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Anhänger von Radovan Karadžic (rechtes Poster) und Ratko Mladic protestierten gegen das Urteil des UN-Tribunals in Den Haag gegen den Serbenführer.
© imago/Pixsell

Urteil gegen Radovan Karadžic: Späte Gerechtigkeit für Opfer von Srebrenica

Das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat Radovan Karadžic wegen des Völkermords in Srebrenica verurteilt

Eine Gruppe von Gefangenen wurde am frühen Morgen des 14. Juli 1995 in 30 Fahrzeugen nach Orahovac gebracht. Dort befanden sich bereits andere Gefangene. Manche wurden aus dem Gebäude herausgeholt und getötet. Manche wurden mehrere Stunden in der Schule festgehalten – von Zeit zu Zeit wurden kleine Gruppen herausgeholt und zu den Exekutionsplätzen geführt, die weniger als einen Kilometer entfernt waren. Den etwa 1000 Männern wurden die Augen verbunden. Sie mussten sich in eine Reihe stellen. Dann wurde ihnen in den Rücken geschossen. Wer nicht gleich verstarb, wurde mit einem weiteren Schuss getötet. Die Toten wurden in Massengräber gelegt, die später wieder ausgehoben wurden, um den Genozid zu verschleiern.

Das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat am Donnerstag den Ex-Präsidenten der Republika Srpska (RS) Radovan Karadžic wegen des Völkermords in Srebrenica schuldig gesprochen. Der 70-Jährige wurde zu 40 Jahren Haft verurteilt. Der Senatsvorsitzende O-Gon Kwon sagte, dass man für einen Völkermord in sieben ostbosnischen Gemeinden jedoch keine Beweise gefunden habe. Karadžic wurde aber wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mord, Deportationen und die Belagerung von Sarajevo verurteilt. Er habe den Granatenbeschuss der Stadt in Auftrag gegeben und Scharfschützen gegen die zivile Bevölkerung eingesetzt.

Der Serbenführer gab den Befehl zum Völkermord

„Karadžic wollte Bosnien demografisch neu ordnen, indem er die muslimische und die kroatische Bevölkerung vernichten ließ“, hatte der Staatsanwalt Alan Tieger vorgetragen. Die Richter des Jugoslawientribunals folgten dieser Ansicht am Donnerstag, als sie das wohl wichtigste Urteil des Gerichts fällten. Auch die Einschätzung des Militärexperten Richard Butler teilte man, der meinte, dass die Anweisung zur Tötung der Gefangenen in Srebrenica vom Obersten Kommandanten, also von Karadžic selbst, gekommen sein muss.
In seinem Prozess ging es um die politische und militärische Verantwortung für die Vertreibung von Hunderttausenden, für die ethnische Säuberung und letztlich den Genozid. Juristisch wurde er wegen eines gemeinsamen verbrecherischen Unterfangens angeklagt, zu dem Karadžic von 1991 bis 1995 gehörte, und das zum Ziel hatte, die bosnischen Muslime und Kroaten vom Territorium der neu geschaffenen „Serbischen Republik“ wegzubringen, um ein „ethnisch reines“ Gebilde zu schaffen.

1600 Kinder von Scharfschützen in Sarajevo erschossen

Der Prozess begann 2010. Allein die Beweisaufnahme mit mehr als 580 Zeugen dauerte viereinhalb Jahre. Die Anklage versuchte zu beweisen, dass Karadžic die Verbrechen orchestriert hatte, dass er die treibende Kraft hinter den ethnischen Säuberungen war. In Sarajevo habe er die Bevölkerung durch jahrelangen Beschuss terrorisiert. Niemand war zudem vor den Scharfschützen sicher, die in Wohnblöcken postiert waren. Die damals 31-jährige Dženana Sokolovic und ihr Sohn Nermin waren an einem Novembertag 1994 unterwegs nach Hause aus dem Viertel Hrasno, wo sie Feuerholz geholt hatten, als sie getroffen wurden. Die Mutter überlebte, ihr siebenjähriger Sohn wurde tödlich am Kopf getroffen. Insgesamt kamen in Sarajevo etwa 10.000 Menschen durch Schüsse von Scharfschützen ums Leben, darunter etwa 1600 Kinder.

Viele Serben halten das Urteil für ungerecht

In Serbien weigern sich heute viele, die Gräueltaten anzuerkennen. Nach dem Urteil gingen in Belgrad rund 5000 Anhänger des Ultranationalisten Vojislav Šešelj auf die Straße. Šešelj, der ebenfalls vor dem Tribunal in Den Haag angeklagt wurde, aber aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend Haftverschonung erhielt, rief ihnen zu, das Urteil gegen Karadžic sei „gegen das ganze serbische Volk und seine Geschichte“ gerichtet. Ähnlich kommentierten serbische Zeitungen die Entscheidung: „Den Haag vergewaltigt Serbien“, titelte die Boulevardzeitung „Informer“. Recht und Gerechtigkeit seien dem Spott preisgegeben worden, schrieb „Novosti“. Sie zitierte auch Karadžic selbst, der sich als Vorkämpfer gegen islamistischen Terror sieht. „Weder die EU noch die internationale Gemeinschaft haben nach Paris und Brüssel begriffen, mit wem es die bosnischen Serben in den 90er Jahren zu tun hatten“, soll der 70-Jährige gesagt haben. Karadžic hatte den Krieg gegen die muslimischen Bosniaken damit begründet, sie seien Terroristen und eine Gefahr für das christliche Europa.

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