Nach dem Referendum: Spekulation über Neuwahlen in Mazedonien
Nach dem Referendum über die Änderung des Staatsnamens wird in Mazedonien über Neuwahlen im November spekuliert. Aber es könnte noch eine andere Lösung geben.
Auf den ersten Blick ist die große nationale und internationale Politik weit weit an diesem lauen Herbstabend auf dem zentralen Platz in Skopje. Touristen und Einheimische schlendern vor der gigantischen Reiterstatue Alexanders des Großen, Fontänen sprudeln aus dem Boden. Fast jeden Abend kommt auch Stefan Amdiju hierher, um nach der Arbeit in einer Autolackiererei mit seiner Familie zu entspannen. Wenn man ihn fragt, wie er am vergangenen Sonntag beim Referendum abgestimmt hat, kommt die Antwort überraschend schnell: „Natürlich habe ich mit ’Ja’ gestimmt.“ Er zeigt auf seine drei kleinen Söhne und fügt hinzu: „Es geht ja auch um ihre Zukunft.“
Stefan Amdiju gehört zu den rund 600.000 Mazedoniern, die am vergangenen Wochenende einer Namensänderung ihres Staates zugestimmt haben. Mit ihrer Ja-Stimme wollten sie ermöglichen, dass Mazedonien möglichst rasch in die EU und die Nato aufgenommen wird. Allerdings wurde bei dem Referendum das notwendige Quorum verfehlt. Statt der nötigen 50 Prozent beteiligten sich nur 36 Prozent der Wahlberechtigten.
Das Referendum in Mazedonien wäre nicht notwendig gewesen, wenn nicht das benachbarte Griechenland seit langem die Aufnahme des Balkanstaates in die Nato und die EU blockieren würde. „Mazedonien“ darf sich das 1991 unabhängig gewordene Land aus der Sicht Athens nicht nennen. Denn damit könnten Gebietsansprüche auf die gleichnamige nordgriechische Provinz Makedonien, die als Geburtsstätte von Alexander dem Großen gilt, verbunden sein. Also haben sich beide Seiten im vergangenen Juni auf den Namen „Republik Nordmazedonien“ geeinigt. Für viele Mazedonier ist das eine bittere Pille. „Die Griechen treiben uns in die Enge“, beklagt auch der Automechaniker Amdiju. „Aber egal“, findet er, „Hauptsache, wir sind demnächst Mitglied in der EU-Familie.“
Verhandlungen über einen EU-Beitritt Mazedoniens können frühestens Ende 2019 beginnen - unter der Voraussetzung, dass der griechisch-mazedonische Namensstreit bis dahin endgültig gelöst ist.
25. November als Neuwahl-Termin im Gespräch
Wenn es nach dem mazedonischen Regierungschef Zoran Zaev geht, dann war das verunglückte Referendum vom vergangenen Wochenende nichts weiter als eine kleine Ruckelei auf der Zugfahrt Richtung EU. Zaev betrachtet es als Bestätigung seiner Politik, dass 91,4 Prozent der Teilnehmer der neuen Namensgebung zugestimmt haben. Um sein Land nach dem Ausgang des - nicht bindenden - Referendums weiter auf EU-Kurs zu halten, will er zunächst bei der Opposition um Zustimmung für die Namensvereinbarung im Parlament werben. Sollte sich dort nicht auf Anhieb die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit zusammenfinden, plant Zaev auch schon mit Neuwahlen, möglicherweise am 25. November. Nach seinem Kalkül sollen danach seine regierenden Sozialdemokraten gemeinsam mit ihren politischen Verbündeten die nötige Mehrheit für eine Verfassungsänderung aus eigener Kraft erreichen.
Strategie von Oppositionschef Mickoski ist aufgegangen
Sollte es tatsächlich zu Neuwahlen kommen, dann wäre das gewissermaßen die Fortsetzung die politischen Stellungskrieges rund um den Namensstreit mit anderen Mitteln. „Wir werden es niemals akzeptieren, dass die Verfassung verändert wird, um unseren verfassungsgemäßen Namen zu ändern“, sagt Hristijan Mickoski, der im sechsten Stock der Parteizentrale der nationalistischen Oppositionspartei VMRO empfängt. Der Oppositionschef wirft dem Ministerpräsidenten Zaev vor, dass er sich bei den Verhandlungen von den Griechen habe über den Tisch ziehen lassen. Seine Partei riet daher den Wählern, das Referendum zu boykottieren. Mickoskis Strategie ist aufgegangen, weil tatsächlich die nötige Wahlbeteiligung verfehlt wurde.
Der smart auftretende Mickoski hat zahlreiche Details parat, wenn es um eine Schilderung all dessen geht, was aus seiner Sicht in den Monaten vor dem Referendum schief gelaufen ist: Erst habe seine Partei in den Gesprächen über die Namensänderung mit Griechenland kein Gehör gefunden, dann habe die Fragestellung zu einer unklaren Verquickung des Namensstreits mit der Mitgliedschaft in der EU und der Nato geführt. Auch die Auftritte von Politikern aus dem Ausland wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und des österreichischen Regierungschefs Sebastian Kurz, die in Skopje für ein „Ja“ geworben hatten, sieht er kritisch. Dass sich die Spitzenpolitiker aus dem Ausland in der Referendums-Kampagne in Mazedonien die Klinke in die Hand gaben, sei einer „Invasion“ gleichgekommen, kritisiert er. Recht einsilbig wird Mickoski allerdings, wenn es um die Frage geht, wie jetzt Mazedonien noch auf EU-Kurs gehalten werden kann. Die internationale Staatengemeinschaft müsse ran, sagt er nur. Und mit Blick auf die Namensvereinbarung mit Griechenland greift er zu einer Metapher: „Wir sollten dieses Buch zuklappen. Und danach werden wir ein neues Buch öffnen - oder wir werden das alte Buch noch einmal von vorne lesen.“
Spekulationen über einen Deal mit der Opposition
Für einen Politiker wie Mickoski, der sich selbst zugute hält, ein prinzipienstarker Mensch zu sein, ist das eine ziemlich vage Aussage. Der Oppositionschef weiß schließlich auch, dass die Abgeordneten seiner Partei im Parlament keineswegs unisono das Namensabkommen mit Griechenland ablehnen. Artan Grubi, der als Abgeordneter der albanischen DUI-Partei auf der Regierungsseite den Europaausschuss leitet, stellt sich die Frage, welchen politischen Preis die Opposition wohl fordern könnte, um der Verfassungsänderung im Parlament zeitnah zuzustimmen. Einen Kabinettsposten? Das Amt des Generalstaatsanwalts? Mazedonien, argumentiert Grubi, müsse schon selbst einen Ausweg aus der Sackgasse finden, in die es nach dem Referendum geraten ist. Die Zeit für eine Lösung wird in den nächsten Monaten knapp, gibt er zu bedenken: „Im Mai nächsten Jahres sind Europawahlen, und dann werden die Europäer mit sich selbst beschäftigt sein.“