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Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer.
© John MacDougall/AFP

Reaktionen auf Kramp-Karrenbauer: Irgendwie ist Merkel doch nicht weg

In der SPD atmen die Regierenden auf, auch die Grünen freuen sich. Für die FDP ist das Ergebnis zwiespältig. Und Linke und AfD? Wählen die gleiche Floskel.

Es ist ein Wechsel mit Folgen. Nicht nur für die CDU. Die Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer auf dem Hamburger Parteitag hat auch Auswirkungen auf die politische Konkurrenz, auf SPD und Grüne, auf FDP, AfD und Linke. Ein Überblick:

Die Sozialdemokraten, zumindest ihr regierungstreuer Teil, atmen auf. Ein CDU-Chef Friedrich Merz mit seinen gesellschaftspolitisch konservativen, in der Wirtschaftspolitik liberalen Positionen hätte es der SPD-Führung noch schwerer gemacht, die koalitionsmüde Parteibasis auf Groko-Kurs zu halten. Von Annegret Kramp-Karrenbauer versprechen sich die Spitzen-Genossen um Andrea Nahles hingegen Stabilität und Verlässlichkeit für das schwarz- rote Regierungsbündnis, zu dem sie bei Umfragewerten um 15 Prozent derzeit keine Alternative sehen.

Weniger begeistert ist der linke Flügel. Er pocht seit langem auf eine stärkere Abgrenzung zur Union – und die wird mit der neuen CDU-Chefin nicht leichter. Anders als bei Merz bietet der auf Ausgleich bedachte Politikstil von AKK weniger Angriffsfläche. In der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Rentenpolitik, bei klassischen SPD- Themen also, steht die Neue an der CDU-Spitze den Sozialdemokraten näher als vielen von ihnen lieb ist.

Anders verhält es sich in gesellschaftspolitischen Fragen, etwa beim Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche. Im Koalitionsstreit um den Paragraphen 219a könnte es schon bald zum ersten großen Konflikt kommen. Die Katholikin Kramp-Karrenbauer ist strikt gegen eine Abschaffung, die SPD würde die Gesetzesregelung am liebsten ersatzlos streichen. SPD-Chefin Nahles steht bei ihren eigenen Leuten im Wort. Sie muss gegenüber der Union zumindest durchsetzen, dass Ärzte, die über ihr Angebot für Schwangerschaftsabbrüche informieren, nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden – andernfalls droht ein Aufstand in der Fraktion. Schon in der kommenden Woche will Nahles einen entsprechenden Vorschlag zur Änderung des 219a vorlegen.

Grüne freuen sich

Für die Grünen, bei denen Kanzlerin Angela Merkel inzwischen fast schon beliebter ist als in ihrer eigenen Partei, ist die Wahl von Kramp-Karrenbauer ein Grund zum Jubeln. Grünen-Politiker wie Jürgen Trittin gaben ihrer Freude denn auch auf Twitter und Facebook Ausdruck. Dahinter steht die Hoffnung, dass die neue Chefin der CDU am Modernisierungskurs ihrer Vorgängerin im Großen und Ganzen festhält – Voraussetzung für stabile Bündnisse der Öko-Partei mit der Union. Und die strebt die Grünen-Führung an. In Schwarz-Grün sieht sie die einzige realistische Machtperspektive, während die SPD in ihren strategischen Überlegungen als Partner vorerst keine große Rolle mehr spielt. Möglichst viele vormalige SPD-Wähler auf dem Weg zu Schwarz-Grün mitzunehmen, das ist das Ziel.

Ein Vorteil für die FDP?

In der FDP dürfte man nach der Wahl Kramp-Karrenbauers ebenfalls gejubelt haben. Aber nur still. Denn man hat mit ihr keine guten Erfahrungen gemacht. Ausgerechnet am 6. Januar 2012, also dem Tag des traditionellen Dreikönigstreffens der Freien Demokraten, ließ die Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer, erst wenige Monate im Amt, die damalige Jamaika-Koalition an der Saar platzen. Sie bewies damit Mut und zog Neuwahlen einer wackligen Regierung mit der im Land instabilen FDP vor. Danach regierte Kramp-Karrenbauer sechs Jahre mit der SPD. Seither hat sie den Ruf einer Politikerin, die unsichere Kantonisten als Partner nicht mag und Konflikte nicht scheut. Was den stillen Jubel betrifft, ist es auch eher die Niederlage von Friedrich Merz, die in der FDP als Chance gesehen wird. Denn Merz hätte den Freien Demokraten Stimmen abjagen können.

Nun aber hegt man Hoffnung. Der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing twitterte schnell: „Die CDU macht sich ehrlich und unterstreicht, dass sie mehr Merkel als Merz ist.“ Und Parteichef Christian Lindner verband seinen Glückwunsch mit einer leicht giftigen Kommentierung des Ergebnisses: „Eine Mehrheit des Parteitags sprach sich für eine andere Strategie aus, hat dann aber eher Kontinuität gewählt.“ Lindners Strategie beim Projekt der Wiederkehr seiner Partei in den Bundestag baute stets auf den Missmut im rechtsbürgerlichen Lager mit Merkel.

Das Problem: In dem Moment, in dem die Rückkehr gelang, waren die Freien Demokraten eine Geisel des eigenen Vorgehens. Denn konnte man dann in eine von Merkel geführte Regierung gehen? Die Antwort beim Scheitern der Jamaika-Sondierungen im November 2017 war Lindners „Nein“. Doch wenn nun Kramp-Karrenbauer nichts anderes ist als die Fortsetzung von Merkels Politik, was dann – falls sich doch die Gelegenheit bieten sollte, bald mitzuregieren? Die FDP-Oberen werden nun darauf setzen, dass Merz-Anhänger zu ihnen abwandern. Sicher ist das freilich nicht. Denn gerade weil Kramp-Karrenbauer nur knapp gewann, wird sie einiges daran setzen, den Wirtschaftsflügel der CDU zu hegen und zu pflegen.

Linke und AfD unisono

Bei AfD und Linken war die Reaktion praktisch identisch: Sowohl AfD-Fraktionschefin Alice Weidel als auch die Linken-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht bezeichneten Kramp-Karrenbauer als „Merkel 2.0“. Während Weidel sagte, damit werde sich der „Linkskurs“ der CDU fortsetzen, betonte Wagenknecht, auch die neue CDU-Chefin werde keine „soziale Wende“ bringen. Beide Parteien hoffen, bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst zulegen zu können.

Und beide setzen bisher darauf, dass Merkel dann noch Kanzlerin ist und ein Feindbild abgibt – wegen ihrer Flüchtlingspolitik bei der AfD, wegen mangelnder sozialer Wärme bei der Linken. Und einfach deshalb, weil sie nun schon lange regiert. Träte Merkel vorher auch als Regierungschefin zurück, wäre freilich der Slogan „Merkel muss weg“ schon mal abgehakt.

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