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Immer früher nutzen Kinder inzwischen ein Smartphone.
© Getty Images/iStockphoto

Digitales Leben: Sind Smartphones und Tablets für Kinder schädlich?

Der Präsident der Kinder- und Jugendärzte warnt vor zu frühem Umgang mit Smartphones und Tablets. Ab wann sollten Kinder diese Geräte nutzen?

Es surrt beim Mittagessen und leuchtet auch noch abends im Bett – das Smartphone bestimmt unseren Alltag. Und längst sind es auch Grundschulkinder, die mit dem Handy spielen oder ein Video sehen. „Kinder, die vor dem Smartphone oder Tablet hängen, werden immer jünger“, sagt der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Thomas Fischbach. Das habe „katastrophale Folgen für die kindliche Entwicklung“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Fischbach macht die ständige „Reizüberflutung“ für immer häufigere Konzentrationsschwächen verantwortlich, die sich auch auf die Leistungen in der Schule negativ auswirken. Der Arzt empfiehlt, Kindern das Handy vor einem Alter von elf Jahren komplett vorzuenthalten. „Je länger man die Smartphone-Nutzung der Kinder hinausschiebt, umso besser“, sagt er.

Nutzen Kinder immer früher ein Handy?
„Tatsächlich nimmt das Alter, in dem Kinder ein Handy nutzen, immer weiter ab“, sagt Martin Korte, Neurobiologe an der TU Braunschweig. Einer aktuellen Bitkom-Studie zufolge hat bereits jedes zweite Kind im Alter von sechs bis sieben Jahren ein Smartphone genutzt – mit elf Jahren schon etwa 90 Prozent. Noch vor fünf Jahren waren es nur 20 beziehungsweise 60 Prozent. Videos zu schauen ist demzufolge in allen Altersklassen am beliebtesten. Einer anderen Studie zufolge sitzen 14-Jährige täglich im Schnitt sieben Stunden vor einem Bildschirm, davon zweieinhalb Stunden vor dem Handy.

Schadet Kindern die übermäßige Handynutzung?
Es gibt zumindest deutliche Hinweise darauf. So zeigte sich in der groß angelegten BLIKK-Studie mit mehr als 5500 Kindern ein Zusammenhang zwischen einem erhöhten Medienkonsum und Entwicklungsauffälligkeiten wie Sprachentwicklungsstörungen, Hyperaktivität und Konzentrationsstörungen. Jungen waren der Studie zufolge deutlich häufiger betroffen als Mädchen. Jedoch kann man aus den Daten keine Ursache-Wirkungs-Beziehung ableiten. Es könnte auch sein, dass Kinder mit diesen Auffälligkeiten besonders oft digitale Medien konsumieren. Außerdem handelte es sich um Beobachtungen der Eltern, nicht um ärztliche Diagnosen.

Schaden Smartphones der Konzentration?
„Mit einer Handy-App Vokabeln zu lernen, hat keinen negativen Einfluss auf das Konzentrationsvermögen“, sagt Korte. Die Frage sei, wie das Handy genutzt wird. „Das Konzentrationsvermögen nimmt dann ab, wenn Kinder auf dem Handy mehrere Dinge gleichzeitig tun“, sagt Korte. Etwa dann, wenn sie immer auf jede eingehende Nachricht in einem Chat sofort reagieren. Dadurch wird das Gehirn trainiert, nicht nur auf das zu achten, was gerade ansteht, sondern immer auch auf das, was kommen könnte. „Das Gehirn befindet sich sozusagen in einem dauernden Alarmzustand“, sagt Korte. „Diese Art der Nutzung bringt insbesondere Kinder völlig aus dem Takt“, sagt Korte. Das liege auch daran, dass der Frontallappen, der Hirnbereich, der für das Organisieren und Planen verantwortlich ist, bei Kindern noch wächst und somit weniger Rechenkapazität hat. Deshalb seien sie leichter ablenkbar als Erwachsene.

Gibt es weitere Gefahren?
Die Gefahr ist auch, dass, wer viele Stunden am Bildschirm verbringt, andere Dinge in dieser Zeit nicht tut. Dazu gehört vor allem Bewegung – sie steigert nachweislich das Konzentrationsvermögen. Auch der direkte Kontakt mit anderen Menschen sei ein „Booster“ für die Gehirnaktivität, sagt Korte. Lesen gehört dazu: So zeigen Studien, dass Kinder, die zwar intensiv Computer spielen, aber auch viel lesen, keine Einbußen in ihrem Konzentrationsvermögen haben. „Für eine begrenzte Zeit am Bildschirm zu Daddeln, ist völlig unproblematisch, solange die Kinder auch noch andere Dinge in ihrem Leben machen“, sagt Korte. Dagegen sehe man bei Kindern, die eine „Monokultur“ an digitalen Medien pflegen – sich also sehr wenig bewegen, sich nicht mit Freunden treffen oder lesen – ganz klare Nachteile bei schulischen Leistungen und der geistigen Entwicklung.

