Nach Anschlag von Hanau: SPD-Spitze fordert Rassismusbeauftragten – die Union ist dagegen
Die SPD will in der Bundesregierung eine eigene Stelle einrichten, um Rassismus zu bekämpfen. In der Union hält man nichts von der Idee.
Die kleinen und größeren Spitzen gegen den Koalitionspartner scheinen ihm in letzter Zeit richtig Spaß zu machen. Seit Monaten giftet SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil immer wieder gegen die CDU: Die Union drohe ihren politischen Kompass zu verlieren, sagt er. Die Konservativen verließen die „politische Mitte“. Vor allem nach dem „Tabubruch“ von Thüringen, der Wahl des FDP-Manns Thomas Kemmerich mit Stimmen von AfD und CDU zum Ministerpräsidenten, geht Klingbeil die CDU schwer an. Die müsse dringend ihr Verhältnis zur AfD klären und sich endlich eindeutig von Rechtsaußen abgrenzen.
Zu diesem Bekenntnis wollen die Sozialdemokraten ihren Koalitionspartner nun zwingen. Am Montag trifft sich dazu der SPD-Vorstand im Willy-Brandt-Haus. Bei der Sitzung werden die Genossen beraten, welche politischen Schlüsse sie aus dem rassistisch motivierten Anschlag von Hanau ziehen wollen. „Es darf nicht bei tröstenden Worten bleiben“, sagt die stellvertretende SPD-Chefin Serpil Midyatli. „Wir brauchen jetzt konkrete Taten.“
Die SPD-Vizechefin hat zusammen mit anderen Sozialdemokraten wie dem niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius einen Katalog mit Forderungen für den Kampf gegen rechts erarbeitet. Am Montag soll der Parteivorstand das Paket beschließen.
„Klares Bekenntnis gegen Rechts“
Ein Wunsch der Genossen dürfte dabei noch für erheblichen Streit in der großen Koalition sorgen. Denn die SPD fordert die Einsetzung eines Rassismusbeauftragten der Bundesregierung, „als unabhängige Stelle, mit eigenen Ressourcen ausgestattet“, wie Midyatli sagt. Die Union lehnt das ab. Viele aus CDU und CSU ziehen sicherheitspolitische Instrumente vor, wie die Verschärfung des Waffenrechts oder die geheimdienstliche Überwachung von Einzelpersonen.
Die beiden SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wollen indes die Forderung nach einem Rassismusbeauftragten voranbringen. Beim nächsten Treffen des Koalitionausschusses wollten sie die Sache auf die Tagesordnung setzen, sagt Midyatli. Die Sitzung ist für den 8. März geplant.
Midyatli ist zuversichtlich, dass der Koalitionspartner dann auf ihre Idee eingehen werde. „Die Union hat jetzt gar keine Chance als unseren Forderungen nachzukommen“, sagt sie. „Die Menschen erwarten von der Union ein klares Bekenntnis gegen Rechts – im Parlament gegen die AfD, aber auch gesellschaftspolitisch.“ Ein solches Bekenntnis, glaubt Midyatli, könne die Zustimmung zur Einsetzung eines Rassismusbeauftragten sein. Unterstützung dafür kommt von den Grünen und verschiedenen Migrantenselbstorganisationen.
Seehofer: Der Rassismusbeauftragte bin ich
Allerdings sieht es derzeit nicht so aus, als würde die Union tatsächlich mitmachen. Bei der Sitzung des Bundestagsinnenausschusses am Donnerstag gab Innenminister Horst Seehofer (CSU) zu verstehen, dass er einen eigenen Rassismusbeauftragten für unnötig halte. Wie Teilnehmer berichten, sagte er, die Bundesregierung verfüge bereits einen solchen Beauftragten: ihn selbst. „Wenn Herr Seehofer sagt, er sei der Rassismusbeauftragte, dann muss ich sagen: Da hat Herr Seehofer seinen Job nicht richtig gemacht“, entgegnet Midyatli mit Blick auf rassistische Gewalt wie in Hanau.
In der Union hingegen vertraut man im Kampf gegen Rassismus auf den Innenminister. Thorsten Frei, Vize-Chef der Unionsfraktion sagt, Seehofer habe „zurecht unterstrichen, dass er selbst der oberste ‚Anti-Rassismus-Beauftragte‘ der Bundesregierung ist“.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Schuster, Obmann im Innenausschuss, sieht ebenfalls keine Notwendigkeit für einen Rassismusbeauftragten. „Dafür sind die Innenminister der Länder sowie der Bundesinnenminister zuständig. Die Forderung wirkt eine Woche nach der Tat von Hanau politisch auch zu plakativ.“
Frei und Schuster setzen auf andere Mittel im Kampf gegen rechts. Sie betonen, dass das Kabinett gerade einen Gesetzesentwurf gegen Hass im Netz verabschiedet habe. Auch hätten die Sicherheitsbehörden des Bundes mit dem letzten Haushalt 600 zusätzliche Stellen erhalten. Auch stehe eine Reform des Verfassungsschutzes bevor, sagt Schuster – und warnt, es dürfe es im Kampf gegen Rassismus keinen „Aktionismus“ geben. Und: „Wir sollten Beauftragte auch nicht inflationär einsetzen.“
SPD will „Vielfalt im Land stärken“
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh wünscht sich hingegen „eine gesamtgesellschaftliche Debatte“ über Rassismus. „Wir dürfen uns nicht auf Sicherheitspakte beschränken“, sagt er.
Midyatli fordert neben der Einsetzung eines Rassismusbeauftragten mehr politische Bildung und bessere Prävention. „Vor allem aber müssen wir die Vielfalt im Land stärken“, sagt sie. „Das wurde bislang vernachlässigt, obwohl es diese Forderungen seit langem gibt“.
Dass Bildung ein zentraler Aspekt im Kampf gegen Rassismus sei, das sieht man auch in der Union so. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Mathias Middelberg sagte am Donnerstag, bereits im Vorschulalter müsse Kinder gesellschaftliche Vielfalt vorgelebt werden. „Rassismus darf sich schon auf diesen jüngsten Stufen gar nicht erst entwickeln“, sagte er. „Kita, Schule und Elternhaus sind gefragt.“
Die stellvertretende SPD-Chefin Midyatli freut, dass Union und SPD im Kampf gegen den Rassismus zumindest an dieser Stellen an einem Strang ziehen. „Die Union ist endlich einen Schritt weiter, ein Stück weit gereift“, sagt sie.
Dennoch dürfte die Sozialdemokraten bei dem Thema weiterhin versuchen, den Koalitionspartner vor sich herzutreiben. Ihr Generalsekretär Lars Klingbeil sagte kürzlich, die CDU müsse auch ihr Verhältnis zur „Werte-Union“ klären. Bei der Abgrenzung nach Rechtsaußen gehe es um die Glaubwürdigkeit der Konservativen. Midyatli sieht das genauso: „Was Lars Klingbeil sagt, unterstütze ich vollkommen.“