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Der EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber will die Nachfolge von EU
© AFP

Europawahlkampf des CSU-Politikers Weber: Spitzenkandidat auf Gratwanderung

Der EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber will Jean-Claude Juncker beerben. Doch er bekommt es mit Viktor Orban, Emmanuel Macron und den Grünen zu tun.

Die Herausforderung, die Manfred Weber in diesen Tagen zu bestehen hat, lässt sich mit einem Deichbau vergleichen. Der 46-Jährige, der nach der Europawahl die Nachfolge von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker antreten möchte, sieht sich einer Flut von Forderungen gegenüber, die sich auf eine Person richten: Viktor Orban, den umstrittenen ungarischen Regierungschef. Weber, so lautet die Forderung der politischen Gegner des CSU-Vizevorsitzenden, soll endlich die ungarische Regierungspartei Fidesz aus der Europäischen Volkspartei (EVP) ausschließen. Erschwerend für Weber kommt hinzu: Auch im eigenen EVP-Lager wird die Kritik an Orban lauter, seit der Ungar in der vergangenen Woche Juncker und dem US-Milliardär George Soros in einer Plakatkampagne unterstellt hat, der illegalen Migration Tür und Tor zu öffnen.

Aber noch hält der Deich, den Weber gebaut hat. Weber telefonierte in der vergangenen Woche mit EVP-Parteifreunden in Mittel- und Osteuropa, bevor er dem ungarischen Regierungschef öffentlich signalisierte: bis hierhin und nicht weiter. Sollte Orban seine Anti-Brüssel-Kampagne weiter anheizen, dann dürfte er wohl auch in der Parteienfamilie der Europäischen Volkspartei nicht länger zu halten sein.

Weber will es auf einen Rauswurf Orbans nicht ankommen lassen

Weber vollzieht beim Umgang mit dem autokratisch regierenden Premierminister aus Budapest eine schwierige Gratwanderung. Einerseits kann er Orban für seinen Plan, als EVP-Spitzenkandidat den Chefposten in der EU-Kommission zu übernehmen, ganz gut gebrauchen. Auf der anderen Seite könnte es am Ende an Orbans ständigen Querschlägen liegen, wenn dieser Plan nicht aufgeht.

Immerhin kann Weber sich zugutehalten, dass er innerhalb der CSU zu den Moderaten gehört. Den bisherigen Kurs des früheren Parteichefs Horst Seehofer, den starken Mann aus Budapest bei jeder Möglichkeit zu hofieren, fand der Niederbayer noch nie gut. Noch im Januar 2018 hatten die Christsozialen Orban zur Winterklausur nach Kloster Seeon eingeladen. Doch mit diesem Schmusekurs ist endgültig Schluss, seit auch der neue CSU-Chef Markus Söder vergangene Woche die Plakatkampagne gegen Juncker und Soros als „nicht akzeptabel“ bezeichnete. Für Weber und seinen politischen Deichbau war das hilfreich.

Weber hat einige Erfahrung darin, von Brüssel und Straßburg aus die Strippen zu ziehen, ohne dabei den Haudrauf zu geben. Seine Wirkungsstätte sah er stets vor allem in der Europäischen Union, diesem komplizierten, aber auch spannenden Gebilde mit seinen unterschiedlichen nationalen Färbungen. 2004 zog er ins Europaparlament ein, da war er gerade 32 Jahre alt. In den folgenden zehn Jahren gelang es ihm, sich zum Fraktionschef der EVP in Straßburg hochzuarbeiten – einer schillernden Truppe, deren Spektrum von den Rechtsauslegern der ungarischen Fidesz bis zu den liberalen niederländischen Christdemokraten reicht.

Im vergangenen Sommer ließ Weber erstmals durchblicken, dass er gerne EVP-Spitzenkandidat für die Europawahl würde. Es half ihm damals gewaltig, dass sich auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem EVP-Parteitreffen in München hinter ihn stellte. Ende letzten Jahres folgte dann der vorerst letzte Akt: Weber wurde in Helsinki von der EVP zum Spitzenmann gekürt.

EVP dürfte erneut zur stärksten Fraktion werden

Die EVP dürfte voraussichtlich bei der Europawahl in drei Monaten erneut zur stärksten Fraktion in Straßburg werden. Damit hat Weber gute Chancen, den Chefsessel im Brüsseler Berlaymont-Gebäude, dem Sitz der Kommission, zu ergattern. Zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert wäre damit wieder ein Deutscher der oberste Chef der Brüsseler Behörde.

