Wahl in Bayern: Söder und Seehofer – wenn zwei sich streiten
Söder rüffelt Seehofer, Seehofer rüffelt Söder. Die beiden Vorleute der CSU schieben sich die Schuld zu. Für eine Niederlage, die es noch gar nicht gibt.
Markus Söder ist keiner, dem man leicht den Seelenzustand im Gesicht ablesen kann, doch jetzt gerade wirkt er echt betrübt. „Es ist paradox“, sagt Söder. Der Ministerpräsident steht in Ingolstadt auf der Bühne des Theaters. Der Audi-Hauptsitz ist eine dieser bayerischen Städte, die eigentlich gar nicht wahr sein können: Eine Boomregion wie wenige andere, lächerliche zwei Prozent Arbeitslosigkeit, als Dreingabe eine malerische, von allen Kriegen verschonte Altstadt auf einer Anhöhe über der Donau. Kurz: Es geht ihnen ungewöhnlich gut, den Ingolstädtern, so wie überhaupt den Bayern. Nur ihrer Regierungspartei, der geht es schlecht. Fast kann man verstehen, dass Söder das paradox findet. Aber nur fast.
Es ist ein warmer Herbstmontag, als Söder nach Ingolstadt kommt. Der Termin war lange geplant, bekommt aber seine eigene Note durch den Umstand, dass hier das Revier des Horst Seehofer liegt. Die Herren haben sich ein paar Tage zuvor ein Fernduell geliefert: Der Spitzenkandidat hat dem Parteivorsitzenden die miesen Umfragen angelastet – „Berliner Werte“ seien das –, der Parteivorsitzende hat sich mit dem spitzen Hinweis revanchiert, den Wahlkampf verantworte allein der Spitzenkandidat.
Dass sich eine Woche vor dem Wahltag ihre zwei Vorleute die Schuld für eine Niederlage zuschieben, die sie erst noch erleiden müssen, ist selbst für die rauflustige CSU eine neue Erfahrung. Bei der Schwesterpartei CDU haben sogar die Bayern-Versteher nur noch die Augen verdreht. „So was führt nach aller Wahlkampferfahrung bloß in eine Richtung – abwärts“, kommentiert ein jüngeres Präsidiumsmitglied. Ein Älterer brummt: „Wie kann man eine stolze Partei so runterwirtschaften!“
Das ist eine gute Frage, und es gibt darauf sicher so wenig eine einzige Antwort wie auf Söders Paradox. Aber in dem absurden Schwarze-Peter-Spiel könnte sich schon mal ein erster Ansatz finden. Die CSU hat, von einem kurzen Intermezzo abgesehen, immer alleine regiert. Selbst heute steht kaum in Frage, dass sie auch weiter den Ministerpräsidenten stellen wird. Dominanz verführt zur Selbstbezogenheit. „Wenn’s drauf ankommt, ist die CSU maximal geschlossen“, versichert tapfer der Generalsekretär Markus Blume in Ingolstadt. Doch das war stets bestenfalls eine Geschlossenheit nach außen hin, hinter der jeder munter seine internen Ränke betrieb.
So lange 50 plus X kein Märchen aus fernen Zeiten war, konnte man sich das ja auch straflos leisten. Aber diesmal hält Andreas Spreng im Foyer des Stadttheaters ein selbst gemaltes Pappschild hoch, auf dem zu lesen steht: „40 plus X!“
Der da oben in Berlin
Der freundliche 81-Jährige aus dem nahen Eichstätt ist so etwas wie das CSU-Seniorengroupie. Er feuert seine Truppe bei allen wichtigen Veranstaltungen vom Aschermittwoch in Passau bis zu den Parteitagen an. Tragischerweise ist er zugleich eine umgekehrte Kassandra: Weniges von dem, was Spreng sich auf seinen Plakaten erhofft hat, ist je eingetroffen. Kein Guttenberg ist Kanzler, ob Seehofer als „der Fels in der Brandung“ taugt, wird gleich noch zu besprechen sein, und die 40 plus X ... na ja.
Wobei es immer noch Leute gibt in der CSU, die das Wunder für möglich halten. Bis vor einem Vierteljahr wiesen die Umfragen ja auch 41, 42 CSU-Prozente aus. Je nachdem, ob in den nächsten Landtag sieben Parteien einziehen oder ob Linke und FDP draußen bleiben, hätte damals schon ein wenig Zuwachs eine absolute Mehrheit der Sitze bedeuten können.
