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Für Stephen Bannon ist Roy Moores Kandidatur ein wichtiges Experiment.
© Reuters/Jonathan Bachman

Nachwahl im US-Staat Alabama: Stephen Bannons Großangriff auf Washington

In Alabama bewirbt sich Roy Moore um einen Sitz im US-Senat. Mit Kandidaten wie dem erzkonservativen Ex-Richter will Donald Trumps früherer Berater Stephen Bannon das republikanische Establishment stürzen.

Ein Gemeindesaal in Henagar, einem Dorf tief in der Provinz von Alabama. Rund 200 Leute sitzen dicht gedrängt auf Stühlen unter Leuchtstoffröhren, einige haben nur noch Stehplätze an den Wänden erwischt. Fernsehkameras sind aufgebaut, ihre Bilder zeigen Männer mit Baseballmützen und viele ältere Paare im Saal. Ein Pastor erbittet den Segen Gottes für den Gast, der draußen auf seinen Auftritt vor den ausschließlich weißen Zuhörern wartet: „Wir danken dir für einen Mann wie ihn.“ Dann brandet Beifall auf. Roy Moore, 70, Ex-Richter, erzkonservativer Bewerber um einen Senatssitz in Washington und mutmaßlicher Sexualstraftäter, betritt den Raum.

Die Fernsehteams sind nach Henagar gekommen, weil Moore bei einer Nachwahl – der bisherige Senator Jeff Sessions wurde von Donald Trump zum Justizminister ernannt – am 12. Dezember für Alabama in den Senat einziehen will und kein beliebiger Kandidat ist. Er, ein früherer Soldat und Boxer, wirkt trotz der Altersflecken auf der hohen Stirn körperlich fit, er spricht mit dem weichen Singsang des Südens, doch was er zu sagen hat, ist knallhart. Moore ist das Gesicht eines neuen Trends unter Donald Trump, er verkörpert wie kein anderer Politiker in den USA die rechtspopulistische Basis des Präsidenten und deren Hass auf das Washingtoner Establishment.

Moores Kandidatur ist Bannons Experiment

Wenn Moore in Alabama gewinnt, dürften Leute wie er in allen Landesteilen ihre Chance bei den Kongresswahlen im kommenden Jahr wittern, wenn das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt werden: Die Wahl in Alabama könnte die Richtung für ganz Amerika vorgeben. Unter der Leitung von Stephen Bannon, Trumps ehemaligem Chefstrategen, machen die Rechtspopulisten mobil. Moores Kandidatur ist Bannons Experiment: Er will die verhasste republikanische Parteiführung in Washington politisch sturmreif schießen. In der Auseinandersetzung gehe es um die Seele der republikanischen Partei, kommentiert das Magazin „The New Yorker“.

Bannon hätte keinen besseren Kandidaten dafür finden können als Moore. Er arbeitet seit seinem Abschied vom Weißen Haus im August an einem Großangriff auf Washington. Mit dem Geld der rechtsgerichteten New Yorker Milliardärsfamilie Mercer baut Bannon Kandidaten wie Moore auf. Im ganzen Land sucht er geeignete Politiker, die gegen Vertreter der republikanischen Parteiführung antreten wollen. Er spricht von einem „Krieg“.

Moore ist der prominenteste Soldat. Der Ex-Richter mag keine Muslime und Homosexuellen, er ist gegen das Recht auf Abtreibung und sieht Gott – seinen Gott – als oberste Richtschnur für die Politik. Wie Trump soll Moore Frauen sexuell bedrängt oder sogar missbraucht haben, wie Trump nimmt er es mit der Wahrheit nicht immer genau; so gab er zunächst zu, eines seiner mutmaßlichen Missbrauchsopfer zu kennen, leugnete das wenig später aber. Wie bei Trump ist all das seinen Anhängern egal.

In den US-Medien wird die Nachwahl in Alabama als politische Wetterfahne gesehen. Fast täglich berichten überregionale Zeitungen und Fernsehsender über den Wahlkampf in dem Südstaat.

