Katholikentag in Münster: Steinmeier: Friedensdiplomatie hat einen schweren Rückschlag erlitten
Frank-Walter Steinmeier sprach zum ersten Mal als Bundespräsident auf dem Deutschen Katholikentag. Lesen Sie seine Rede hier im Wortlaut.
Zum ersten Mal bin ich als Bundespräsident auf einem Katholikentag – und ich freue mich sehr, hier bei Ihnen in Münster zu sein. Kirchentage sind Feste des Glaubens und damit Kraftquellen für uns Christen. Sie sind aber auch wichtige Orte der Selbstverständigung. Sie konfrontieren die Kirchen mit den aktuellen Fragen der Zeit – und die Gesellschaft konfrontieren sie mit Haltungen und Orientierungen, die aus christlicher Überzeugung kommen. Im Austausch, in der lebendigen Debatte, wird hier immer wieder deutlich, welche gesellschaftliche Relevanz der Glaube hat oder haben kann.
Als für diesen Katholikentag das Leitwort „Suche Frieden“ gefunden wurde, konnten die Planer nicht voraussehen, wie sehr es zu aktuellen Debatten passen würde. Ein langfristiger Friede im Mittleren Osten ist mit der gestrigen Entscheidung des amerikanischen Präsidenten, einseitig aus dem Iran-Abkommen auszusteigen, jedenfalls nicht wahrscheinlicher geworden.
Der Geist des Abkommens, nämlich die Spirale der Eskalation durch den Weg der Verhandlung und der verbindlichen Vereinbarung zu durchbrechen, ist mehr Konfrontation und mehr Unberechenbarkeit in dieser ohnehin so spannungsgeladenen Region gewichen. Friedensdiplomatie – das ist meine Meinung – hat einen schweren Rückschlag erlitten. Und das ist bitter in einer Zeit, in der wir sie brauchen – dringender denn je.
Ökumene ist keine Nebensächlichkeit
Aktuell ist das Motto aber nicht nur in der Weltpolitik, sondern auch in unserem eigenen Land. Wo müssen wir in unserer Gesellschaft Frieden suchen, Frieden erhalten und Frieden stiften?
Zuerst will ich eine gute und ermutigende Entwicklung nennen: Ich meine die selbstverständliche ökumenische Gemeinsamkeit unter den Christen, die man noch vor einiger Zeit nicht für möglich halten konnte. Sogar das Reformationsjubiläum im letzten Jahr war kein Anlass zu neuerlichem Streit. Katholiken und Protestanten haben sich vielmehr auf das Gemeinsame besonnen, das im Laufe der vergangenen Jahrzehnte immer mehr entdeckt werden konnte. Immer mehr ist klar geworden: Ökumene ist keine Nebensächlichkeit. Das Zeugnis der Christen in Politik und Gesellschaft, gerade das Zeugnis für Frieden, ist praktisch nur noch als gemeinsames glaubwürdig. Soviel kann ich auch als Bundespräsident ruhig sagen.
Nicht als Bundespräsident, sondern als bekennender evangelischer Christ, der in einer konfessionsverschiedenen Ehe lebt, darf ich hinzufügen, was ich in Rom auch dem Papst sagen konnte: Ich bitte um die Offenheit für weiteres ökumenisches Zusammenwachsen. Und hier auf dem Katholikentag möchte ich bitten: Lassen Sie uns Wege suchen, den gemeinsamen christlichen Glauben auch durch gemeinsame Teilnahme an Abendmahl und Kommunion zum Ausdruck zu bringen. Ich bin sicher: Abertausende Christen in konfessionsverschiedenen Ehen hoffen darauf.
Antisemitismus in Wort und Tat müssen wir entschieden bekämpfen
Aber es gibt ganz aktuell auch Streit und Auseinandersetzung wegen religiöser Überzeugungen oder religiöser Symbole. All das, so glaube ich, hat zu tun mit einer Sehnsucht bei vielen in unserem Land nach Identität, nach Orientierung, nach Halt im Strom einer rastlosen Zeit. Dass unser Land zutiefst christlich geprägt ist, dass wir uns selber und unsere Kultur ohne unsere christliche Geschichte nicht verstehen können, ist für mich selbstverständlich. Auch christliche Kirchen und christliche Symbole wie das Kreuz sind in unserem Land im öffentlichen Raum vielfach selbstverständlich. Aber wir wissen auch: Was sonntags in den Gottesdiensten fehlt, kann das Kreuz im Behördeneingang nicht füllen.
Zur Herausbildung unserer kulturellen Identität gehörte auch das jahrhundertelange Ringen um das rechte Verhältnis von Kirche und Staat, Religion und Gesellschaft. Die heutige Trennung beider Bereiche, so wie sie unsere Verfassung vorsieht, gehört zu den segensreichsten und friedensstiftenden historischen Errungenschaften. Der Staat hat die Religion nicht zu bevormunden, er hat sie aber auch nicht in Dienst zu nehmen, er darf sie nicht zum Instrument von Politik machen.
Die Freiheit der Religion gibt jedem Menschen auch das Recht, religiöse Symbole – auch im öffentlichen Raum – zu tragen. Aus aktuellem Anlass sage ich: Bei uns soll kein Jude Angst haben müssen, eine Kippa zu tragen. Antisemitismus in Wort und Tat müssen wir entschieden bekämpfen. Es gibt für Antisemitismus keinen Fingerbreit Verständnis, ob er deutsche Wurzeln hat oder ob er von außen mitgebracht wird. Diese Bundesrepublik ist nur vollkommen bei sich, wenn Juden vollkommen hier zuhause sind. Und es ist unsere Verantwortung, dafür zu sorgen.
Religionen, das lehrt die Geschichte, sind nicht per se friedlich. Ihr Wahrheitsanspruch kann zu aggressiver Selbstbehauptung führen. Aber alle großen Religionen kennen die Selbstverpflichtung zum Frieden. Sie gilt weltweit. Und gerade in einem Land, wo Kreuz, Kippa und Kopftuch in derselben Stadt, im selben Viertel, in derselben Straße zusammentreffen, haben die Religionen eine unabweisbare Verantwortung für den Frieden. Jeder soll in unserem Land nach seinem Glauben leben können und dürfen – ohne Angst, aber auch ohne Machtanspruch.
„Suche Frieden“: Das Ringen um Ausgleich und Frieden zwischen zutiefst verschiedenen, ja zerstrittenen Kontrahenten ist mühsam. Das zeigt die Geschichte der Friedensverhandlungen zu Münster und Osnabrück. Aber dieser Frieden ist notwendig. Und er ist möglich – nach innen und nach außen! Das sollte die Botschaft dieses Katholikentages sein, die Botschaft aus der Friedensstadt Münster.
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