Die Bilanz von Olaf Scholz: So stur und von sich selbst überzeugt wie eh und jeh
Der Bundesfinanzminister wirkt nach seiner Niederlage im SPD-Führungsstreit wie ein Politiker auf Abruf – der sich selbst weiterhin berufen fühlt.
Wirft er hin? Oder bleibt er? Ob Olaf Scholz sich schon entschieden hat, man weiß es nicht. Nach der Niederlage im SPD-Führungswettbewerb ist der Vizekanzler und Finanzminister zweifellos schwer angeschlagen. Doch bei stoischen Menschen wie ihm sind Prognosen nicht immer ganz einfach. Und er ist keiner, der sich leicht aus dem Gleichgewicht bringen lässt. Sein Selbstbewusstsein ist beträchtlich.
Spricht man mit Leuten, die in Verhandlungen mit ihm zu tun hatten, dann wird gern berichtet, dass Scholz dazu neige, sich als den Klügeren am Tisch zu empfinden und es auch alle wissen zu lassen. Bisweilen fällt gar das harte Wort vom „Autisten“ – was man so verstehen sollte, dass Scholz, unzugänglich und etwas rätselhaft, auf andere ausgesprochen eigenwillig wirkt.
Worin er selbst wohl Hartnäckigkeit oder Unbeugsamkeit sieht, erscheint anderen als Beratungsresistenz, die über die bei Politikern häufig anzutreffende Sturheit und Dickköpfigkeit hinausreicht. Als er vor einigen Jahren als Verhandler der Länder den neuen Finanzausgleich auf den Weg bringen sollte und wollte – da war er Hamburger Bürgermeister –, verblüffte Scholz seine Ministerpräsidentenkollegen mit einem länglichen Power-Point-Vortrag, beginnend mit den Basics.
Danach meinte einer aus der Runde, man habe sich ein bisschen gefühlt wie in der Schule, mit einem Oberlehrer an der Tafel. Im Übrigen zeigte sich dann bald, dass der tatsächlich starke Mann unter den Länderchefs der damalige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer war.
Von der Hansestadt in die Hauptstadt
Seit März 2018 führt Scholz das Bundesfinanzministerium. Für den Posten hatte die SPD-Fraktion im Bundestag keinen geeigneten Kandidaten, aber das Ressort wollte sie unbedingt – in den vier Groko-Jahren zuvor hatte Wolfgang Schäuble in dem Amt den Sozialdemokraten einigen Kummer bereitet.
Nun sollte diese Machtbastion im Kabinett von ihnen besetzt werden. Scholz, als ehemaliger Bundesarbeitsminister, Fraktionsgeschäftsführer und SPD-Generalsekretär mit allen bundespolitischen Wassern gewaschen, wechselte aus der Hansestadt in die Hauptstadt.
Sein Start war eher verhalten. Erkennbar war, dass er sich einige Monate Zeit nehmen wollte, um auf allen Feldern seines Ressorts Fuß zu fassen: Haushalt, Steuern, Europa, die globale Finanzpolitik. Er baute sich eine größere Lenkungstruppe auf, das „BMF“ sollte auch Vizekanzleramt sein.
Einige Personalentscheidungen überraschten: der Staatssekretär Jörg Kukies kam aus der Welt des großen und schnellen Geldes, von Goldman Sachs, andererseits engagierte Scholz den linken Ökonomen Jakob von Weizsäcker als Chefvolkswirt. Wie seit Jahren in fast allen Positionen begleitete ihn sein enger Vertrauter Wolfgang Schmidt in die Wilhelmsstraße.
Kanzlerkandidat in spe
Schnell wurde klar, dass sich Scholz auf die nächste Spitzenkandidatur der SPD vorbereiten wollte – ein Kanzlerkandidat in den Spuren von Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück, ein Mann der Mitte. Dass Angela Merkel die CDU nicht noch einmal in eine Wahl führen würde, dass damit in der Union der Führungsstreit ausbrechen dürfte, dass dann ein solider Sozialdemokrat der Partei wieder Wähler zuführen könnte – das war sein Kalkül.
Nicht alles anders, aber vieles besser: Schröders Motto von 1998 lag auch ihm. Ordnung und Stabilität sollten Markenzeichen sein. Einige linke Tupfer konnten nicht schaden, der Mindestlohn bei 12 Euro etwa.
Haushaltspolitisch konnte Scholz darauf bauen, dass seit 2014 Überschüsse erzielt wurden und der Bund erheblich mehr Geld einnimmt, als er für seine Aufgaben braucht. Er war kein offensiver Prediger der „schwarzen Null“, aber er musste sie auch nicht in Frage stellen.
Europapolitisch wusste er die Kanzlerin hinter sich, wenn er etwas forscher auftrat in Brüssel und damit gelegentlich die Unions-Fraktion ärgerte. Aber stand nicht Europa ganz oben im Koalitionsvertrag? Auf der Weltbühne war seit Donald Trumps Amtsantritt nicht viel zu holen, aber auch nichts zu verlieren, wenn man in der Rolle des Vernünftigen auftrat.
Fehlkalkulation bei der Grundsteuer
So konnte Scholz eigentlich nur in der Steuerpolitik Fehler machen. Und hat es auch getan. Das einzige echte Großprojekt der Koalition war die Reform der Grundsteuer. Nicht dass sich Union und SPD danach gedrängt hätten, sie wurde ihnen im Frühjahr 2018, Scholz war gerade im Amt, vom Bundesverfassungsgericht aufgedrückt.
