Antisemitische Zwischenfälle in deutschen Städten: Steinmeier verurteilt Judenhass bei propalästinensischen Protesten
In deutschen Städten werden antisemitische Parolen gebrüllt, Demonstranten versuchen, eine israelische Flagge zu verbrennen. Politiker reagieren entsetzt.
Es sind Bilder, die an die dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte erinnern: eine aufgebrachte Menge skandiert vor einem jüdischen Gotteshaus antisemitische Parolen. Eben solche Szenen trugen sich am Mittwochabend in Gelsenkirchen zu, wie ein auf Twitter geteiltes Video des Zentralrats der Juden zeigt.
Zu sehen ist eine größere Anzahl überwiegend junger Menschen die mehrmals die antisemitische Parole "Scheiß Juden" in Richtung der nahen Synagoge ruft. Auf anderen Videos ist zusätzlich der Slogan "Kindermörder Israel" zu hören.
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Mehrere Personen tragen palästinensische Fahnen, aber auch türkische Flaggen und eine algerische sind zu erkennen. Nach Angaben der Polizei war die Demonstration nicht angemeldet, Teilnehmer hätten sich gegen 17:40 Uhr spontan vom Bahnhofsvorplatz Gelsenkirchen in Richtung der örtlichen Synagoge in Bewegung gesetzt. Schließlich wurden etwa 180 Demonstranten von Polizeikräften gestoppt, dabei soll die Polizei auch Schlagstöcke eingesetzt haben.
In den sozialen Netzwerken wurde die offizielle Pressemitteilung der Gelsenkirchener Polizei massiv kritisiert, da lediglich von "antiisraelischen" Parolen auf der Demonstration die Rede war. Der Zentralrat der Juden bezeichnete die skandierten Parolen hingegen als "puren Antisemitismus".
Am Donnerstag teilte die Polizei in Gelsenkirchen mit, sie habe einen Tatverdächtigen identifiziert. Es handele sich um einen 26-jährigen Deutsch-Libanesen aus Gelsenkirchen. Der Staatsschutz habe eine Ermittlungskommission eingerichtet, "um zügig weitere Details aufzuklären".
Auch in anderen deutschen Städten kam es angesichts der aktuellen Entwicklungen in Nahost zu propalästinensischen Demonstrationen. In Hannover versammelten sich etwa 500 Menschen unter dem Motto "Israelische Attacken gegen Jerusalem und Gaza". Das Verbrennen einer Israel-Flagge konnte nach Polizeiangaben verhindert werden. Ein Tatverdächtiger wurde identifiziert.
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Beobachter vor Ort berichten von Plakaten mit dem Slogan "Palestine will be free from the rive to the sea", was das heutige Staatsgebiets Israels miteinschließen würde und damit das Existenzrechts des Landes anzweifelt.
Auch die Parole "Kindermörder Israel" wurde gerufen. Die Versammlung in der niedersächsischen Landeshauptstadt wurde um 19.30 Uhr aufgelöst, da sich viele Teilnehmer nicht an die Infektionsschutzverordnung hielten.
Vorfälle auch in Berlin
Auch in Berlin wurden in der Nacht mindestens zwei Vorfälle gemeldet, die mit der Eskalation in Nahost in Verbindung stehen, wie eine Polizeisprecherin dem Tagesspiegel mitteilte. Gegen 23.15 stahlen Unbekannte eine Israel-Flagge vor dem Konrad-Adenauer-Haus in der Klingelhöferstraße. Die Fahne wurde erst gestern gehisst. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak erklärte am Dienstag zu der Aktion, man hisse die Flagge aus "Solidarität mit den Opfern terroristischer Raketen-Angriffe". Ursprünglich sollte sie bis zum 14. Mai, dem Jahrestag der Staatsgründung Israels wehen.
Im Bezirk Pankow wurde gegen 0.30 Uhr ein brennender Müllcontainer vor dem Rathaus von der Feuerwehr gelöscht, der nach Polizeiangaben dazu bestimmt war, die gehisste Israel-Flagge am Gebäude zu beschädigen. Das konnte verhindert werden. Die israelische Stadt Ashkelon ist Partnerstadt Pankow und leidet durch die Nähe zum Gaza-Streifen besonders unter den Raketen-Angriffen der Hamas. Erst gestern gab Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn (Die Linke) das Hissen der Flagge bekannt und berichtete auf Twitter von wütenden Anrufen in Reaktion auf die neu gehisste Flagge.
Steinmeier: „Judenhass nicht dulden“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die antisemitischen Krawalle und Fahnenverbrennungen vor Synagogen verurteilt. "Unser Grundgesetz garantiert das Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit", schrieb Steinmeier in einem Gastbeitrag für die "Bild"-Zeitung. "Wer aber auf unseren Straßen Fahnen mit dem Davidstern verbrennt und antisemitische Parolen brüllt, der missbraucht nicht nur die Demonstrationsfreiheit, sondern der begeht Straftaten, die verfolgt werden müssen!"
Nichts rechtfertige die Bedrohung von Jüdinnen und Juden in Deutschland oder Angriffe auf Synagogen in deutschen Städten, betonte Steinmeier. "Judenhass - ganz gleich von wem - wollen und werden wir in unserem Land nicht dulden."
Außenminister Heiko Maas (SPD) appellierte an alle Bürgerinnen und Bürger, es nicht zu akzeptieren, "wenn Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland für Ereignisse im Nahen Osten verantwortlich gemacht werden - auf der Straße wie in den sozialen Medien".
Maas rief zum besseren Schutz von Synagogen in Deutschland auf. "Für Angriffe auf Synagogen darf es in unserem Land null Toleranz geben", sagte Maas den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Und so traurig es ist, dass das überhaupt notwendig ist: Der Staat muss ohne Wenn und Aber die Sicherheit der Synagogen gewährleisten."
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) kündigte nach den antisemitischen Vorfällen eine konsequente Verfolgung der Täter an. "Ich finde es unerträglich, wenn auf deutschem Boden antisemitische Parolen skandiert werden", sagte Reul am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. "Unsere Polizei verfolgt die Täter mit aller Konsequenz, damit sie bestraft werden können."
Er sei froh, dass die ersten Polizisten bei der unangemeldeten Spontanversammlung in Gelsenkirchen so schnell vor Ort gewesen seien, um die Synagoge zu schützen. "Jüdisches Leben gehört selbstverständlich zu Deutschland und muss hier ohne Angst vor Bedrohung und Gewalt möglich sein", sagte Reul. Daher bewache der polizeiliche Objektschutz besonders gefährdete jüdische Einrichtungen in NRW derzeit rund um die Uhr. (mit dpa)