Die Causa Orban stellt Weber jetzt allerdings vor die Wahl, ob er den Streit um den ungarischen Regierungschef in den nächsten Monaten weiterschwelen lassen oder doch die Trennung von der Fidesz wagen will. Der Druck innerhalb der eigenen europäischen Parteienfamilie, sich von den Orban-Leuten zu trennen, hat in den letzten Tagen nicht nachgelassen. Im Gegenteil: Die schwedischen Mitglieder in der EVP dringen darauf, dass die Parteifamilie die Fidesz hinauswirft.

Die Grünen verschärfen ihre Gangart

Jenseits der EVP wächst ebenfalls die Kritik daran, dass Weber es nicht auf einen Bruch mit den ungarischen Parteifreunden ankommen lassen will. Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock forderte den Rauswurf der Fidesz und drohte damit, dass ihre Partei ansonsten nach der Europawahl Weber nicht zum Kommissionspräsidenten mitwählen werde. Damit verschärften die Grünen ihre Gangart. Bislang hatte es aus der Ökopartei lediglich geheißen, dass der Konservative aus Niederbayern untragbar wäre, falls er sich auf seinem Weg an die Brüsseler Spitze im Europaparlament die Unterstützung von Rechtspopulisten wie der österreichischen FPÖ, dem französischen Rassemblement National oder der italienischen Lega holen würde.

Der härtere Kurs der Grünen ist insofern von Belang, als sie am Ende nach der Europawahl in Straßburg zum Zünglein an der Waage werden könnten. Weber baut darauf, dass er im Plenum in Straßburg im kommenden Sommer als Kommissionspräsident in spe eine Mehrheit bei den eigenen Leuten, den Sozialdemokraten und den Liberalen findet. Da aber bei der Europawahl im Mai dieses Dreierbündnis angesichts des erwarteten Erstarkens der Rechtspopulisten schrumpfen dürfte, könnte der Grünen-Fraktion die Rolle des Königsmachers zukommen.

Weber: Orban muss sich solidarisch verhalten

Weber setzt derweil auf eine Mäßigung des ungarischen Regierungschefs. „Wir erwarten von ihm, dass er sich innerhalb der EVP solidarisch verhält“, sagte er dem Tagesspiegel mit Blick auf die umstrittene Plakatkampagne in Ungarn. „Es kann nicht sein, dass eine Partei innerhalb der EVP auf diese Weise massiv gegen den eigenen EVP-Kommissionspräsidenten vorgeht“, fügte er hinzu.

Es hat einen handfesten Grund, dass sich der Kandidat bislang nicht zu einem Rausschmiss der Fidesz durchringen will. In der EVP ist unvergessen, dass die britischen Konservativen vor zehn Jahren die konservative Parteienfamilie verließen. Mit bösen Folgen: Die Tories verschärften ihren Anti-EU-Kurs immer weiter und verstiegen sich unter ihrem damaligen Parteichef David Cameron zu der Idee, ein EU-Referendum abzuhalten – mit den bekannten Konsequenzen. Einen weiteren Zerfall der EU, an dem diesmal die Fidesz maßgeblich beteiligt wäre, will Weber nicht riskieren.

Macht Macron einen Strich durch die Rechnung?

Doch bei aller Umsicht, die der CSU-Vize walten lässt, gibt es etliche Stimmen in Brüssel, denen zufolge es eher unwahrscheinlich ist, dass der CSU-Vize tatsächlich die Juncker-Nachfolge antritt. Der Grund: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lehnt das ganze Konzept ab, wonach ein erfolgreicher Spitzenkandidat am Ende auch Kommissionspräsident wird.

Weber wiederum will um jeden Preis verhindern, dass ihm die Staats- und Regierungschefs einen Strich durch die Rechnung machen. Schon seit Wochen reist er in seinem Vorwahlkampf durch die EU. In der vergangenen Woche war er in Prag, kurz zuvor in Bratislava und in Porto in Portugal. Kommende Woche stehen ein zweiter Besuch in Polen und eine erste Visite in Slowenien an.

Merkel soll bei Webers Wahlkampf auftreten

Anders als Orban setzt er dabei auf einen differenzierten Umgang mit der Migration. „Wenn man mit den Menschen auf der Straße, auf einem Bauernhof, oder auf einem Markt ins Gespräch kommt, dann werden als Erstes die Fragen der illegalen Migration und des Sicherheitsgefühls aufgeworfen“, sagte Weber. Deshalb wolle er zwar deutlich machen, dass die EVP „diejenige Kraft in Europa“ sei, „die den Schutz der EU-Außengrenzen durchsetzt“. Gleichzeitig müsse es nach der Auffassung von Weber auch möglich sein, „weiterhin Schutzbedürftigen zeitlich begrenzt und kontingentiert zu helfen – etwa über die Resettlement-Programme der Vereinten Nationen“.

Der Zusatz dürfte im Sinne von Angela Merkel sein. Die Kanzlerin soll in Webers Wahlkampf ebenfalls auftreten.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 26. Februar 2019 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint.

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