Nachfolgerin von Angela Merkel: Steht Kramp-Karrenbauer wirklich für Kontinuität?
Ihre Spielräume mögen zunächst kleiner sein. Doch Annegret Kramp-Karrenbauer wird zwangsläufig klarere Positionen vertreten als Merkel. Ein Kommentar.
Auf den ersten Blick suggeriert die Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur CDU-Vorsitzenden und designierten künftigen Kanzlerkandidatin weitgehende Kontinuität. Doch das könnte ein Irrtum sein. Einiges spricht dafür, dass nicht nur eine neue, sondern auch eine andere Zeit beginnt und das schnell – in der Union, aber auch in der Politik insgesamt und damit: im Land.
Es ist als kleines Wunder, zumindest aber als überraschend beschrieben worden, dass so viele Anhänger von Jens Spahn im zweiten Wahlgang für Angela Merkels Favoritin votierten, obwohl sie politisch Friedrich Merz näherstehen. Doch das war Kalkül: Merz hätte bei einem knappen Ergebnis den konkurrierenden Flügel einbinden müssen und auch selbst der Profilierung und weiteren Karriere von Spahn im Weg gestanden.
Im Fall der Wahl von Kramp-Karrenbauer ist es genau andersherum, wie sich bei der Wahl des Generalsekretärs zeigt: JU-Chef Paul Ziemiak stand bisher nicht auf der Seite der neuen Vorsitzenden. Sein mäßiges Ergebnis ist Ausdruck einer Zweiteilung der Union, bei der Spahn ohne Merz freier ist.
Kramp-Karrenbauer führt also eine CDU an, die deutlich konservativer aufgestellt ist, als ihre Wahl vermuten ließ. Das Neue daran: Das wahre Kräfteverhältnis, das in der Zeit Merkels oft aus Loyalität zu Partei und Kanzlerin unscharf blieb, ist zum ersten Mal seit Jahren nahezu exakt zu beschreiben.
Konservativer, als es zuweilen den Anschein hat
Kramp-Karrenbauer muss dem gerecht werden, wenn sie die Kanzlerschaft anstrebt. Den Unterstützern von Merz und Spahn entgegenzukommen, wird ihr dabei leichter fallen. Zur Regierungszeit Merkels ist die Politik den gesellschaftlichen Veränderungen gefolgt und hat ihnen einen rechtlichen Rahmen gegeben, zuweilen auch, wie bei der Neuregelung der Ehe, gegen den Willen, aber nicht gegen den Widerstand der Kanzlerin. Aber viele solcher Fragen sind zurzeit nicht mehr offen, eine der wenigen ist Paragraf 219a, das Werbeverbot für Abtreibungen.
Unter den Vorzeichen ihrer knappen Wahl wird Kramp-Karrenbauer das Gesetz verteidigen, und dabei muss sie sich nicht einmal winden: Gesellschaftspolitisch ist sie von ihrer Überzeugung her konservativer, als es zuweilen den Anschein hat – und als Merkel war, die oft mehr ihrem Gefühl für Stimmungen folgte. Ihre innerparteilichen Gegner abräumen, einen nach dem anderen, so wie es Merkel tat, das will, wird und kann Kramp-Karrenbauer jedenfalls nicht.
Der interne Wahlkampf mit dem spannenden Finale bringt jenseits politischer Standpunkte noch etwas zum Ausdruck, das auch andere Parteien verspüren: eine Sehnsucht nach Deutlichkeit der Sprache und des Gedankens. Mögen Kramp-Karrenbauers Spielräume zunächst auch kleiner sein als die Merkels, ihre Position wird klarer erscheinen, zwangsläufig.
Bleibt die Frage nach der Kanzlerschaft. Merkel und Kramp-Karrenbauer werden sich schnell auf ein Szenario verständigen, wenn sie es nicht schon getan haben. Laut Koalitionsvertrag wird die Arbeit der Regierung zur Halbzeit der Legislatur evaluiert, eine bewusst eingefügte Kannbruchstelle. Das wäre in einem Jahr, und Merkel hat Zeit.
Aus Sicht von Kramp-Karrenbauer spricht dagegen viel für Tempo: Die SPD ist bei Umfragewerten um die 15 Prozent mit einer erledigten Vorsitzenden und ohne überzeugende Idee für eine Spitzenkandidatur der perfekte Spielball für einen schnellen Wechsel im Kanzleramt. So oder so.