Seit einem Vierteljahr sinken die Werte, und sie tun es derart konstant, dass es einiges Gottvertrauen braucht, um an einen Last-Minute-Umschwung zu glauben. Sicher, die Zahl der Unentschiedenen ist hoch, so hoch, dass das GSM-Institut seine letzte Umfrage nicht mehr veröffentlichen will. Die Hamburger sind die Hausdemoskopen der CSU. „Vielleicht siegt ja in der Wahlkabine doch die Vernunft“, hofft ein Münchner Insider.
Nur – dass die CSU für Vernunft stehe, das ist im Moment nicht leicht zu vermitteln. So einen Wahlkampf haben sie noch nie erlebt. Zu Stoibers besseren Zeiten konnte es schon mal die Frage zum mittleren Aufreger bringen, ob der Ministerpräsident in seine Bierhumpen auf dem Rednerpult Salbeitee hatte einfüllen lassen (er hatte) und also quasi ein Fake-Prosit ausbrachte. Als Seehofer 2013 die absolute Mehrheit zurückholte, reichte zum Sieg ein zerknirschtes Auftreten.
Diesmal reicht gar nichts mehr. Hans Süßbauer ist Kreisvorsitzender in Ingolstadt, ein alter Haudegen. Diesmal zuckt der pensionierte Polizist die Schultern und fasst seine Wahlkampferlebnisse in einem Seufzer zusammen: „Was willst du machen gegen die Politik da oben?“
Die Politik da oben – dafür steht der Mann, den Süßbauers Kartei seit einem halben Jahrhundert als Parteimitglied verzeichnet. Der Parteivorsitzende, der Bundesinnenbauheimatminister, der da oben in Berlin. Was haben seine Strategen versprochen, als er in die Hauptstadt wechselt! Unser stärkster Mann hält die Kanzlerin in Schach, steht für konsequente Politik, für eine „Asylwende“ ... solche Sachen. Dass der Ortswechsel nicht freiwillig war, nachdem ihn Söder in München aus der Staatskanzlei geputscht hatte, fiel gerne unter den Tisch.
Ist Seehofer bald Geschichte?
Inzwischen ist der da oben in Berlin bei denen da unten in Bayern unten durch. Gebracht, so hören es seine Wahlkämpfer überall, gebracht hat er für seine CSU nichts. Nur jede Menge Ärger: Rücktritt vom Rücktritt, Maaßen-Beförderung, Dieselchaos. Ob er dafür jeweils ganz, halb oder nur am Rande verantwortlich ist, ist vielen längst wurscht.
Seehofer sieht das naturgemäß anders. In seinem heimatlichen Stadttheater ist er mit dabei, als „Beiprogramm“, wie er versichert. Aus ein paar Anmerkungen zu Söders Rede wird freilich doch wieder ein Zweitreferat. Es umfasst einen Teil Selbstrechtfertigung („Man kann mir alles nehmen, aber nicht meine Überzeugungen!“), eine larmoyante Passage über echte und angebliche Missdeutungen seiner Worte und Taten in den Medien und einem Exkurs über die „Seele der Bayern“, die sich in dem Spruch vom „Leben und leben lassen“ offenbare.
Man kann das als Appell in eigener Sache lesen. Söder hat vorhin sein viel verspottetes bayerisches Raumfahrtprogramm mit dem Hinweis verteidigt, man wolle ja niemanden zum Mond schießen – „obwohl, ich wüsste schon einige!“ Seehofer versichert hinterher dem Publikum: „Ich war nicht gemeint.“ Da soll er sich mal nicht so sicher sein.
In München werden eher Wetten darauf abgeschlossen, ob der Parteivorsitzende Seehofer gleich am Wahlabend Geschichte ist oder erst nach der Regierungsbildung. Dabei gilt Söder nicht unbedingt als scharf darauf, sich die Verantwortung zusätzlich aufzuladen. Er müsste dann auch öfter in Berlin sein, ein Pflaster, das er scheut.
