es passiert einiges.
Als Reaktion auf Donald Trumps Ankündigung, Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkennen und die Botschaft der USA dorthin verlegen zu wollen, ruft Ismail Hanija, Chef der radikalen Hamas, zu einem neuen Palästinenseraufstand auf. Im Gazastreifen und im Westjordanland liefern sich daraufhin Hunderte von Palästinensern am Donnerstag Straßenschlachten mit israelischen Soldaten. Dabei wurde mindestens ein Dutzend Palästinenser verletzt, wie das palästinensische Gesundheitsministerium mitteilte.
"Noch mehr Wut und Gewalt"
Auch in anderen arabisch-muslimischen Ländern ist der Unmut groß. Der oberste schiitische Geistliche in Irak, Großajatollah Ali al Sistani, erklärt, Trumps Entscheidung verletze die Gefühle Hunderter Millionen Araber und Muslime. Sie ändere nichts an der Tatsache, dass Ost-Jerusalem besetzt sei und den Palästinensern zurückgegeben werden müsse. Saudi-Arabien ruft seinen Verbündeten USA auf, die Entscheidung zurückzunehmen. Der Iran verurteilt Trumps Schritt als „Provokation und verrückte Entscheidung“, die zu „noch mehr Wut und Gewalt“ führen werde.
Die palästinensischen Flüchtlinge in Israels Nachbarländern sind ebenfalls von der Entscheidung betroffen. Teilweise seit der Gründung Israels 1948 leben sie und ihre Nachkommen in Ägypten, Jordanien, Syrien oder eben im Libanon. Sie warten darauf, irgendwann in ihr Heimatland oder das ihrer Eltern und Großeltern zurückkehren zu können.
Mit Trumps Vorpreschen ist dieses ohnehin nur noch theoretische Szenario einer israelisch-palästinensischen Einigung einschließlich einer Rückkehr der Flüchtlinge weiter denn je in die Ferne gerückt. Dementsprechend groß ist der Frust. Kein Wunder, dass es in vielen arabischen Ländern Demonstrationen palästinensischer Flüchtlinge gibt.
Schulen bleiben geschlossen
Auch im Libanon rufen verschiedene palästinensische Gruppen zu einem Generalstreik auf. Die Schulen in den Flüchtlingslagern bleiben geschlossen. Wann sie wieder öffnen, ist unklar, heißt es vom UN-Flüchtlingshilfswerk für Palästinenser. In einigen libanesischen Städten gibt es am Donnerstag ebenfalls Kundgebungen der Palästinenser.
Auf dem Campus der Amerikanischen Universität Beirut haben sich mehrere Dutzend Studenten zum Solidaritätsprotest versammelt. Sie schwenken Palästina-Fahnen und singen. Dann ist es plötzlich still. Einige rufen: „Tod, Tod Israel“ und „Befreit, befreit Palästina“ oder „Es gibt keine Lösung mit Oslo“. Aber die Rufe verfangen nicht. Einige Studenten wenden sich ab.
In den ungewohnt ruhigen Straßen des Flüchtlingslagers Schatila sucht eine Journalistin vom palästinensischen Fernsehen nach Gesprächspartnern. Aber nur wenige wollen reden. „Wir hatten die Entscheidung erwartet, eigentlich noch früher damit gerechnet“, sagt Ali Ayoub.
Jerusalem soll arabisch bleiben
Trotzdem fühle er sich verletzt. „Das ist schlimm für uns – hier im Libanon, in Palästina, auf der ganzen Welt“, sagt der 35-Jährige. Andere rufen: „Die Flagge Palästinas wird auch in Zukunft über der palästinensischen Hauptstadt Jerusalem wehen“, „Jerusalem bleibt arabisch“.
Wie zum Trotz deuten einige auf das Bild des Felsendoms in Jerusalem, das hier an vielen Wänden hängt. „Die Leute reden, teilen Bilder auf Facebook. Am Freitag, nach dem Gebet, werden viele demonstrieren. Aber darüber hinaus wird wohl nicht viel passieren“, sagt Restaurantbesitzer Mohammed Nasir.
Gängige Anti-Israel-Rhetorik
An die dritte Intifada glaubt kaum einer, von der palästinensischen Führung erwarten die meisten nichts. Dann schon eher von der libanesischen Hisbollah-Miliz, die vom Iran kontrolliert wird. Deren Generalsekretär Hassan Nasrallah hatte für Donnerstagabend eine Rede angekündigt, die in Schatila viele mit Spannung erwarten.
Schon zuvor war bekannt geworden, dass die Hisbollah den Verhandlungsweg für gescheitert erklärt und zum Widerstand aufruft. Das gehört jedoch seit Jahren zur gängigen Rhetorik. Dennoch: Seit dem Krieg 2006 gegen Israel ist die Hisbollah bei vielen Palästinensern im Libanon hoch angesehen.
Bodo Straub