zum Hauptinhalt
In Berlin läuft Personal von BVG und Polizei wieder gemeinsam Streife.
© imago/Olaf Selchow

Jens Spahn über Innere Sicherheit: So kriminell ist Berlin wirklich

Gesundheitsminister Jens Spahn präsentiert sich als Kriminalitätsexperte und kritisiert die Zustände in Essen, Duisburg und Berlin. Die Aussagen im Faktencheck.

Jens Spahn äußert sich deftig. Im Interview der „Neuen Zürcher Zeitung“ schildert der christdemokratische Gesundheitsminister Deutschland als einen Staat, der punktuell gegenüber Kriminellen kapituliert. „Schauen Sie sich doch Arbeiterviertel in Essen, Duisburg oder Berlin an. Da entsteht der Eindruck, dass der Staat gar nicht mehr willens oder in der Lage sei, Recht durchzusetzen.“

Und: Die Verwaltung funktioniere sehr effizient, wenn es darum gehe, Steuerbescheide zuzustellen. „Bei Drogendealern, die von der Polizei zum 20. Mal erwischt werden, scheinen die Behörden aber oft ohnmächtig.“ Doch trifft das auch zu? Hier einige Fakten:

Brennpunkte der Kriminalität

Dass es in Essen, Duisburg, Berlin und anderen Großstädten Problemviertel gibt, ist nicht zu bestreiten. Ob das zwangsläufig „Arbeiterviertel“ sein müssen, ist jedoch fraglich – zumal der Begriff „Arbeiter“ heute vage erscheint. Und ein Blick in den „Kriminalitätsatlas“ der Berliner Polizei für 2014 und 2015 (der Bericht wird alle zwei Jahre erstellt, für 2017 liegt er noch nicht vor), könnte den Minister überraschen.

Demnach war am stärksten das Areal belastet, in dem Spahn arbeitet: das Regierungsviertel. Hier registrierte die Polizei, hochgerechnet auf die Zahl der Einwohner, einen "Kriminalitätsquotienten" von 90.000 und damit „die höchste Häufigkeitszahl zu Straftaten“ in der Hauptstadt. Es folgen der Kurfürstendamm und der Alexanderplatz. Alle drei „Bezirksregionen“ gelten nicht als Arbeiterviertel. Die Kriminalitätsrate ist dennoch hoch, weil hier viele Touristen unterwegs sind – das lockt Straftäter an.

In einem Kiez, der schon eher Spahns Vorstellung vom Arbeiterviertel entsprechen dürfte, der Teile von Kreuzberg und Mitte umfassenden „Nördlichen Luisenstadt“, stellte die Polizei einen Quotienten von 35.500 fest. Die Zahl war allerdings drastisch gestiegen. Von 2013 bis 2015 registrierte die Polizei einen Zuwachs von mehr als 43 Prozent.

Drogenhandel

Im Kriminalitätsatlas fällt zudem auf, dass Bezirke mit Problemvierteln bei Rauschgiftdelikten weit vorne liegen. Das betrifft Friedrichshain-Kreuzberg (5571 Fälle), Mitte (2638) und Neukölln (1683). „Bürgerliche“ Gegenden, aber auch Plattenbauviertel sind weniger belastet. In weiteren Statistiken zeigt sich, dass in Berlin die Zahl der von der Polizei erfassten Drogenstraftaten gestiegen ist. 2008 wurden 11.631 Delikte festgestellt, 2017 waren es 16.077. Die Aufklärungsquote ging von 91,2 auf 87,8 Prozent zurück.

Sicherheitskreise betonen, es sei schwierig, nachhaltige Erfolge zu erzielen. Die Kleindealer im Görlitzer Park in Kreuzberg und an anderen Orten, häufig Afrikaner, seien meist mit so geringen Mengen Cannabis unterwegs, dass sich die Festnahme nicht lohne. Außerdem reagiere die Szene mit „Gegenobservation“ auf die Ermittlungen der Polizei. Und die Hintermänner seien in der Lage, die teuersten Anwälte der Stadt zu bezahlen.

Defizite bei den Sicherheitsbehörden

Polizei, Nachrichtendienste und Justiz gelten als notorisch überlastet. Ein wesentlicher Grund ist der enorme Anstieg der Terrorgefahr. Sie bindet bei den Sicherheitsbehörden mehr und mehr Personal, das für andere Aufgaben nicht mehr zur Verfügung steht. Dass Bund und Länder Jahr für Jahr neue Stellen schaffen und auch weitere versprechen, reduziert das Problem nur langsam, wenn überhaupt.

Es mangele an szenekundigen Beamten, klagen Sicherheitskreise. Junge Beamte müssten aufwendig ausgebildet werden und viel Erfahrung sammeln, bis sie der Bekämpfung von Terror, Extremismus oder auch Drogenkriminalität gewachsen seien.

Welchen Stress der Terror von Islamisten und anderen Extremisten für Polizei, Nachrichtendienste, Staatsanwälte und Richter bedeutet, zeigen schon die Zahlen der Bundesanwaltschaft. Im vergangenen Jahr leitete die in Karlsruhe ansässige Behörde insgesamt 1210 Terrorverfahren ein, darunter 1031 mit islamistischem Hintergrund. Das waren fünfmal so viele wie 2016. Und 2018 wird offenbar kaum weniger anstrengend. Seit Jahresanfang seien mehr als 400 Terrorverfahren eingeleitet worden, sagte am Freitag eine Sprecherin der Behörde.

Umgang mit Linksextremisten

Der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, legt auf Spahns Thesen noch eine drauf. „In manchen Bundesländern kann man den Eindruck bekommen, dass linke Chaoten eher geschützt als bestraft werden“, sagte er der „Bild“-Zeitung. „Linke Propagandahöhlen“ wie die Rote Flora in Hamburg und die Rigaer Straße in Berlin würden den Bürger am Rechtsstaat zweifeln lassen.

Sicherheitskreise halten Dobrindts Sprüche wie die von Spahn für zwiespältig. Es stimme schon, dass in Teilen der Bevölkerung das Sicherheitsgefühl durch die Krawalle beim G-20-Gipfel in Hamburg im Jahr 2017 und die nicht enden wollende Drogendealerei im Görlitzer Park in Berlin beeinträchtigt sei. Doch populäres Gerede von Politikern allein ändere nichts.

Zur Startseite