"Ich werde mit der Verfassung und Gott nach Washington gehen"

Moore ist der Geist, den Trump rief – und den die Republikaner vielleicht nicht mehr loswerden. Im Gemeindesaal braucht er keine zwei Minuten, um den Präsidenten zum ersten Mal zu erwähnen. Als Senator wolle er für Trumps Agenda kämpfen. „Ich werde mit der Verfassung und Gott nach Washington gehen“, sagt er unter dem Applaus seiner Zuhörer.

Mit der Verfassung hat Moore allerdings hin und wieder selbst Probleme. Zwei Mal im Lauf seiner Karriere wurde er als Verfassungsrichter in Alabama abgesetzt, weil er Anordnungen übergeordneter Gerichte nicht umsetzen wollte.

In einem Fall weigerte er sich trotz Aufforderung eines Bundesgerichts, ein Denkmal für die Zehn Gebote zu entfernen, das er im Justizpalast der Hauptstadt Montgomery hatte aufstellen lassen. Die Bundesrichter sahen in dem Denkmal einen Verstoß gegen den Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat.

Roy Moore verkörpert wie kein anderer Politiker die rechtspopulistische Basis des Präsidenten.
Roy Moore verkörpert wie kein anderer Politiker die rechtspopulistische Basis des Präsidenten.
© Brynn Anderson/AP/dpa

Nachdem er erneut einen Platz im Verfassungsgericht erobert hatte, wies er alle Richter in Alabama im vergangenen Jahr an, am Verbot der Homo-Ehe festzuhalten – obwohl das Verfassungsgericht in Washington die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt hatte.

Moore trägt ab und zu eine Schusswaffe bei seinen Auftritten und fordert, dass praktizierende Muslime aus dem US-Kongress ausgeschlossen werden müssten; derzeit gibt es ohnehin nur einen muslimischen Abgeordneten in Washington. In den vergangenen Jahren verbreitete Moore zudem die auch von Trump propagierte Lüge, Barack Obama sei nicht in den USA geboren und daher illegalerweise im Weißen Haus.

Normalerweise wäre der Südstaat Alabama für einen rechtskonservativen Richter wie Moore leicht zu gewinnen. Das letzte Mal, dass Alabama einen demokratischen Senator hatte, ist 20 Jahre her. Doch Moore hat Schwierigkeiten: In den Umfragen liegt er nur knapp vor seinem demokratischen Rivalen Doug Jones. Das Rennen ist offen.

Moore soll eine damals 14-Jährige missbraucht haben

Das liegt an Leuten wie Debbie Wesson Gibson. Sie und andere Frauen aus Alabama werfen Moore vor, sie in ihren Teenager-Jahren sexuell missbraucht zu haben. Moore weist alles zurück und sagt, er kenne die Klägerinnen nicht. Das habe ihre Ehre gekränkt, sagt Gibson, die nach eigenen Worten als 18-Jährige Moores Freundin und lange Zeit stolz auf diese Beziehung war. Der „Washington Post“ zeigte sie eine Glückwunschkarte, die Moore zu ihrem Schulabschluss schrieb.

Der heutige Kandidat war damals Mitte 30 und Staatsanwalt. Zur dieser Zeit soll er unter anderem eine damals 14-Jährige missbraucht haben. In einem Einkaufszentrum soll Moore diversen Mädchen gegenüber so aufdringlich gewesen sein, dass er Hausverbot erhielt. Rund ein halbes Dutzend Frauen berichtet über ungebetene Avancen Moores.

Auffällig an der Affäre ist nicht, dass Moore alles zurückweist. Merkwürdig ist, dass manche Konservative den mutmaßlichen Missbrauch beschönigen. Moore sei von der „Reinheit“ junger Mädchen angezogen worden, sagt zum Beispiel der Pastor Flip Benham. Moore habe sich damals 14-Jährigen nähern müssen, weil alle Frauen in seinem Alter schon verheiratet gewesen seien.

Merkwürdig ist auch, dass sich der Fraktionschef der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, nur vorübergehend von Moore distanzierte: Er glaube den Frauen, sagte Moore nach Bekanntwerden der Vorwürfe zunächst. Moore wurde zum Verzicht auf seine Kandidatur aufgefordert, doch er machte weiter. Inzwischen will McConnell die Kritik an Moore nicht mehr wiederholen und die Parteiführung der Republikaner schickt viel Geld nach Alabama, um Moore zu helfen.

