No-Spy-Abkommen: SPD wirft Kanzleramt Täuschung der Öffentlichkeit vor
Ronald Pofalla hatte die Zusicherung der Amerikaner, mit den Deutschen ein No-Spy-Abkommen abzuschließen, durchblitzen lassen. Neue Dokumente belegen nun, dass es nie eine Zusage der USA gab. Das ruft die Opposition aber auch die SPD auf den Plan.
Haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und führende Unions-Politiker im Wahlkampfherbst 2013 falsche Erwartungen geweckt, was ein No-Spy-Abkommen mit der US-Regierung betrifft? Haben sie wider besseres Wissen den Eindruck vermittelt, dass Washington dem deutschen Wunsch nach einem solchen Abkommen nachkommen wird? Diese Fragen wirft die Lektüre von Dokumenten auf, die am Samstag von der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht worden sind. Sie betreffen den E-Mail-Verkehr von Juli 2013 bis Januar 2014 zwischen Merkels sicherheitspolitischem Berater Christoph Heusgen und Karen Donfried, der damaligen Chef-Strategin für Europa im Team von Präsident Barack Obama. SPD und Opposition werfen dem Kanzleramt bereits Vertuschung vor.
Thema des Mail-Austauschs sind die möglichen Reaktionen auf Aktivitäten des US-Geheimdienstes NSA in Deutschland, die kurz vorher unter anderem über die Enthüllungen Edward Snowdens bekannt geworden waren. Merkel hatte damals Richtung Washington die Erwartung geäußert, dass auf deutschem Boden deutsches Recht gelte und dafür eine Erklärung aus Washington gewünscht. Im weiteren Verlauf des Wahlkampfes weitete sich das Verlangen aus zu jenem No-Spy-Abkommen, von dem Kanzleramtsminister Ronald Pofalla damals behauptete, dass die US-Seite es „angeboten“ habe. Auf eine Anfrage der SPD-Opposition im Bundestag hin erklärte das Kanzleramt, eine Vereinbarung sei geplant und mündlich bereits besprochen. Demnach sollte unter anderem keine gegenseitige Spionage und keine Verletzung des jeweiligen nationalen Rechts stattfinden. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) stellte fest, es werde ein solches No-Spy-Abkommen geben. Damit wollte die Regierung offenbar verdeutlichen, dass man mit den Amerikanern auf Augenhöhe verhandele.
Allerdings zeigen die Reaktionen Donfrieds auf die Mails von Heusgen, dass das Weiße Haus allenfalls hinhaltend agierte und keineswegs gewillt war, auf die deutschen Wünsche einzugehen. Selbst nachdem herausgekommen war, dass die NSA auch Merkels Handy abgehört hatte, änderte sich diese Haltung kaum. Allenfalls wollte Washington zugestehen, dass künftig weder Kanzler noch Bundespräsidenten abgehört werden. Eine Zusage, dass US-Agenten sich stets an deutsches Recht halten würden, gab es nicht. Der dokumentierte Mail-Verkehr endet am 8. Januar 2014 seitens Donfrieds mit der Bemerkung: „Dies wird kein No-Spy-Abkommen werden, und ich glaube, jeder hier auf unserer Seite hat das auch fortwährend die ganze Zeit über klar zum Ausdruck gebracht.
SPD-Vize sieht Öffentlichkeit getäuscht
Der SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel wirft dem Kanzleramt vor, die Öffentlichkeit getäuscht zu haben. "Ronald Pofalla hat aus wahlkampftaktischen Gründen eindeutig die Unwahrheit gesagt. Auch die Kanzlerin hat in jeder Wahlkampfrede behauptet, deutsches Recht würde durch die Amerikaner nicht verletzt. Das hat der damalige Verhandlungsstand offenbar in keiner Weise hergegeben. Entweder die Bundesregierung litt 2013 unter akutem Realitätsverlust oder die Beteiligten sollten schnellstmöglich erklären, wie dieser Fehltritt passieren konnte." Schäfer-Gümbel sieht Aufklärungsbedarf. "Eine solche Täuschung der Öffentlichkeit muss Thema im NSA-Untersuchungsausschuss werden. Das damalige Verhalten von Kanzlerin Merkel und ihrem Amtschef schafft nicht gerade Vertrauen in die Aufklärungsbereitschaft in der aktuellen BND-Affäre."
In Berlin reagierte die Opposition am Samstag mit deutlichen Worten auf die Veröffentlichung. „Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang“, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. „Die Bundeskanzlerin muss sich erklären. Ich will wissen, warum die Union wider besseres Wissen die Öffentlichkeit über ein angebliches No-Spy-Abkommen mit den USA getäuscht hat.“ Seit Beginn der NSA-Affäre betreibe das Kanzleramt Vertuschung. „Das ist verantwortungslos.“
Hahn: "Die Kanzlerin kann sich nicht länger damit rausreden, nichts gewusst zu haben"
Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, André Hahn (Linke), hat von Bundeskanzlerin Angela Merkel Aufklärung über die Verhandlungen zu einem No-Spy-Abkommen zwischen Deutschland und den USA gefordert. "Schon im Sommer 2013 war klar, dass das No-Spy-Abkommen nur die Beruhigungspille vor der Bundestagswahl sein sollte", sagte Hahn dem Tagesspiegel. Dabei habe der damalige Kanzleramtschef Ronald Pofalla sicher nicht auf eigene Faust gehandelt. "Die Strategie war sicher mit der Bundeskanzlerin abgesprochen und sie wird sich nicht länger damit rausreden können, von nichts gewusst zu haben." Hahn kündigte an, dasssich auch das Kontrollgremium mit dem Thema No-Spy-Abkommen beschäftigen werde.
Linken-Fraktionschef Gregor Gysi spricht von Lüge. "Für die Behauptung des damaligen Chefs des Bundeskanzleramtes, Ronald Pofallam am 12. August 2013, die US-Regierung habe 'den Abschluss eines No-Spy-Abkommens angeboten' gab es zu keinem Zeitpunkt eine Grundlage. Sie war die glatte Unwahrheit."
Die Abhöraktionen des US-Geheimdienstes NSA belasten nach Einschätzung des Vorsitzenden der Atlantik-Brücke, Friedrich Merz , das deutsch-amerikanische Verhältnis. „Die NSA-Affäre ist ein Vertrauensbruch, der nur langsam wieder repariert werden kann“, sagte der frühere Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag dem Tagesspiegel am Sonntag. „Aber im Kern ist das Vertrauen der meisten Deutschen in die USA ziemlich stabil“, fügte er hinzu.
Es sei „nichts Neues, dass Nachrichtendienste nun einmal auf der ganzen Welt tätig sind“, sagte Merz. Die Aktivitäten etwa des chinesischen und des russischen Geheimdienstes in Deutschland hätten „mindestens so stark zugenommen haben wie die von den Geheimdiensten befreundeter Länder“. Zudem profitiere Deutschland im Kampf gegen Terrorismus von der Aktivität der US-Dienste . „Wenn wir weniger NSA haben wollen, dann müssten wir selbst im Bereich der Aufklärung deutlich mehr tun als bisher“, meinte Merz.