Geringe Beteiligung der SPD-Basis: Stell dir vor, es ist Spitzenwahl – und kaum einer geht hin
Kurz vor Ende der Abstimmung über den SPD-Vorsitz liegt die Beteiligung der Basis bei nur 30 Prozent. Das Desinteresse liegt auch an den Kandidaten.
Die Sozialdemokraten waren so stolz auf die eigene Entscheidung: Als der SPD-Vorstand im Sommer nach dem Abgang von Parteichefin Andrea Nahles beschloss, den nächsten Vorsitz direkt von den Mitgliedern wählen zu lassen, war die Begeisterung der Genossen groß. Sie feierten sich für die neue Transparenz, freuten sich riesig auf die „maximale Beteiligung“ der Basis. Generalsekretär Lars Klingbeil sprach von einer „Hochphase der Demokratie“.
Davon kann jedoch kaum noch die Rede sein. Dafür erscheint die Zahl der Genossen, die sich bislang an der Wahl beteiligen, viel zu gering. Sie steht in keinem Verhältnis zu den rund 430.000 Mitgliedern. Knapp 130.000 Stimmen zählte man in der Parteizentrale bis Sonntagabend – online und postalisch. Das entspricht einer Beteiligung von 30 Prozent. Neuere Zahlen will das Willy-Brandt-Haus nicht preisgeben. „Da dürften wohl noch zehn Prozent dazukommen“, schätzt ein Mitglied des Bundesvorstands.
Die Kandidaten: „Alle nicht so toll“
Freitagnacht um 24 Uhr läuft die Frist zur Abstimmung ab. In Parteikreisen wächst die Sorge, die Wahlbeteiligung könne bis dahin nicht genug anziehen, um wenigstens die 50-Prozentmarke zu knacken. Und selbst wenn insgesamt die Hälfte der Mitglieder ihr Stimme abgibt, wäre das immer noch eine „schwere Enttäuschung“ für die Partei, sagt ein langjähriger Insider. Es würde zeigen, dass die andere Hälfte der Mitglieder längst resigniert hat – und sie keines der insgesamt sechs Kandidatenpaare wirklich überzeugen konnte. Tatsächlich gebe es in weiten Teilen der Partei dieses Gefühl, erzählt ein Mitglied des Berliner Landesvorstands. „Alle nicht so toll“, laute das Urteil vieler Genossen über das Bewerberfeld.
Sollte die Wahlbeteiligung der SPD-Basis am Ende unter 50 Prozent liegen, wäre das gesamte Verfahren kaum noch als Erfolg zu verkaufen, heißt es in SPD-Kreisen. Das Desinteresse an der neuen Doppelspitze wäre offiziell verbrieft. Viele würden dann fragen, ob sich der Aufwand gelohnt habe, den die Partei über Monate betrieben hat: 23 Regionalkonferenzen in acht Wochen, mit anfangs 15 Bewerbern und am Schluss einem elftägigen Wahlgang, auf den im November wohl noch eine Stichwahl folgen wird. Mit Kosten von 1,2 Millionen Euro rechnet man im Willy-Brandt-Haus für den gesamten Prozess – die Ausgaben der Landesverbände für die Regionalkonferenzen nicht mitgerechnet.
In der Parteizentrale hofft man nun auf Rettung durch die „Spätentschlossenen“, die in den kommenden Tagen noch ihre Stimme abgeben wollen. Über die Details der Wahlbeteiligung gibt man sich im Willy-Brandt-Haus wortkarg – etwa was das aktuelle Verhältnis zwischen Brief- und Online-Stimmen angeht. Nur so viel sagt man in der Parteizentrale: Die Zahlen aus dem Jahr 2018 werde man „sicher nicht“ erreichen. Damals beteiligten sich 76 Prozent der Genossen an der Mitgliederbefragung über die Neuauflage der großen Koalition. Davon sprachen sich 66 Prozent für die Groko aus.
Bei der aktuellen Abstimmung gibt es zumindest eine gute Nachricht: Das nötige Quorum von 20 Prozent wurde bereits kurz nach Beginn des Wahlgangs Mitte Oktober erreicht. Damit ist die Wahl gültig. Der Bundesvorstand hatte die Latte dafür aber auch bewusst niedrig gehängt.
Ein Problem für Scholz und Geywitz
Bleibt es bei der geringen Wahlbeteiligung, dürfte das vor allem für Parteivize Olaf Scholz und seine Ko-Kandidatin Klara Geywitz zum Problem werden. „Das schadet Olaf Scholz“, sagt ein Mitglied aus dem Vorstand. Die bis Sonntag abgegebenen 130.000 Stimmen, so glaubt man in der Partei, stammten vor allem von den Aktiven aus den „Strukturen“, wie es im SPD-Sprech heißt: also von den engagierten Sozialdemokraten, die das Verfahren eng verfolgt haben, von den Funktionären in den Landesverbänden und von den Jusos, die ihre Mitglieder traditionell gut mobilisieren können.
All diese Genossen verbinde eins, sagt eine SPD-Bundestagsabgeordnete: die „kritische Stimmung gegen Scholz“. Wenn solche Parteimitglieder die Abstimmung dominieren, dürfte es eng werden für Scholz und Geywitz. Die bräuchten für einen Sieg die Breite der Basis, die weniger Scholz-skeptischen „Karteileichen“, heißt es in der SPD.
Dass der Vizekanzler und Finanzminister als mit Abstand bekanntester Bewerber so hart um den Vorsprung kämpfen muss, sei eine Demütigung für Scholz, mein Manfred Güllner, der Chef des Umfrageinstituts Forsa und selbst SPD-Mitglied ist. Die geringe Wahlbeteiligung überrascht ihn nicht. Basis-Demokratie fänden die meisten Menschen als Idee zwar grundsätzlich gut. „In Untersuchungen stimmen meist 80 Prozent zu, dass eine Urwahl sinnvoll ist“, sagt Güllner. „Wenn Urwahlen oder direkte Abstimmungen ermöglicht werden, nehmen in der Regel aber nur wenige teil.“
In der SPD sei das Problem aber verschärft, sagt der Forsa-Chef. Nicht nur habe ein Großteil der Basis inzwischen resigniert angesichts der andauernden Krise ihrer Partei. Abgesehen von Scholz seien dazu die meisten der Kandidaten selbst unter Genossen weitgehend unbekannt. „Das ganze Auswahlverfahren zeigt, wie dünn die Personaldecke der SPD ist.“
Schaden könnte die geringe Wahlbeteiligung am Schluss auch den Siegern des parteiinternen Wettbewerbs, sagt Güllner. „Wer auch immer die Abstimmung gewinnt, wird ein großes Legitimitätsproblem haben, vor allem mit einer geringen Wahlbeteiligung.“ Die neue Doppelspitze wäre zwar dann durch eine Direktwahl bestimmt, aber möglicherweise nur von einer Minderheit der Mitglieder. Genau das wollte die SPD mit ihrem aufwändigen Verfahren eigentlich verhindern.
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