Pekings Propaganda in der Coronakrise: Wie China die Kritik der EU zum Verstummen bringen wollte
Peking übt Druck aus, um einen kritischen EU-Bericht zu Desinformationskampagnen zu stoppen. Erreicht hat das Land aber nur Abschwächungen und Verzögerungen.
Peking hat die EU unter Druck gesetzt, einen kritischen Bericht über Chinas Desinformation in der Coronakrise nicht zu veröffentlichen. Der Druck hat zu Verzögerungen und Veränderungen des Berichts geführt. Aber „in der Sache ist die EU nicht eingeknickt“, sagt Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der China-Delegation des Europäischen Parlaments dem Tagesspiegel.
Er weist damit entsprechende Vorwürfe an den Auswärtigen Dienst der EU und dessen Chef Josep Borrell zurück. „Es stand nie zur Debatte, den Bericht nicht zu publizieren, wie Peking das erreichen wollte.“
„Chinas Verhalten ruft Ablehnung hervor“
Die internationale Berichterstattung über Chinas Druck und die Reaktionen der EU darauf hat dem Bericht umso mehr Aufmerksamkeit verschafft und damit kontraproduktiv für Pekings Ziel gewirkt, die Kritik an China zum Verstummen zu bringen. „Koordinierte Desinformation gemischt mit intensiver Propaganda und zentral ausgeübter Zensur, das ist in China nichts Neues, aber die Welt hat solche Praktiken aus Peking noch nie so drastisch erlebt wie jetzt in der Corona-Krise“, sagt Bütikofer.
„Doch China tut sich damit keinen Gefallen, denn wo Transparenz nötig wäre, ruft dieses Verhalten Ablehnung und Gegenreaktionen hervor.“ Die Europäische Union wirft China auch in der neuen Fassung des Berichts vom Freitag eine „koordinierte Aktion“ vor, „um die Verantwortung für den Ausbruch der Pandemie zu verwischen“.
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Peking verbreite mit Hilfe „verdeckter Operationen“ falsche Informationen über die sozialen Netzwerke. Es umgehe deren Regeln und betreibe eine globale Propagandakampagne. Unter anderem stelle China die Lage in Europa so dar, als helfe es den EU-Staaten mehr und effektiver bei der Bekämpfung des Coronavirus als die EU-Kommission.
Zwei Abmilderungen nach Pekings Intervention
In der Urfassung des Berichts, der ursprünglich am vergangenen Dienstag erscheinen sollte, hatte die Formulierung noch gelautet: „China betreibt eine globale Desinformationskampagne, um seine Schuld am Ausbruch der Pandemie zu verwischen und sein internationales Image aufzupolieren.“
Der European External Action Service (EEAS) strich auch eine Passage aus dem Bericht, wonach China französischen Politikern fälschlicherweise vorgeworfen habe, sie hätten sich in rassistischer Weise über den Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, geäußert. Der Äthiopier galt bei seiner Wahl als Wunschkandidat Chinas. Kritiker werfen ihm in der Pandemie eine prochinesische Haltung vor.
Die Verzögerung und Veränderung des EU-Berichts fand ein beträchtliches internationales Echo, zum Beispiel in der „New York Times“ und in der Europa-Ausgabe des Online-Portals „Politico“.
China möchte als globale Führungsmacht gegen Corona erscheinen
Zuvor hatten britische Medien China vorgehalten, es kaufe Werbung auf sozialen Netzwerken, in denen es Chinas Umgang mit dem Coronavirus lobe und westlichen Regierungen wegen Inkompetenz anschwärze und behaupte, sie hätten mit ihren angeblich stümperhaften Reaktionen auf die Pandemie den Schaden vergrößert.
Das Ziel sei, Peking als „globale Führungsmacht“ im Kampf gegen die Pandemie darzustellen und kritische Fragen zur Herkunft des Virus und seiner Verbreitung von China aus in die Welt zum Schweigen zu bringen.
Bart Groothuis, ein liberaler Europaabgeordneter aus den Niederlanden, verlangt vom EU-Außenbeauftragten Borrell eine „formale und umfassende Erklärung“, warum China eine Abschwächung des Berichts erreichte habe, der ursprünglich von einer globalen Desinformationskampagne zur Ausbreitung des Coronavirus gesprochen hatte.
Bütikofer sieht es gelassener. „Der Bericht, den der Auswärtige Dienst EEAS publiziert hat, geht sehr kritisch mit China um“, sagt Bütikofer. „Manche hätten sich eine härtere Wortwahl gewünscht. China hatte aber keinen Erfolg mit Einschüchterungsversuchen. Und das zählt.“
Ein Missverständnis war wohl Ursache der aggressiven Reaktion
Die harte Reaktion Chinas ist nach Ansicht Brüsseler Insider wohl auch auf Missverständnisse zurückzuführen. Peking habe anfangs geglaubt, der Bericht beschäftige sich nur mit China. Tatsächlich gibt er einen Überblick über Desinformationskampagnen generell, gerade auch die aus Russland. Peking glaubte, es sitze allein auf der Anklagebank, obwohl das nicht der Fall war, und habe wohl auch deshalb so aggressiv reagiert.
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Der EEAS habe daraufhin die zentralen Aussagen nochmals überprüft: Können wir alle Vorwürfe zweifelsfrei belegen oder bieten wir mit zu scharfen Formulierungen unnötige Angriffsflächen? Das habe mehrere Tage gedauert.
Kontrast zu Trump trotz mancher Übereinstimmung
Diese diplomatische Haltung der EU steht in Kontrast zum Vorgehen des US-Präsidenten Donald Trump, der einen harten Propagandakrieg mit China austrägt. Diesen Vergleich lehnt Bütikofer ab. „Es wäre falsch, die China-Politik der EU mit der Elle von Präsident Trumps Hau-drauf-Kurs zu messen. Wir gehen anders vor“, sagt Bütikofer.
„Wir teilen viele Kritikpunkte Washingtons gegenüber China, auch im Umgang mit Corona. Wir teilen auch die Einschätzung der USA, dass China ein systemischer Rivale ist.“ Der China-Experte betont aber zugleich: „Den Kurs der Totalkonfrontation schlagen wir aber nicht ein, sondern bemühen uns um eine Balance, die in bestimmten Feldern Kooperation mit China ermöglicht.“