Nach Sondierung mit der Union: SPD-Politiker wollen noch mehr herausholen
Richtig begeistert vom Ergebnis der Sondierungen mit der Union sind in der SPD wenige. Was kann die Partei bei Koalitionsverhandlungen noch erreichen?
Nachbesserungen? Das Wort sei irreführend, muss Ralf Stegner erst mal klarstellen. Man habe sich ja noch gar nicht inhaltlich festgelegt – trotz des in mühsamem Nachtmarathon gemeinsam mit der Union zustande gebrachten Ergebnispapiers von 28 Seiten. Nur sondiert habe man, ob weitere Verhandlungen in Frage kommen. Dass dies so viele durcheinander brächten, sei wohl dem „Jamaika-Theater“ geschuldet, meint der stellvertretende SPD-Chef. Er sei fürs Weiterverhandeln, stellt Stegner klar, entscheiden müsse darüber der Parteitag am 21. Januar. „Aber inhaltlich" - und damit ist er beim Punkt - "muss für uns jetzt in einzelnen wichtigen Punkten natürlich noch mehr kommen, wenn am Ende die Mitglieder zustimmen sollen.“
Katerstimmung nach langer Sondierungsnacht
Nach der Einigung soll also vor der Einigung sein. Bei den Sozialdemokraten grummelt es ob der in den Augen vieler doch sehr mageren Sondierungsergebnisse. Keine Bürgerversicherung. Keine Steuererhöhung für Reiche. Keine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen. Keine Mietpreisbremse. Stattdessen eine Beschränkung des Flüchtlingsnachzugs und eine Festschreibung der Zuwandererzahlen, die von der CSU munter als „Obergrenze“ verkauft wird.
In Sachsen-Anhalt hat der erste Landesparteitag reagiert – und gegen eine große Koalition gestimmt. Um die Zahl der rigiden Neinsager um Juso-Chef Kevin Kühnert kleinzuhalten, stimmen nun auch wichtige SPD-Funktionäre ein in den Chor der nicht restlos Zufriedenen. Den Grundton hat Berlins SPD-Chef und Regierender Bürgermeister vorgegeben. Im Sondierungspapier gebe es „viele gute Ansätze“, sagte Michael Müller dem Tagesspiegel. Doch in den Bereichen Wohnen, Zuwanderung und Integration gehe es so nicht, die Bürgerversicherung fehle ganz: „Viel zu tun also.“
SPD-Vize: Sachgrundlose Befristung von Jobs muss verschwinden
Stegner wird noch deutlicher. In eine Koalition mit der Union gehen solle die SPD „nur, wenn die sachgrundlose Befristung für Beschäftigte fällt“, sagte er dem Tagesspiegel. Diese Vorgabe müsse der Parteitag machen. Und das sei „nur ein Beispiel“. Auch über die Zwei-Klassen-Medizin werde man nochmal diskutieren müssen. Und die Begrenzung des Familiennachzugs auf 12.000 Menschen pro Jahr sei ebenfalls ein Problem. Hier müsse sich die SPD noch für eine Härtefallregelung starkmachen, „schließlich geht es um Kinder aus Kriegsgebieten“.
Gar nicht angehen könne es im übrigen, dass die CSU „mit Triumphgeheul“ Dinge verbreite, die nicht stimmten. Es sei üble Propaganda, wenn deren Politiker herumerzählten, die SPD wolle Asylverfahren künftig in zentralen Einrichtungen mit Residenzpflicht und Sachleistungsprinzip abarbeiten lassen. Oder wenn sie behaupteten, die Sozialdemokraten hätten eine Obergrenze für Flüchtlinge akzeptiert, die dem Asylrecht und der Genfer Flüchtlingskonvention widerspreche. „Das“, sagt Stegner, „machen wir niemals.“
Lauterbach und Dreyer kämpfen weiter für Bürgerversicherung
Der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach wiederum sieht sein Leib- und Magenthema keineswegs abgehakt. „Einzelbestandteile der Bürgerversicherung müssen auch in Koalitionsverhandlungen nochmals diskutiert werden“, sagte er dem Tagesspiegel. Zwar sei wegen „massivster Widerstände“ hier vorerst nicht der große Durchbruch zu erwarten. Doch das bedeute nur, dass die SPD dafür „umso stärker werben und kämpfen“ müsse.
Auch Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, sieht das so: „Wir werden auch über die Bürgerversicherung noch einmal sprechen müssen“, sagte sie der Funke-Mediengruppe. „Ich hoffe, dass wir uns diesem Modell noch ein Stück nähern.“
CDU-Vize Thomas Strobl erteilte solchen Hoffnungen gleich eine Absage. Grundlegende Dinge, die nicht im Sondierungspapier stünden, kämen auch nicht in einen Koalitionsvertrag, stellte er klar. Mit der CDU werde es keine neuerlichen Gespräche über eine Bürgerversicherung geben.
Auch Doppelverbeitragung von Betriebsrenten soll noch Thema werden
Aus Lauterbachs Sicht ist ein Einstieg indirekt schon erreicht. Zwar habe sich die Union gesperrt, die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) durch beihilfefähige Tarife für Beamte attraktiv und zur ernsthaften Konkurrenz für die private Krankenversicherung (PKV) zu machen. „Die Union wusste genau, dass die massiv angeschlagene PKV das nicht überleben würde.“ Die Festlegung, dass gesetzliche Kassen für kleine Selbständige günstiger werden müssen, werde aber dazu führen, „dass viele nicht mehr auf Lockangebote der PKV hereinfallen“.
Und ein weiteres Thema werde er auch noch auf den Tisch bringen, kündigte Lauterbach an: die Doppelverbeitragung von Betriebsrenten in der gesetzlichen Krankenversicherung.
"Zu mehr Gerechtigkeit gehört ein höherer Spitzensteuersatz"
Dreyer, die das Thema Gesundheit federführend betreut hatte, ist auch mit anderen Ergebnissen unzufrieden. Die Beibehaltung der sachgrundlosen Befristung von Beschäftigung gehört dazu. Auch über Leiharbeit müsse in Koalitionsverhandlungen noch intensiv gesprochen werden. Und zu mehr Gerechtigkeit gehöre auch ein höherer Spitzensteuersatz.
Hessens SPD-Chef Torsten Schäfer-Gümbel verlangt ebenfalls Korrekturen „an zentralen Punkten“ der Gesundheits-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik. Sondierungen seien nur eine Verhandlungsgrundlage, twitterte er: „Sie waren und sind nicht das Ergebnis.“