Was sollten Eltern beachten?
„Medien nicht konsumieren, sondern selber kreativ gestalten“ – wenn Eltern diesen Leitsatz berücksichtigen, sei schon viel gewonnen, sagt der Medienpädagoge Marc Urlen vom Deutschen Jugendinstitut. Sie sollten ihre Kinder nicht „berieseln“ lassen, sondern die Technik lieber gemeinsam nutzen, um etwa mit Kreativ-Apps eigene Bilderbücher zu gestalten.

Zu einem solchen bewussten Umgang gehört für Urlen auch, Grundschulkindern eben noch kein eigenes Smartphone zu überlassen: „Zu früh sollte man damit nicht beginnen.“ Stattdessen rät Urlen zu einem Familientablet, das Kinder nur unter Aufsicht der Eltern nutzen. Er empfiehlt für das Alter bis zehn Jahre durchschnittlich nicht mehr als eine halbe Stunde am Tag „Bildschirmmedien“, wozu neben Smartphones und Tablets auch das Fernsehen gehört. Hilfreich seien gemeinsam aufgestellte Familienregeln. Außerdem sollten sich Eltern ihrer Vorbildfunktion bewusst sein: „Wenn man das Kind vom Handy fernhält, selber aber die ganze Zeit drüber hängt – mit dieser Doppelmoral können Eltern solche Regeln nicht durchsetzen“, sagt Urlen.

Wie gehen Schulen mit Smartphones um?
In Deutschland hat nur Bayern ein Handyverbot im Unterricht und in den Pausen ausdrücklich im Schulgesetz verankert. Mobiltelefone dürfen hier nur rausgeholt werden, wenn Lehrkräfte sie für eine Lehreinheit einsetzen. Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) bekräftigte am Mittwoch auf Anfrage, dass sie für ein generelles Vorschrift keinen Anlass sieht: „Die Schulen können die Frage der Handynutzung gut in eigener Verantwortung regeln.“

Heinz-Peter Meidinger, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, wünscht sich eine altersspezifische Lösung: ein schulweites Smartphone-Verbot für alle Unter-14-Jährige, es sei denn, Lehrkräfte wollen die Geräte im Unterricht einsetzen oder Eltern müssten von den Kindern erreicht werden. Nicht nur die Aufmerksamkeitsdefizite seien ein Problem, sagt Meidinger – sondern dass selbst schon unter Grundschülern in Whatsapp-Gruppen der Klassen gemobbt würde und Schüler problematische Inhalte verbreiteten. Älteren Jugendlichen dagegen müsse man die Medienkompetenz zutrauen mit Smartphones umzugehen – und ihnen das auch erlauben, zumindest in speziellen Bereichen in der Pause und in Freistunden.

Was machen die Tech-Konzerne?
Apple und Google haben in ihren neuesten Betriebssystemen inzwischen Funktionen eingearbeitet, die eingrenzen sollen, was sie selbst geschaffen haben: möglichst viel Zeit mit dem Smartphone zu verbringen. Bei Android heißt es „Digital Wellbeing“, bei iOS „Bildschirmzeit“. Auf einer Übersichtsseite sieht der Nutzer eine Art Protokoll, wie lange er das Gerät an diesem Tag oder in der Woche genutzt hat, wie oft er das Handy entsperrt hat und wofür. Er kann die maximale Nutzungsdauer festlegen und Benachrichtigungen für einen bestimmten Zeitraum stummschalten.

Bei Apple können auch Bildschirmzeiten für weitere Familienmitglieder – also auch Kinder – eingerichtet werden. Google und Apple wollen sich damit vor Klagen und Image-Schäden schützen. Bei Facebook und Instagram kann man mittlerweile ebenfalls sehen, wie viel Zeit man mit der App verbringt und sich Erinnerungen zuschicken lassen, falls das festgelegte Maximum erreicht ist. Allerdings ist das recht versteckt in den Einstellungen zu finden. All diese Funktionen setzen allerdings voraus, dass man sein Nutzungsverhalten kritisch reflektiert und etwas ändern will.

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