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Mir nach, Genossen! Der Vorsitzende der Berliner SPD, Jan Stöß, will die politische Nähe zur Linkspartei vergrößern. Das kommt gut an im traditionell linken Landesverband.
© Rainer Jensen/dpa

Berliner SPD: Schaut mal nach links

Nie wieder will SPD-Landeschef Jan Stöß Verhandlungen mit der Linkspartei im Bund ausschließen. Auf dem Parteitag stellte sich auch Sigmar Gabriel der Debatte – und der Kritik an einer großen Koalition.

Es ist das ganz große Thema, das die Bundespartei derzeit bewegt: die Koalitionsverhandlungen mit der CDU und der künftige Umgang mit der Linken. Und so war es auch – neben der Debatte zum Volksentscheid – ein beherrschendes Thema auf dem eintägigen Landesparteitag der SPD am Sonnabend. „Es darf nie wieder dazu kommen, dass wir vor einer Bundestagswahl sagen, dass wir nicht mit der Linken über ein Regierungsbündnis reden“, sagte Landesparteichef Jan Stöß in seiner Eröffnungsrede. Da komme viel Arbeit auf die SPD zu, aber auch auf die Linke, für die immer noch die SPD der Hauptgegner sei.

Zu den Verhandlungen über eine große Koalition im Bund sagte Stöß, es sei „nicht ausgemacht“, was an deren Ende stehe. Im Dezember „werden wir uns das Ergebnis sehr genau ansehen und ergebnisoffen diskutieren“. Stöß bekam dafür viel Beifall von den Berliner Delegierten, die mehrheitlich sehr kritisch zu Schwarz-Rot stehen. 2017 jedenfalls müsse die SPD wieder die Kanzlerin oder den Kanzler stellen.

Gabriel pflichtete dem Berliner Parteifreund Stöß in seiner Gastrede weitgehend bei – und kommentierte, das sei „für den Jan ein neues Erlebnis“. Es sei eine Legende, geradezu albern, dass prinzipielle Gründe einem Dialog mit der Linken entgegenstünden. „Wir hatten vor der Wahl ausschließlich inhaltliche Gründe, Nein zu sagen.“ Die SPD müsse das Bündnis mit undogmatischen Linken und mit den Grünen suchen, auch deshalb, weil in Bund und Ländern die künftige Option schwarz-grüner Zusammenarbeit sehr ernst genommen werden sollte. Rot-Rot-Grün sei in der Zukunft „keine Gewissheit, das sollte auch den Gegnern der großen Koalition klar sein“, mahnte der Parteichef aber auch.

Wir machen nicht mit. Einige Genossen taten ihren Unmut per Plakat kund.
Wir machen nicht mit. Einige Genossen taten ihren Unmut per Plakat kund.
© dpa

Mit Blick auf die laufenden Verhandlungen sagte Gabriel, dass die SPD „die eigene Identität nicht verraten“ werde. Angela Merkel werde aber sicher nicht dazu bewegt werden können, das sozialdemokratische Parteiprogramm unten rechts zu unterschreiben. „Kann es sich die SPD wirklich leisten, alles oder nichts zu sagen?“, fragte Gabriel – und provozierte prompt einen Zwischenruf: „Ja!“. Gabriel reagierte kühl. Da sei er anderer Meinung. Die SPD werde nicht warten können, bis der Rest der Welt zu ihr komme, um zu erkennen, „wie gut und klug wir sind – da können wir lange warten“.

Gabriel riet den Parteifreunden zu großer Nachdenklichkeit. „Die deutsche Sozialdemokratie steht an einer Schwelle, die über ihr Schicksal in den nächsten 20 bis 30 Jahren entscheidet.“ Der Mitgliederentscheid zum Ergebnis der Koalitionsgespräche sei ein Riesenexperiment, aber dieser Prozess werde eine einigende Wirkung haben. Jetzt gebe es sogar in der CDU Debatten, warum die Mitglieder nicht über den Koalitionsvertrag abstimmen dürften. Nein sagen dürfe die SPD am Ende aber nur, wenn es wirklich gute Gründe dafür gebe. Natürlich könne sich die Partei nicht selbst dementieren. „Aber wir wären doch verrückt, wenn wir Schwarz-Rot nicht versuchen, wenn es uns gelingt, gewichtige Teile unserer Programmatik durchzusetzen“, sagte Gabriel. Wenn es so sei, dass die SPD „nur Schiss“ vor der großen Koalition habe, seien bei der nächsten Wahl „20 Prozent nicht die untere Grenze“. Am Ende bekam der Parteichef, nach vielen kritischen Zwischenrufen während seiner Rede, kräftigen Beifall.

Trotzdem kam es anschließend zu einer Debatte, in der viele Genossen ihre grundsätzliche Abneigung gegenüber einer großen Koalition signalisierten. Das entspricht auch der Stimmung im gesamten SPD-Landesverband, der im Vergleich zu der Bundespartei am linken Rand steht. Viele Sozialdemokraten hadern auch immer noch damit, dass die Christdemokraten seit knapp zwei Jahren mit im Senat sitzen. Derzeit führt es in der SPD zu viel Verdruss, dass die CDU so vehement gegen eine Rekommunalisierung des Stromnetzes kämpft. Nach der Debatte mahnte Gabriel vorsichtshalber, „dass wir nie unversöhnlich miteinander reden sollten“. Früher hätten Sozialdemokraten ihre Briefe an andere Genossen mit der Grußformel „Freundschaft“ beendet. Das sei nicht zufällig so, genauso wenig wie das vertraute „Du“.

Der SPD-Parteichef nahm sich auffällig viel Zeit, um auf jeden einzelnen Redebeitrag der kritischen Genossen einzugehen. Wer an diesem Tag fehlte, war Klaus Wowereit. Der Regierende Bürgermeister war in Zürich, in dienstlicher Mission, und schickte dem Genossen Stöß vormittags eine SMS, als die Leichtathletik-EM nach Berlin vergeben wurde (siehe Seite 12). Triumphierend hielt Stöß sein Handy hoch, und die Delegierten freuten sich sehr. Für einen Moment war die Berliner Sozialdemokratie mal wieder eine große Familie. In der allerdings können sich nicht alle leiden.

Ulrich Zawatka-Gerlach

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