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Flüchtlinge auf dem Grenzzaun um die spanische Enklave Melilla in Marokko.
© Guerrero/ dpa

Gerichtsurteil: Spanien darf Flüchtlinge über den Zaun seiner Enklaven nach Marokko zurückdrängen

Kehrtwende beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: Realitätsferne Begründung für Schwächung der Rechte von Flüchtlingen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Bisher war die Europäische Menschenrechtskonvention die Hoffnung vieler Flüchtlinge: Aus ihr leitete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechtsfragen (EGMR) ab, dass es Unrecht sei, Geflüchtete kollektiv über die EU-Außengrenzen zurückzudrängen, wenn sie bereits auf dem Boden eines EU-Mitgliedsstaates angekommen waren. Damit ist jetzt Schluss.

Das Gericht in Straßburg hat eine Kehrtwende vollzogen und sein eigenes Urteil von 2017 revidiert: Spanien hat das Recht, Flüchtlinge, die in Marokko die hohen Grenzzäune überwinden und in die spanischen Enklaven Melilla und Ceuta gelangen, ohne individuelle Prüfung kollektiv zurück auf die andere Seite des Zauns zu befördern.

Rechte verwirkt wegen illegalen Grenzübertritts

Begründung: Die beiden Kläger, zwei Männer aus Mali und der Elfenbeinküste, die 2014 über den Grenzzaun nach Ceuta gelangt waren, hätten sich durch den Versuch einer illegalen Einreise strafbar gemacht. Dass sie ohne individuelle Ausweisungsentscheidung zurück nach Marokko gebracht wurden, sei eine Folge ihres eigenen unrechtmäßigen Verhaltens.

Dieser Richterspruch, der endgültig ist, wird massive Auswirkungen auf die Praxis an allen EU-Außengrenzen haben. Mit diesem Grundsatzurteil wird die umstrittene Praxis der sogenannten Push-backs, der kollektiven Rückführung Geflüchteter jenseits der EU-Außengrenze, legalisiert.

Ob es Verzweifelte davon abhalten wird, in Gruppen die Grenzen zu stürmen, ist die eine Frage. Diese mussten die Richter nicht beantworten. Sehr wohl aber mussten sie abwägen, ob wirklich legale Wege für die Kläger bestanden, einen Antrag auf Asyl in Spanien zu stellen. Denn sie begründen ihr Urteil damit, dass die Männer am Grenzübergang Beni Enzar legal um Asyl hätten nachsuchen können.

Legale Wege zur Antragstellung gibt es kaum

Doch hier irren die Richter. Denn an den Grenzübergang gelangen nur diejenigen, welche die marokkanischen Sicherheitskräfte durchlassen. Sie wählen aus und lassen eher syrische Flüchtlinge mit höheren Chancen auf Asyl durch als afrikanische und auch nur so viele täglich – teilweise gegen Bestechung –, wie die spanischen Beamten bearbeiten können. Für seine Gatekeeper-Funktion bekommt Marokko viel Geld aus Spanien und von der EU.
Daher ist die Begründung des Gerichts realitätsfern und rein theoretisch. Sie wäre nachvollziehbar, wenn der Gerichtshof gleichzeitig die EU-Staaten gezwungen hätte, ausreichende und funktionierende Außenstellen einzurichten, um Flüchtlingen in der Heimat oder an der Grenze die legale Möglichkeit zu geben, einen Antrag auf Asyl zu stellen. Damit verzweifelte Menschen nicht mehr gezwungen sind, unter Lebensgefahr über Stacheldrahtzäune zu klettern.

Gericht revidiert Urteil seiner kleinen Kammer

Das hat das Gericht aber nicht getan. Und warum es jetzt überraschend ein Urteil seiner ersten Kammer revidierte, bleibt rätselhaft. Das Urteil rüstet die europäischen Grenzschützer legal auf. Die einzelnen EU-Staaten müssen weniger fürchten, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof ihre jeweilige Abschottungspolitik torpediert – was er in der Vergangenheit immer wieder getan hat.

Die Rechte von Flüchtlingen werden geschwächt. Und in Europa steigt nur der (schwache) moralische Druck, Geflüchteten vor Ort besseren legalen Zugang zu Verfahren zu gewährleisten.

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