Auch Trump steht auf der Seite des Richters. Im Vorwahlkampf hatte der Präsident noch einen anderen Republikaner unterstützt, doch inzwischen ist er auf Moore eingeschwenkt. Er brauche Moore im Senat, um gegen Kriminalität und illegale Einwanderung vorgehen zu können, die Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen und das Recht zum Tragen von Waffen zu erhalten, sagt Trump.

Zum Teil sind die plötzlichen Sympathiebekundungen aus Washington mit der Einsicht zu erklären, dass Moore im Senat für die Republikaner trotz aller Vorwürfe immer noch besser wäre als ein demokratischer Senator. Die Trump-Partei hat in der Kammer eine Mehrheit von 52 zu 48 Mandaten – geht der vakante Sitz in Alabama an die Demokraten, wird es brenzlig für sie.

Trump zwingt seine Partei auf einen populistischen Kurs

Wenn Leute wie McConnell plötzlich ihre Meinung zu ändern scheinen, liegt das aber nicht nur an Sorgen um die Mehrheit. Schon bei Trump hatten republikanische Spitzenpolitiker nach anfänglicher Distanzierung schließlich klein bei gegeben, vor allem aus Angst davor, dass der Präsident die rechtsgerichtete Basis auf parteiinterne Gegner hetzen könnte. Das ist auch der Grund dafür, dass die Republikaner, die Partei der selbst ernannten Wächter über finanzpolitische Vernunft, im Senat vor einigen Tagen eine Steuerreform mit einem Finanzierungsloch von einer Billion Dollar über zehn Jahre durchgesetzt haben. Trump zwingt seine Partei auf einen populistischen Kurs, und alle machen mit – aus Angst.

Angst haben die führenden Republikaner auch vor Bannon, und zwar zu Recht. „Die denken, ihr seid ein Haufen Idioten“, sagt Trumps Ex-Stratege in einer Scheune in der Nähe der Kleinstadt Fairhope in Alabama. Bannon, in grüner Outdoor-Jacke, schwarzem Hemd und heller Hose, geht mit einem Mikrofon in der Hand auf einer Bühne auf und ab. Hinter ihm hängt eine riesige amerikanische Fahne, vor ihm stehen einige hundert Moore-Anhänger.

„Die denken, ihr seid seid ein paar Hinterwäldler. Die interessieren sich nicht für euch“, sagt Bannon. „Die“, das sind die Mitglieder der Elite in Politik, Wirtschaft und Medien – Leute wie Fraktionschef McConnel und all jene, die Trump nicht mögen.

Getrieben wird Bannon von seinem Hass auf das Establishment in Washington und der Gewissheit, dass er, der frühere Marineoffizier, erkannte, was alle Politiker, Akademiker und Kommentatoren bis zum 8. November 2016 übersahen: dass die kleinen Leute in Amerika die Nase voll haben und die traditionelle Politik in Washington aus den Angeln heben wollen – und werden.

"Für euch rückt der Tag der Abrechnung näher"

„Das sind dieselben Leute, die Donald J. Trump zerstören wollten“, sagt Bannon, und er meint damit nicht Clintons Demokraten, sondern die Chefs von Trumps Republikanern. „Für euch rückt der Tag der Abrechnung näher“, fügt er, an das republikanische Establishment gerichtet, hinzu.

Ein paar Wochen nach seinem Auftritt in Alabama sagt er bei einer Konferenz in Washington, er würde die Außenpolitik der Supermacht USA lieber in die Hände von hundert zufällig ausgesuchten Provinzlern aus jener Scheune in Fairhope legen als in die der ausgebildeten Diplomaten in der Hauptstadt.

In Henagar kommt Moore zum Ende seiner Rede. Er spricht von der „spirituellen Schlacht“, die er als Kandidat zu schlagen habe, und über die schlimmen Vorwürfe, die ihn tief verletzt hätten. Aber: „Ich bin ein Kämpfer.“ Zusammen mit Trump wolle er die Vereinigten Staaten wieder groß machen, sagt er unter dem Applaus der Leute im Gemeindesaal. Moore gibt das Mikrofon ab, schüttelt noch ein paar Hände und ist verschwunden. Fragen will er nicht beantworten.

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