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Prochinesische Demonstranten protestieren in Vancouver gegen die Hongkonger Aktivisten - und für Peking.
© AFP/Don MacKinnon

„Krawallmacher und Randalierer“: So protestieren Chinesen gegen die Hongkong-Aktivisten

In China herrscht Unverständnis für die Demonstranten in Hongkong. Viele Chinesen fürchten um ihren hart erarbeiteten eigenen Status.

Es ist ein Dialog, der in diesen Tagen so oder ähnlich auch in anderen Teilen der Welt stattfinden könnte. Ein älterer Mann sitzt in der Hongkonger U-Bahn und redet auf einen maskierten Demonstranten ein: „Geht doch lieber arbeiten, du verschwendest deine Zeit mit Demonstrieren.“ Fast belehrend setzt er nach: „Statt Geld zu verdienen, sitzt du deinen Eltern auf der Tasche, wem nutzt das? Schämst du dich nicht?“

Das Video dazu kursierte in den chinesischen sozialen Medien und wurde zahlreich geteilt und kommentiert. So wie der Mann in dem Video denken viele gebildete Chinesen, wenn man sie nach ihrer Meinung zu den Protesten in Hongkong befragt. Sie halten die Demonstranten in Hongkong für Krawallmacher, die das Mutterland China nicht lieben.

Dabei ist es keinesfalls so, dass viele Festland-Chinesen das nur glauben, weil sie durch die Zensur in ihrem Land einseitig informiert werden. Viele Chinesen nutzen illegale VPN-Kanäle, um auch zu Hause westliche Medien zu lesen. Sie und vor allem die im Ausland lebenden Chinesen kennen durchaus die Anliegen der Hongkonger Demonstranten. Dennoch zeigen sie wenig Verständnis dafür. Häufig wird argumentiert, dass die Hongkonger schon sehr viel Freiheit genießen und sich daher „nicht so anstellen“ sollten. Und dass die „Krawallmacher und Randalierer“ zur Ordnung gerufen werden müssten.

Jüngst wurde auf Weibo, Chinas Twitter, über 33 Millionen Mal das Video eines Festland-Chinesen angesehen – und eine halbe Million Mal gelikt –, der von Demonstranten am Hongkonger Flughafen verprügelt worden ist. Dazu wurde gepostet: „An alle Chinesen, ihr müsst euch an diesen Tag erinnern! Dies ist der Tag, an dem ein Chinese in Hongkong dafür verprügelt wird, nur weil er ein Chinese ist!“ Tatsächlich wurde er wohl auch deswegen misshandelt, weil ihn die Demonstranten für einen Undercover-Beamten vom Festland gehalten hatten.

Auch die ehrliche Sorge um die wirtschaftliche Leuchtkraft Hongkongs spielt eine wichtige Rolle. Viele Unternehmen auf dem Festland brauchen die Sonderverwaltungszone, mehr als die Hälfte der ausländischen Direktinvestitionen kommt über Hongkong aufs Festland. Daher gibt es die weitverbreitete Ansicht, dass die Hongkonger lieber daran arbeiten sollten, ihre Stadt als Finanz- und Wirtschaftsmetropole zu erhalten und nicht den gesamten Wohlstand, der über die Jahre entstanden ist, durch „aufkeimenden Terrorismus“ und „bezahlte Kampagnen von ausländischen Kräften“ zu verspielen.

„Individuellen Rechte“ würden nur zu Chaos führen

Solche Ansichten und Vorwürfe, die von der chinesischen Propaganda verbreitet werden, verhärten die Fronten weiter. Verhandlungen mit den Hongkonger Demonstranten oder gar ein Einlenken passen nicht mehr in diese Erzählung. Es wäre ein Zeichen von Schwäche, die Chinas nationalistische Jugend gegen die eigene Regierung aufwiegeln könnte. Diese fährt weiter die harte Linie und droht über das Staatsmedium „Global Times“: Wenn Hongkong nicht allein den Rechtsstaat wiederherstellen könne, um die Unruhen zu beenden, müsse die Zentralregierung „unbedingt direkte Maßnahmen“ ergreifen. Dahinter kann China nun schwerlich zurück.

Darüber hinaus aber zeichnen sie eine Entwicklung der Veränderung in den Köpfen der Menschen in China. Sie sehen den hart erarbeiteten eigenen Status und den Stolz über das bisher Erreichte in Gefahr.

China hat unter Führung der Kommunistischen Partei in den vergangenen Jahrzehnten ein rasantes Wirtschaftswachstum hingelegt und ist zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. Diese Erfolgsgeschichte der Volksrepublik rechtfertigt es nach Ansicht der Kommunistischen Partei, die Welt nicht mit demokratischen Werten, sondern mit einem gewissen wirtschaftlichen Pragmatismus zu betrachten. Weshalb viele Chinesen im In- und Ausland die Proteste in Hongkong so kritisch sehen.

Eine Devise dahinter lautet: „Freiheit kann den Magen nicht füllen“. Vor allem die nun in Hongkong geforderten „individuellen Rechte“ würden nur zu „Chaos führen, das dann das Land wieder in die Armut“ zurückwerfen könnte, heißt es in China. Die protestierenden Hongkonger gelten inzwischen als das „schwarze Schaf“ der Familie, das vom richtigen Weg abgekommen ist. „Wir sind doch alles Chinesen“, sagte eine prochinesische Demonstrantin am Samstag in Berlin.

Ning Wang

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