Doch die Erfahrungen mit Doppelspitzen in der CSU sind wenig ermutigend, und bevor jemand anderer Ansprüche anmeldet ... Dass Söder bei allen Feldzügen immer mittendrin dabei war, dass der „Asyltourismus“ von ihm stammt und der „Endkampf um die Glaubwürdigkeit“ an dem Tag, an dem CDU und CSU im Reichstag getrennt tagten und niemand wusste, ob sie je wieder zusammen finden – das stimmt zwar. Doch es gilt, was Seehofers Vorgänger Erwin Huber aus leidvoller Erfahrung bezeugen konnte: „Der Sündenbock ist kein Herdentier.“
Diese furchtbaren 33-Prozent-Umfragen
Allerdings darf es jetzt nicht noch weiter abwärts gehen mit der CSU als in diesen furchtbaren 33-Prozent-Umfragen. Söder stemmt sich dagegen mit einer Mischung aus Umarmungstaktik und Schwarzmalerei. Die Charmeoffensive soll vergessen machen, dass der 51-Jährige Franke einen Ruf als loser Bube mit enormem Ego hat, dem keinerlei nachhaltige Überzeugung Einhalt gebietet. In der Bürger-„Wahlarena“ des Bayerischen Rundfunks zeigt er Verständnis für alles und jeden, selbst für die „Ehe für alle“ – die sei nun mal da, und das respektiere man. Nur ganz kurz blitzt der scharfzüngige Ex-Journalist auf, als die Moderatorin fragt, ob da zwischen alten Überzeugungen und Neuzeit nicht ein Spagat nötig sei, bei dem am Ende die Hose reiße. „Kein guter Vergleich bei dem Thema“, raunzt Söder sie an, womit er ja recht hat. Er bleckt dann aber gleich wieder die Zähne zum Gönner-Lächeln – bloß nicht überheblich daherkommen!
Für die Schwarzmalerei braucht es wenige Sätze. „Bayern muss Bayern bleiben und darf nicht irgendein Bundesland werden“ ist einer. „In Bayern ist das Rückgrat die Christlich-Soziale Union“ ein anderer. Nur die Volkspartei könne in Zeiten von Zerrissenheit und Zersplitterung alles zusammenhalten: „Es gibt Ideologen, es gibt Populisten – und es gibt uns.“
Das beschreibt, lässt man die unfreundlichen Zuschreibungen einmal beiseite, präzise die Zwickmühle, in der die CSU steckt. Auf der einen Seite steigen und steigen die Grünen zur zweiten Kraft im Land auf; auf der anderen will die AfD einfach nicht schrumpfen. Die Schwesterpartei CDU kennt das: Volkspartei bedeutet einen Balanceakt mit dem Schwerpunkt in der Mitte. Für die Christsozialen ist es neu. „Wir kriegen den Spannungsbogen nicht mehr zusammen“, gestand neulich einer aus der Parteiführung ein.
Die Zukunft Bayerns auf dem Spiel
Da rächen sich wieder die Jahre der absoluten Mehrheiten. Lange war die CSU ihre eigene Opposition und trug gesellschaftliche Konflikte mit sich selber aus. Seit der Europawahl 2014 war klar, dass das Rezept nicht mehr funktioniert. Die CSU war für wie gegen, verkörpert im Pro-Europäer Manfred Weber und dem Brüssel-Verächter Peter Gauweiler. Die Wähler wandten sich kopfschüttelnd ab.
Jetzt gehen sie wieder – erboste Konservative zur AfD, erboste Liberale zu den Grünen. Es erweist sich als folgenschwer, dass Seehofer und sein Chefstratege, der Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, vor lauter Starren auf die Rechtspopulisten die bürgerliche Flanke ignoriert und verprellt haben, die überzeugten Christen, die Liberalen. In den Umfragen bekommt unter den möglichen Regierungskonstellationen ein schwarz-grünes Bündnis mit Abstand den größten Zuspruch, fast 50 Prozent.
Ist das so paradox? Edmund Stoiber hat darauf hingewiesen, dass jeder sechste Wähler ein Zugezogener ist – Wohlstandsmigranten aus Berlin oder Hannover, angelockt vom reichen Bayern, der CSU indes nicht automatisch dankbar. Die Staatspartei als Opfer des eigenen Erfolgs – auch das haben sie spät erkannt. Langsam erst geht ihnen auf, dass in der Stärke eine paradoxe Schwäche lauert: Wenn die Leute nicht um Arbeit und Wohlstand fürchten müssen, wird anderes wahlentscheidend – Geschmacksdinge, Stilfragen.
Söder ahnt es. „Am 14. Oktober geht es nicht um Haltungsnoten für Berlin“, warnt er auf seinem Facebook-Profil; auf dem Spiel stehe die Zukunft des Freistaats Bayern. Aber dass die Zukunft des Freistaats bedroht sein soll, bloß weil der Söder demnächst in einem Koalitionsausschuss auch mal einen Kompromiss eingehen muss, das leuchtet vielen Wählern nicht ein. Für deren Geschmack ist der Stil der ewigen Staatspartei einfach kein Kreuz am Sonntag mehr wert.