Als Hamburger Bürgermeister hatte er ein Modell verfochten, das die Grundsteuer an die Fläche band. Nun schwenkte er um, denn die SPD-Fraktion wollte ein Modell, das auf dem Wert von Immobilien basierte. Scholz ließ sich monatelang Zeit, um Zeitdruck aufzubauen, und verblüffte dann die Finanzminister der Länder mit einem Vorschlag, den niemand außer ihm für praktikabel hielt.
Ihm schien die Lösung perfekt zu sein, denn es sollte so gerecht wie möglich zugehen. Es war ein hartes Geschäft, ihn davon abzubringen. Das Scholz-Modell fiel dann aber doch schnell unter den Tisch, im weiteren Verfahren setzte vor allem die CSU die Akzente.
Finanztransaktionssteuer: Ein totes Pferd gesattelt
Zuletzt hat er wieder Kritik auf sich gezogen. Scholz machte sich daran, ein totes Pferd zu satteln. Das Projekt einer Finanztransaktionssteuer war eigentlich auf europäischer Ebene erledigt. Aber er blieb in seiner eigenen Art hartnäckig dran. Doch mit seinem Vorschlag, nun als einen ersten Schritt eine europäische Aktiensteuer anzustreben, erregte er vor allem Verständnislosigkeit und Verwunderung. Denn im Ergebnis wäre das eine einseitige Steuererhöhung in Deutschland, weil in Frankreich oder Italien eine solche Steuer schon existiert.
„Aus der Idee der Finanztransaktionssteuer machte Scholz eine Aktiensteuer, welche die gefährlichsten Finanzwetten ausnimmt“, sagt der Linken-Fraktionsvize Fabio De Masi. Die CDU-Finanzpolitikerin Antje Tillmann kommentierte den Vorschlag mit dem gleichen Begriff wie Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter: „Etikettenschwindel.“ Dass er die Aktiensteuer als Finanzierungsprojekt für die Grundrente der SPD bewarb, half Scholz nicht.
Knappes Rennen gegen Esken und Walter-Borjans
Nach der Niederlage im SPD-Rennen wirkt Scholz zum Jahresende wie ein Politiker auf Abruf, der sich selbst immer noch berufen fühlt. Dass es knapp war im Rennen gegen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, gibt ihm die Gelegenheit, erst einmal abzuwarten, was nun passiert.
Im Vermittlungsverfahren zum Klimapaket zeigte er sich, glaubt man anderen Beteiligten, so stur und von sich überzeugt wie eh und je. Der Mitte-Flügel der SPD sieht in ihm nach wie vor eine Führungsfigur.
Doch wenn das neue Vorsitzenden-Duo die SPD mit Blick auf den nächsten Wahlkampf stärker nach links lenkt, dann passt Scholz nicht mehr ins Konzept. Von der Union, die insgesamt mit ihm ganz gut leben konnte, würde er dann auch zunehmend härter angefasst. Sie wird Ordnung und Stabilität dann allein für sich reklamieren.
Opposition spart nicht mit Kritik
In den Oppositionsfraktionen hat Scholz nie einen guten Stand gehabt, auch weil er sich in den Bundestagsausschüssen rar machte und sich so den Vorwurf der Arroganz einhandelte.
Ironisch kommentiert FDP-Fraktionsvize Christian Dürr das Auftreten in jüngster Zeit: „Ich finde es bemerkenswert, welch enormes Arbeitspensum Olaf Scholz während des parteiinternen Wahlkampfs bewältigt hat. Es schien, als sei der Minister auf dem Weg zum SPD-Vorsitz endlich erwacht.“ Seiner Etatpolitik fehle aber die Vision. Scholz habe es versäumt, den Haushalt mit ambitionierten Ideen zu reformieren.
Mit den sprudelnden Steuereinnahmen habe er großen Spielraum gehabt, ihn aber nicht klug genutzt. „Statt die Menschen gezielt zu entlasten, wird er ihnen mit der Einführung einer Finanztransaktionssteuer neue Steine bei der Vermögensbildung in den Weg legen.“
Neuer rot-grün-roter Schuldenkonsens
Grüne und Linke verlangen schon seit längerem, was Walter-Borjans und Esken nun zum SPD-Programm machen wollen: mehr Investitionen, auch kreditfinanziert. Das hat Scholz bisher gescheut und betont, die Regierung habe einerseits die Investitionen deutlich hochgefahren, andererseits wolle sie die Schuldenbremse einhalten. De Masi nennt Scholz eine „Investitionsbremse“.
Grünen-Fraktionsvize Anja Hajduk bezeichnet die Bilanz des Finanzministers als „ernüchternd“. Es sei „Zeit für eine Investitionsoffensive, zum Beispiel für Digitalisierung und Klimaschutz. Bewältigen könnte dies ein mehrjähriger Investitionsfonds, der das Vertrauen in den Bund als langfristigen Investor stärkt.“
Was sich abzeichnet, ist ein neuer rot-grün-roter Konsens für mehr Schulden. Scholz müsste sich dem anpassen. Er wäre nicht Herr des Verfahrens, sondern Quereinsteiger. Was dann auch eine Art Ausstieg wäre.
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