Streit in der großen Koalition: Jens Spahn, Minister für Gesundheit, Provokation und Ärger
Statt ums Regieren geht es für Kanzlerin Merkel immer wieder um Schadensbegrenzung. Hauptverantwortlich dafür: ihr neuer Gesundheitsminister Jens Spahn.
Es ist jetzt beinahe auf den Tag einen Monat her, dass Angela Merkel in der CDU-Zentrale stand und die gerade bekannt gewordene Zustimmung der SPD-Mitglieder zu einer neuen Regierung mit der Hoffnung verband, dass „wir schnell als Regierung auch mit der Arbeit beginnen“. Der Koalitionsvertrag der beiden Parteien ist randvoll mit Projekten, nächste Woche will das Kabinett bei seiner ersten Klausur den Fahrplan für die nächsten Monate abstecken. Und niemand hat ein größeres Interesse an einer unfallfreien Regierungsarbeit als die Kanzlerin selbst, deren mutmaßlich letzte Amtszeit beginnt.
Doch statt konzentrierter Sacharbeit muss Merkel seit der Vereidigung ihres Kabinetts beinahe im Wochenrhythmus Auseinandersetzungen in der Koalition gewärtigen, die ausschließlich durch Vertreter ihres eigenen Lagers initiiert werden, den Regierungspartner mal reizen, mal verärgern und zuletzt sogar das Einschreiten der Chefin selbst herausforderten. Die Protagonisten: Merkels Innenminister Horst Seehofer (CSU) („Der Islam gehört nicht zu Deutschland“) und vor allem: Jens Spahn.
Der Mann, hinter dem sich zuletzt Merkels parteiinterne Kritiker versammelten, für den ihr bei der Koalitionsbildung von den eigenen Leuten ein Ministerposten abgetrotzt wurde und der sich nun, da er Bundesgesundheitsminister ist, als Kritiker mal der Arbeits- und Sozialpolitik und mal der Innen- und Rechtspolitik der vergangenen Regierungen produziert. Merkels Regierungen wohlgemerkt, schließlich ist sie Kanzlerin seit mehr als zwölf Jahren.
Spahn diskreditiert die Politik der Kanzlerin
Spahns neueste Provokation: In einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ gibt er dem Gefühl von Bürgern Ausdruck, „dass der Staat nicht mehr willens oder in der Lage sei, Recht durchzusetzen“. Während Steuerbescheide pünktlich bei den Bürgern ankämen, sagt Spahn, scheinen die Behörden ohnmächtig, wenn es um die Verfolgung und Bestrafung von Drogendealern gehe. Was auf den ersten Blick als nüchterne Beschreibung der Ängste von Bürgern daherkommt, erhält politisches Gewicht durch seinen Absender.
Schließlich ist Jens Spahn nicht Generalsekretär seiner Partei, sondern seit einigen Wochen Mitglied der Bundesregierung, von dem man erwartet, dass er dem Eindruck eines Staatsversagens entgegentritt, mit dem insbesondere die rechtspopulistische AfD auf Stimmenfang geht. Doch das hat Spahn in dem Interview unterlassen. Und damit nicht nur die Politik der Kanzlerin, sondern auch der Unions-Innenminister der letzten Jahre (Thomas de Maizière, Wolfgang Schäuble) diskreditiert und implizit auch den Befund des Versagens von Sicherheits- und Justizbehörden, also des Staates, unterstützt.
Dass der Landesgruppenchef der CSU im Bundestag, Alexander Dobrindt, den Ball sofort aufgenommen und mit zwei Beispielen aus den SPD-regierten Ländern Hamburg und Berlin belegt hat, erklärt sich aus dem nahenden Wahlkampf in seiner bayerischen Heimat. Und auch die Unterstützung der Vorsitzenden des Bundestags-Innenausschusses Andrea Lindholz (CDU), die dem Tagesspiegel sagte, sie stimme „dieser Analyse (Spahns) absolut zu“, folgt wohl in erster Linie dem Vorsatz der Abgrenzung vom Koalitionspartner. Gerade in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sei „die Polizeidichte ganz besonders gering“, während es „in vielen unionsgeführten Ländern und gerade in Bayern“ eine niedrige Kriminalitätsbelastung und hohe Aufklärungsquoten gebe, sagte am Donnerstag auch der CDU-Innenpolitiker Stephan Harbarth.
Reaktion in den eigenen Reihen: Erst mal ums eigene Ressort kümmern
In der Unionsspitze war darüber hinaus jedoch erst einmal ungläubiges Kopfschütteln zu registrieren. Vom Wunsch, Spahn solle sich mehr um die Lösung der mannigfachen Probleme in seinem Bereich, der Gesundheits- und Pflegepolitik, kümmern, reichte die stille Kritik bis hin zu Verärgerung darüber, welches Bild eine gerade ins Amt gekommene Regierung abgibt, in der sich die Koalitionspartner gegenseitig der Unfähigkeit bezichtigen, statt an Lösungen für die Sorgen der Bürger zu arbeiten und beispielsweise den von der Koalition beschlossenen „Pakt für den Rechtsstaat“ mit neue Stellen für die Sicherheitsbehörden und in der Justiz umzusetzen.
Lauter machten hingegen die Betroffenen ihrem Unmut über die Provokation Luft: Politiker wie Spahn, der in den vergangenen Jahren Staatssekretär im Finanzministerium war, hätten es in der Hand gehabt, Schieflagen von Recht und Ordnung zum Beispiel durch Bewilligung von Personal zu ändern, schimpfte der Bundesvorsitzende der Polizeigewerkschaft, Oliver Malchow. Und Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) warf dem Minister „Ahnungslosigkeit“ vor. Es sei „unverschämt und unwahr, der Polizei zu unterstellen, in bestimmte Viertel nicht mehr zu gehen“. Das Gegenteil sei der Fall.
In einer früheren Fassung dieses Artikels gab es eine unkorrekte Angabe zur Amtszeit Merkels als Kanzlerin. Sie hat das Amt seit mehr als zwölf Jahren inne.