Unter bestimmten Bedingungen: SPD will Rot-Rot-Grün nicht mehr ausschließen
Die SPD will ein Bündnis mit der Linken künftig nicht mehr grundsätzlich ausschließen. Es gibt aber inhaltliche Bedingungen. Linken-Chefin Katja Kipping würdigt dennoch die "späte Einsicht" der Sozialdemokraten.
Die SPD verabschiedet sich von einem jahrzehntelang geltenden Tabu und ordnet ihr Verhältnis zur Linkspartei neu. Die Sozialdemokraten würden als linke Volkspartei „künftig keine Koalition mehr ausschließen, außer mit Rechtspopulisten und rechtsextremen Parteien“, kündigte Generalsekretärin Andrea Nahles am Dienstag an. Dies soll der SPD-Bundesparteitag in Leipzig am Donnerstag als Teil eines Leitantrages zur künftigen Perspektiven der Partei beschließen. Allerdings hat die Parteispitze ihren Kursschwenk durch inhaltliche Kriterien für künftige Koalitionsbildungen eingehegt, die von der Linkspartei nach Ansicht der SPD gegenwärtig allesamt nicht erfüllt werden. Führende Vertreter der Linkspartei begrüßten die grundsätzliche Öffnung dennoch.
Laut Leitantrag muss eine „stabile und verlässliche Mehrheit“ gesichert sein, es soll einen „verbindlichen und finanzierbaren „Koalitionsvertrag“ geben und schließlich muss eine „verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik im Rahmen unserer internationalen Verpflichtungen“ gewährleistet werden. Falls der SPD-Parteitag dem Antrag des Vorstands folgt, schließen die Delegierten damit indirekt auch eine Tolererierung etwa einer rot-grünen Minderheitsregierung durch die Linkspartei aus. Der Text macht auch deutlich, dass es um die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2017 geht und nicht etwa um einen Wechsel von der sich abzeichnenden großen Koalition in eine andere Konstellation hinein.
Nahles: "Gesprächsbereitschaft nach allen Seiten"
„Wir signalisieren Gesprächsbereitschaft nach allen Seiten“, sagte Nahles und deutete an, dass sich die Linkspartei für eine Partnerschaft mit der SPD reformieren müsse. Die Frage sei, „was passiert programmatisch bei den anderen Parteien“. Die Generalsekretärin rechnet nach eigenen Angaben nicht mit Kritik des wahrscheinlichen Koalitionspartners. „Warum sollte sich die Union empören, sie macht doch genau dasselbe“, sagte sie und verwies auf die grundsätzliche Bereitschaft der Union zur Koalitionsbildung mit den Grünen.
Linken-Chefin Katja Kipping sagte dem Tagesspiegel, es handele sich um eine „späte, aber notwendige Einsicht der SPD“. Spätestens bei der Bundestagswahl habe sich gezeigt, dass deren „offensiver Kurs der Ausschließeritis nicht mehr haltbar“ sei. Für Rot-Rot-Grün genüge nicht eine arithmetische Mehrheit. Es müsse daraus ein gesellschaftliches Projekt werden, mit dem Ziel von Verbesserungen im Sinne eines sozial-ökologischen Umbaus. Auch Kipping wollte keine Hoffnungen für einen Bruch der großen Koalition wecken. An der jetzigen Situation im Bund werde der geplante SPD-Beschluss nichts ändern, sagte sie: „Die SPD führt Koalitionsgespräche mit der Union. Die Linke ist Oppositionsführerin."
Gregor Gysi sieht größte Schwierigkeit im Streit um Kampfeinsätze der Bundeswehr
Fraktionschef Gregor Gysi sagte, der SPD-Beschluss werde den Druck auf die Linke erhöhen. Die gegenwärtig größte Schwierigkeit bei möglichen Koalitionsverhandlungen sieht Gysi in der Außenpolitik. Kampfeinsätze der Bundeswehr seien für die Linke nicht machbar, betonte der Fraktionschef. Skeptisch äußerte er sich zu den Chancen für Rot-Grün-Rot in Hessen. Es werde dort „wahrscheinlich nichts werden“. Als spannend bezeichnete er die Lage in Thüringen vor der Landtagswahl 2014. Laut Umfragen könnte dort Rot-Rot-Grün eine Mehrheit bekommen, allerdings liegt die Linke klar vor der SPD.
Tom Strohschneider, Chefredakteur des „Neuen Deutschlands“ schrieb im Netzwerk Twitter: „Lockerungsübungen machen noch kein neues Verhältnis.“ Dagegen schrieb dort der SPD-Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe aus NRW: „Endlich wird Knoten durchgeschlagen! Sackgasse der Ausschließeritis hat ein Ende! Rot-Rot-Grün ist Option für 2017!“ Schwabe gehört zu den wenigen SPD-Politikern, die schon seit Jahren gemeinsam mit Linken und Grünen, darunter dem heutigen Fraktionschef Anton Hofreiter, die Chancen für ein Linksbündnis im Bund ausloten. Hofreiter sagte am Dienstag: "Wir begrüßen, dass die SPD zukünftig nicht von vornherein erklärt, dass sie Vizekanzler sein will." Seine Partei sei sehr gespannt „ sehr gespannt“, was der SPD-Beschluss „bei der doch etwas seltsamen Partei Die Linke“ auslöse, die ihr Verhältnis zu Europa, zu internationalen Organisationen und zu Israel zu klären habe.
Vor der Bundestagswahl hatte die SPD eine Koalition mit der Linkspartei noch kategorisch ausgeschlossen. Dies war vom linken Parteiflügel kritisiert worden. Mit einigen wenigen Ausnahmen verteidigten auch Vertreter der Parteilinken nach der Wahl das Festhalten an dem Versprechen. SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte auf dem Landesparteitag der Berliner SPD vor zehn Tagen erklärt, seine Partei habe den Gesprächskontakt zur Linkspartei nie abreißen lassen, die Gespräche seien aber an inhaltlichen Unvereinbarkeiten gescheitert. Berlins SPD-Chef Jan Stöß sprach am Dienstag mit Blick auf den Leitantrag bei Twitter von einem "wichtigen und fälligen Schritt nach vorn".
Die SPD will auf ihrem Parteitag in Leipzig bis Samstag die Zwischenbilanz der Koalitionsverhandlungen diskutieren und über Lehren aus der verlorenen Bundestagswahl beraten. Zudem will sich die Parteiführung von den Delegierten im Amt bestätigen lassen. Der Parteitag ließ sich nach Angaben von Nahles nicht verschieben, weil alle zwei Jahre Neuwahlen anstehen.
Matthias Meisner, Hans Monath